„Wir können nicht gefühllos spenden“

Im Gespräch Werbung für gute Zwecke zielt immer aufs Herz, sagt Sabine Arras von der ­Spenderberatung Phineo. Doch wer sich nicht einlullen lässt, bewirkt mehr

Der Freitag: Viele Organisationen werben mit schaurigen Bildern um Spenden. Ekeln Sie sich eigentlich manchmal?

Sabine Arras:

Vor einiger Zeit habe ich einen Spot für eine Spendenaktion im Internet gesehen. Der zeigte das Schicksal eines missbrauchten Mädchens in einem afrikanischen Flüchtlingslager – und stellte das Leid dieser Zehnjährigen mehr als nur ­ausführlich dar. Da wurde es mir zu viel.

Mitleid zu erzeugen ist ein übliches Mittel bei der Spendenakquise. Lässt sich das überhaupt abstellen?

Diese Methode ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite zeigt die kognitive Psychologie, dass der Mensch auf diese Weise ­gestrickt ist. Vereinfacht gesagt: Wenn wir Bilder sehen, die Mitleid in uns erzeugen, springt ein archaisches System an, das uns zu Hilfshandlungen motiviert. Diesen Mechanismus werden Spendenorganisationen natürlich immer nutzen.

Mit anderen Worten: ­Spendenpornografie ist ­wirksam?

Langsam. Es ist ja per se nicht etwas Schlechtes, dass Spendenwerbung meine Instinkte anspricht. Der Verstand allein motiviert uns meistens ja nicht ausreichend, damit wir selbstlos handeln. Er sollte aber der Wachhund sein, der verhindert, dass wir beim Spenden blind dem ersten Gefühl folgen.

Die beste Spende ist letztlich eine, bei der Mitgefühl keine Rolle mehr spielt?

Nein, wir können nicht gefühllos spenden. Schlau verwendet bilden Emotion und Ratio da auch keinen Gegensatz. Wenn ich mir vor dem Spenden einige Fragen stelle, komme ich danach zu einem besseren Gefühl. Schließlich weiß ich dann, dass ich auch wirklich etwas Gutes bewirkt habe – und muss es nicht nur glauben.

Welche Fragen schlagen Sie vor?

Zunächst einmal geht es darum, sich klarzumachen, dass keine Organisation stirbt, wenn man nicht sofort spendet. Dann erst geht es um die Fragen: Was kann ich mir leisten? Was will ich bewirken? Welches Projekt setzt meine Ziele am wirksamsten um?

Das klingt wie die Entscheidung für eine Investition.

Ich glaube wirklich, dass gemeinnützige Organisationen etwas über ihre Effektivität und Leistungsfähigkeit sagen können sollten. Und Spender können mehr verlangen als nur Auskunft darüber, wie hoch der Verwaltungsaufwand eines Vereins ist. Letztlich geht es ja darum, wie wirksam ein Hilfsprojekt ist, nicht wie viel Geld es verbraucht.

Jetzt sollen wir auch noch den ganzen Bereich der Wohltätigkeit nach Benchmarks ausrichten.

In Deutschland steht die Orientierung an der konkreten Wirkung von Wohltätigkeitsorganisationen in der Tat noch ganz am Anfang.

Aus welchem Grund ist das Ihrer Meinung nach so?

Ein häufiges Missverständnis ist, dass dieses Denken einfach rein marktwirtschaftliche Kriterien auf den gemeinnützigen Sektor überträgt. Das stimmt aber nicht.

Erklären Sie das bitte.

Auch zivilgesellschaftliche Organisationen wollen bestimmte Ziele erreichen. Sie bekommen Steuervorteile, weil sie von Mitteln abhängen, die sie nicht selbst erwirtschaften, vor allem aber, weil sich die Gesellschaft von ihnen einen konkreten Nutzen verspricht. Daraus ergibt sich ein Anspruch an Transparenz, auch darüber, ob diese Organisationen ihre eigenen Ziele erfüllt.

