Angeblich ist alles ein großes Missverständnis. „Der Vorwurf, die Piraten hätten unklare Positionen, ist absurd“, sagt der politische Geschäftsführer Johannes Ponader. Sicher, das Parteiprogramm habe im Vergleich zu anderen noch Lücken. „Aber wir bieten dafür etwas Besseres: Echtzeitdemokratie.“
Jede Frage, zu der es noch keinen Parteitagsbeschluss gebe, könnten Piraten rasch mit ihrem Online-Werkzeug Liquid Feedback beantworten. Das Ergebnis sei zwar keine offizielle Parteiposition, aber doch ein verlässlicheres Bild der Basismeinung, als es Sprecher anderer Parteien je geben könnten.
Der Freitag nimmt Ponader beim Wort und startet ein journalistisches Experiment: das erste Liquid-Feedback-Interview der Pressegeschichte, ein Gespräch mit dem viel beschworenen Schwarmgeist der Nerd-Partei. Die Absprache lautet: Fragen des Freitag, die Ponader nicht selbst beantworten kann, stellt er per Mitmach-Software zur Diskussion. In einer Woche berichtet er von den Ergebnissen.
Das Experiment beginnt in einer für die Piraten kritischen Zeit: Ihre Umfragewerte sinken, inzwischen auf unter fünf Prozent. Die Monate, in der die Bürger den Polit-Newcomern Fehler verziehen haben, sind vorüber. Endet damit auch die Zeit, in der die Standard-Antwort der Piraten auf viele Fragen lautete: "Dazu haben wir noch keine Position"?
Das Gespräch soll hierauf eine Antwort geben – ebenso wie auf die Frage, ob neue Formen „flüssiger Demokratie“ ideologische Festlegungen ersetzen können, wie von Piraten oft behauptet.
Die Diskussion der Piraten über die ausstehenden Antworten lassen sich live mitverfolgen. Im unten stehenden Gespräch verweisen dafür Links auf die entsprechenden Initiativen im Liquid Feedback der Piraten.
Das Gespräch
Der Freitag: Herr Ponader, für Ihre Partei ist die Schonzeit vorbei, in den Umfragen stürzen Sie ab. Was sagen die Piraten, worin liegt die Krise der Partei begründet?
Johannes Ponader: Ich könnte Ihnen jetzt sagen, wie ich das sehe. Wenn Sie allerdings die Meinung der Piraten an sich hören wollen, dann müssen Sie eine Woche warten.
Wie bitte?
Wenn Sie mehr als meine persönliche Ansicht hören möchten, hole ich mit unserem Online-Werkzeug Liquid Feedback gerne ein Meinungsbild ein. Das dauert eine Woche. Das Ergebnis ist dann zwar keine offizielle Parteiposition, aber doch ein verlässlicheres Bild der Basismeinung, als es Sprecher anderer Parteien je geben können. Wenn Sie ein echtes Interesse an einer Antwort haben, müssen Sie diese Geduld schon aufbringen.
Nervt es Sie eigentlich, als politischer Geschäftsführer immer wieder sagen zu müssen: Dazu haben wir noch keine Position?
Das ist ja gar nicht mehr so häufig der Fall. Aufs Jahr gesehen haben wir im Schnitt alle zwei Wochen einen Parteitag - entweder von einem unserer 16 Landesverbände oder von der Bundespartei. Unsere Positionen verbreitern sich von Mal zu Mal.
Das kommt bei Außenstehenden allerdings anders an.
Ich glaube in der Tat, dass wir oft heute schon konkret werden können.
Aber in Ihrem Parteiprogramm klaffen große Lücken.
Wir haben viele Bereiche bereits abgedeckt. Aber es stimmt, dass wir zum Beispiel in der Wirtschaftspolitik noch keine Grundsatzentscheidung getroffen haben. Wollen wir eine Vermögenssteuer? Wie wollen wir uns Wirtschaftssystem regulieren? Aber keine Sorge: Wir diskutieren online gerade verschiedene Anträge. Ende November werden wir auf unserem Bundesparteitag ein Wirtschaftsprogramm beschließen.
Langsam bekommt man den Eindruck: Wer einen Piraten fragt, wofür seine Partei steht, wird immer wieder auf später vertröstet.
Der Vorwand, die Piraten hätten unklare Positionen, ist absurd. Sicher, das Parteiprogramm hat im Vergleich zu anderen noch Lücken. Aber wir bieten dafür etwas besseres: Echtzeitdemokratie.
Was meinen Sie damit?
Das Parteiprogramm ist wichtig für uns. Doch Programme haben andere Parteien auch. Was die Piraten im Kern von den anderen unterscheidet, ist der Weg, die basisdemokratische Art und Weise, wie wir zu unseren Forderungen kommen. Sie dürfen nicht vergessen: Wir fassen unsere Beschlüsse mit Zwei-Drittel-Mehrheit. Das ist nur möglich, weil die Anträge vorher einen speziellen Diskussionsprozess durchlaufen, bei dem jeder mitmachen kann. Bei uns gibt es Arbeitsgruppen, Diskussionen und Konferenzen, wie in jeder anderen Partei auch. Doch nur wir bündeln am Schluss die Debatten online auf unserer Liquid Feedback-Plattform. Dort erhalten auch diejenigen spürbaren Einfluss, die nicht den Großteil ihrer Freizeit in politische Diskussionen investieren können.
Wie funktioniert das?
Liquid Feedback ist ein Programm, um Meinungsbilder unserer Mitglieder über das Internet abzufragen. Damit können die Teilnehmer nach einem ausgeklügeltem System Vorschläge von Arbeitsgruppen oder Einzelnen diskutieren, bewerten, Änderungen vorschlagen und Gegeninitiativen starten. Wer selbst nicht genügend Zeit hat oder sich in einem Themenbereich nicht ausreichend Kompetenz zutraut, kann seine Stimme auf ein anderes Mitglied delegieren. Am Schluss des Prozesses steht eine Abstimmung. Das Besondere ist: Liquid Feedback zwingt die Teilnehmer mehr als andere Online-Werkzeuge zur Konstruktivität. Sie müssen am Anfang eine konkrete Initiative starten, die immer weiter verbessert wird. Am Ende kommt ein Vorschlag raus, an dem viele Menschen mitgearbeitet haben. Der wird dann abgelehnt oder angenommen.
Ein Computerprogramm soll als Ersatz für fehlende Positionen herhalten?
Das wäre eine verkürzte Sicht. Mir geht es darum, dass die Piraten zeigen, dass sie mit Liquid Feedback auf jede Frage rasch eine Antwort liefern können. Die Möglichkeit, auch Meinungsbilder zu kommunizieren, nutzen wir als Partei noch zu wenig.
Und damit wollen Sie komplexe politische Fragen beantworten?
Wir können es ja ausprobieren.
Okay: Wie wollen die Piraten der Eurokrise begegnen?
Dazu gibt es in der Tat noch keine offizielle Position.
Eben...
Ich weiß aber, dass dazu schon einige Initiativen diskutiert werden. Ich frage nach.
Tun Sie das doch bitte.
In Ordnung.
Eine zentrale Forderungen der Piraten ist die nach mehr Bürgerbeteiligung. Was würde eine Piratenfraktion im Bundestag tun, damit sich die Bürger in den kommenden vier Jahren direkt im Parlament einbringen können?
Diese Frage zu beantworten ist noch ein bisschen früh. Es sind ja noch nicht mal alle Kandidaten aufgestellt. Im kommenden Frühjahr können wir dann die Kandidaten selber fragen, wie sie sich Arbeit im Bundestag vorstellen.
Herr Ponader, Sie machen es schon wieder: Sie vertrösten auf später.