Und daraus folgt, dass man an einen Tierschutzverein die gleichen Kriterien anlegen soll wie an ein Unternehmen?

Nein nein, die Indikatoren, mit denen man Unternehmen beurteilt, sind viel einfacher gestrickt. Da geht es um Umsatz, Rendite, solche Dinge. Die Wirkung einer wohltätigen Organisation ist viel komplizierter zu messen.

Ihr Arbeitgeber, die gemeinnützige Phineo AG, versucht es trotzdem und empfiehlt Projekte mit „besonders großem Wirkpotenzial“. Wie filtern Sie die heraus?

Wir testen in einem vierstufigen Verfahren. Dabei schauen wir uns an, ob die Organisation potenziellen Spendern bereitwillig und umfassend Auskunft gibt, wir analysieren die Bilanzen und sehen uns vor Ort die Arbeit der Aktiven an. Manche Leute können sich auf dem Papier ja sehr gut oder auch sehr schlecht darstellen, aber wenn man dann vor Ort mit den Aktiven spricht, stellt sich die Situation ganz anders dar. Zum Schluss wollen wir noch wissen, wie die Organisation ihr Tun evaluiert und aus den Ergebnissen lernt. Wichtig ist auch, ob der jeweils gewählte Ansatz nach aktuellen Kenntnissen Erfolg verspricht und ob die Mitarbeiter jeweils wissen, was sie tun und auch ob sie gut darin sind, was sie machen.

Wie unterscheidet sich eine Phineo-Empfehlung zum Beispiel vom deutschen Spendensiegel?

Das Spendensiegel wird überwiegend nach formalen Kriterien vergeben. Das Deutsche Zentralinstitut für soziale ­Fragen konzentriert sich vor allem auf Aufsichtsgremien, die internen Strukturen von Organisationen und deren Bilanzen. Phineo guckt sich dagegen vor allem die Inhalte und die Erfolgsaussichten der Projekte an. Außerdem können nur Organisationen mit einem bestimmten Mindestumsatz und einer Mindestgröße das Spendensiegel erhalten. Zudem müssen sie bundesweit Spenden sammeln, lokale Projekte können das Siegel nicht beantragen. Die Analyse von Phineo ist hingegen für jede Organisationsform und -größe offen. Wir testen aber nicht von uns aus, sondern nur auf Anfrage.

Wie viel kostet ein Test bei Ihnen?

Cash kostet die Analyse für die Organisationen gar nichts. Aber es ist natürlich ein gewisser Aufwand. Schon unser erster Erhebungsbogen allein hat 50 Fragen, die die Mitarbeiter beantworten müssen.

Von mehr als 400 Projekten, die von Ihnen geprüft ­wurden, empfehlen sie nicht einmal 100. Bedeutet das, dass in Deutschland das ­meiste gespendete Geld verpufft?

Nein, das heißt es nicht. Wir zeichnen ja nur besonders gute Projekte aus. Das bedeutet nicht, dass andere nicht wirkungsvoll sein können, sondern nur, dass sie in dem Moment nicht allen unseren Kriterien entsprechen.

Vergeben Sie auch Negativ­siegel?

Das machen wir ganz bewusst nicht. Wir wollen kein Watchdog sein, sondern eine positive Auswahl herstellen für Menschen und Organisationen, die ihr Geld möglichst effektiv für einen guten Zweck einsetzen wollen.

Sabine Arras, Jahrgang 1975, ist Sprecherin von Phineo, der Plattform für Soziale Investoren. Die Organisation will Spendern helfen, mit ihrem Geld möglichst viel Gutes zu erreichen. Dafür analysiert und empfiehlt sie Projekte, die sich an den konkreten Ergebnissen ihrer Arbeit messen lassen. Hauptgesellschafter von Phineo sind die Bertelsmannstiftung und die Deutsche Börse AG


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