Wir achten als Partei stark auf die Freiheit des Mandats, insofern können wir da gar niemand Vorschriften machen. Ich kann mir vorstellen, dass ein Teil der Abgeordneten sich stärker an Online-Meinungsbildern orientieren wird, ein anderer Teil weniger. Wie das Verhältnis ist, werden wir sehen, wenn die Kandidaten aufgestellt sind.
Aber eine Partei stellt doch Erwartungen an ihre Mandatsträger. Welche sind das?
Dafür würde ich erneut das Liquid befragen.
Vielleicht können Sie dann auch gleich fragen, was Ihnen andere Parteien anbieten müssten, damit die Piraten eine Koalition eingehen oder eine Minderheitsregierung tolerieren.
Ich bin mir sicher, dass wir bei einem Angebot ein Basismeinungsbild einholen würden.
Interessant wäre ja, was die Piraten jetzt dazu denken.
Ich glaube, wir haben schon jetzt zwei rote Linien: Wir lassen uns auf niemanden ein, der die Vorratsdatenspeicherung und die Sanktionen im Sozialsystem bestehen lässt. Alles weitere kann ich jetzt noch nicht sagen.
Und der Schwarmgeist ihrer Partei?
Inzwischen ist das Liquid Feedback-Verfahren abgeschlossen, ebenso wie der zweite Teil des Interviews mit Johannes Ponader. In der kommenden Ausgabe vom 18. Oktober 2012 dokumentieren wir das komplette Liquid-Feedback-Interview.
Kommentare 28
Politik lebt davon, dass man klüger wieder aus dem Rathaus heraus kommt, als man hinein gegangen ist. Bei diesem Artikel ist das nicht der Fall.
"Ein Computerprogramm soll als Ersatz für fehlende Positionen herhalten?"
Hinter dieser Frage steht meines Erachtens eine verbreitete Haltung. Das Verfahren der Meinungsbildung wird geringgeschätzt im Vergleich zu inhaltlichen Positionen. Auf den ersten Blick mag das überzeugen. In einer Demokratie ist das Verfahren der Meinungsbildung jedoch von ganz zentraler Bedeutung. Und die Reihenfolge, zunächst dieses in den Vordergrund zu stellen und sich dann dem konkreten Programm zu widmen, ist absolut sinnvoll.
die formel keine partei-, sondern themenkoalitionen eingehen hört sich irgendwie neu und verlockend an. zum parlamentarischen alltag.
aber wo bleiben dann die festen positionen wie etwa wachstum - kein wachstum, ökologie - ökonomie, eigentum verpflichtet - sehe jeder, wo er bleibe, égalité - klassen ...?
danke * für den blick in das aktive „navigatiosvorschlagsmedium“ (Liquid Feedback) der piraten * ob dieses interne piraten medium das zeug hat die orange „echtzeitdemokratie“ zu leben? ….. es bleibt spannend …..
was ich nicht so wahnsinnig steil fand, waren der schwarmgeist der bei mir fast so etwas wie „schnappatmung“ auslöst schwarm muß ja nicht zwangsläufig pfiffig sein (hintergrund: z.b. gerichtsurteil im vergewaltigungsprozess herne) * meine schnappatmung, mein schwarm, meine codes, na toll wie brunz blöd ist mangelnde offenheit
ach, eine anmerkung: danke für den gastzugang auf LiquidFeedback der Piratenpartei, es war ein steiler ausflug auf der orangen plattform der echtzeitdemokratie * höchst unterhaltsame und informative * ein höchst bemerkenswerte initiative zur einführung einer neuen ordnungsmaßnahme - mit abstufungen für bundespiraten, landespiraten, u.s.w. ein durchaus nachhaltiges vorhaben ….. bin begeistert
Ein Computerprogramm soll als Ersatz für fehlende Positionen herhalten?
"Ich zeige Ihnen mal das Internet". Christopher Lauer über Lernprozesse der Fraktion im Berliner Senat ...
Könnte man nicht endlich die immer gleichen Fragen lassen? Die Einbindung von Meinungsbildern ist spannend, aber wir haben doch mittlerweile alle verstanden, dass die Piraten nicht wie eine konventionelle Partei funktionieren. Warum muss man darauf immer noch rumreiten? Kann man nicht endlich den Vorteil erkennen, das man auf diesem Weg weniger unter dummbratzigen Selbstdarstellern leiden muss?
Vielleicht bilden sich die Positionen ja noch. Mir scheint, dass die Piraten, wenn Sie sich einmal entschieden haben, kaum mehr von Ihren Positionen abrücken können. Das bräuchte dann ja wieder eine 2/3-Mehrheit.
Genau weil die Piraten keine konventionelle Partei sind, kann man mit Ihnen ja ein Interview via Liquid Feedback führen, mit anderen Parteien nicht. Die Fragen bewegen Wähler - und wenn klar würde, dass die Piraten sich als Bürgerbeteiligungsplattform denn als Themenpartei verstehen, wäre das ja auch schon was.
Allerdings glaube ich nicht, dass alle Piraten dieses Konzept teilen. Nerz und Seipenbusch zumindest scheinen kritisch zu sein.
"Das Verfahren der Meinungsbildung wird geringgeschätzt im Vergleich zu inhaltlichen Positionen."
Vielleicht kann dieses Interview das ja ändern?
In den Interviewfragen zeigt sich, was ich man vielleicht als das Bedürfnis nach Statik bezeichnen kann: Es muss feste Positionen geben, an denen man sich abarbeiten kann - ist ja auch einfacher, denn zu jeder fixierten Position findet sich leicht ein Weg, diese zu kritisieren. Das führt dann bei den "Berufspolitikern" häufig dazu, so abgesicherte Aussagen zu machen (oder eben bewusst zu polemisieren, ohne vom Inhalt der polemischen Aussage wirklich überzeugt zu sein), dass sie auch hätten unterbleiben können. Die Piraten sind da m. E. einfach ehrlicher, indem sie sagen: Wir bilden uns eine Meinung in dem Moment, indem eine Entscheidung gefragt ist - und zwar unter Berücksichtigung aller Mitglieder der Partei und entsprechender Expertenmeinungen. Das ist ein flüssiger Stil (eben liquidfeedback), der der so gern eingeforderten Statik entgegensteht. Ich drücke die Daumen, dass die Vorteile dieser Art der Meinungsbildung auch in andere Parteien einsickern - bei den Grünen sehe ich erste vorsichtige Ansätze.
Ja, es ist ganz offenbar Anlass zur Diskussion und die Idee eines Liquid-Fedddback-Interviews ist eigentlich großartig. Ich sollte nicht so oft vergessen, auch das, was mit positiv auffällt, aufzuschreiben.
Die Piraten funktionieren nicht wie eine konventionelle Partei, weil sie noch keine Partei sind. Sie wollen eine werden, wenn das klappt, werden sie dann auch wie eine funktionieren. Dann verlieren sie vielleicht auch die Illusion, dass die Maschinen den Unterschied machen.
Gute Idee! dachte ich, den Titel lesend.
Dann sehe ich, dass der Schwarmgeist finktioniert wie eine Community. Einer schreibt ein Blog, durchschnittlich 8 bis 10 Leute geben Kommentare ab. - Nur, dass das eine ganze Woche dauert...
Kurzer Zwischenstand:
Die Debatte über die möglichen Antworten im Liquid-Feedback-Interview des Freitag mit den Piraten gewinnt an Fahrt.
Vor allem die Frage, wie die Partei der Eurokrise begegnen wolle, hat eine lebhafte Diskussion ausgelöst. Inzwischen hat eine Gruppe von Piraten eine Gegeninitiative zu Ponaders ursprünglichem Vorschlag verfasst: Die Eurokrise als Chance nutzen. Wie der Titel schon andeutet, hat die Gegeninitiave eine offensivere Rhetorik. Sie vermeidet zudem Formulierungen, dass die Piraten Lösungen erst zu einem späteren Zeitpunkt präsentieren werden.
Auch die Frage, worin die Krise der Piraten bestehe, hat viel Resonanz ausgelöst. Die Antworten reichen von der Aussage "Wir haben keine Krise" bis hin zu "Die Menschen haben falsche Erwartungen an uns".
Sobald die Diskussionsphase abgeschlossen ist, wird der Liquid-Feedback-Prozess für einige Zeit "eingefroren". In dieser Zeit sollen sich die ausgetauschten Argumente setzen. Danach beginnt der Abstimmungsprozess.
Mich erstaunt ja die ruhige und sachliche Art der Diskussion im Liquid Feedback. Das kennt man von Piraten und von anderen Online-Plattformen ganz anders...
Hallo H.Yuren,
"aber wo bleiben dann die festen positionen wie etwa wachstum - kein wachstum, ökologie - ökonomie, eigentum verpflichtet"
Mal abgesehen dass die von die aufgezählten Fragen riesengroße komplexe Themenfelder mit globaler Tragweite sind und wir entgegen der anderen Parteien nicht die finanziellen Mittel haben, wird Umwelt- und Naturschutz im Kontext mit Wachstumswirtschaften längst sehr kritisch diskutiert.
Gestern hat das Squad Wirtschaft & Umwelt einen umweltpolitischen Kinoabend veranstaltet siehe hier http://wiki.piratenpartei.de/BE:Squads/Wirtschaft_und_Umwelt
Es ist nämlich so, dass entgegen landläufiger Meinung echter Umwelt- und Naturschutz keineswegs in der Masse der Bevölkerung angekommen ist. Wir Piraten sind normale Bürger wovon die meisten Vollzeitjobs haben und nicht wie die großen "Volksparteien" Heerschaaren von wissenschaftlichen Stiftungen haben.
Die Piraten mit denen ich gesprochen habe, sind kritisch gegenüber dem industriellen Wachstum eingestellt. Die industrielle Landwirtschaft wird massiv kritisiert und es gab auch schon Liquidinis, welche Regionalisierung fordern.
Die Ökologie im gesellschaftlichen Kontext betrachtet eng mit Wirtschaft verknüpft, steigender Ressourcenverbrauch etc. dessen sind wir uns bewusst und beschäftigen uns auch damit.
"Eigentum verpflichtet" ist eine Leerformel damit weiß keiner so recht etwas anzufangen außer Die Linke, welche allerdings damit meint, wer viel Vermögen hat muss irgendwie stärker verantwortlich sein, aber gleichzeitig sollen ja Reiche nicht überproportional mit der Politik vernetzt sein usw. usf.
Wir haben allerdings in unserem Grundsatzprogramm unter dem Punkt "Gewaltenteilung und Freiheit stärken" zu stehen das "Die Freiheit des Einzelnen findet dort seine Grenzen, wo die Freiheit eines anderen unverhältnismäßig beeinträchtigt wird."
"mit dem viel beschworenen Schwarmgeist der Nerd-Partei. "
Mit Verlaub, was für eine polemische Formulierung am Anfang eines Experimentes an dessen Anfang doch eher Neugierde stehen sollte als gleich eine latent abwertende Pauschalisierung einer Partei, die so homogen wie sie dargestellt wird meinem Empfinden nach gar nicht ist.
Ich bin gespannt auf den Ausgang. Der Weg zu einer von allen halbwegs vertretbaren Position innerhalb einer basisdemokratischen Bewegung ist schwierig und dauert länger als ein von Parteieliten erarbeitetes Parteiprogramm, das die Basis dann abnicken darf. Ebenso eine solche Kandidatenwahl. Oder glaubt jemand, dass Steinbrück der Wunschkandidat der SPD Basis ist?
Mich würde im Umkehrschluss noch ein Interview mit einer herkömmlichen Partei über den Weg ihrer Entscheidungs und Willensbildung interessieren.Wenn die Piraten immer an den Maßstäben der alten parteienlandschaft gemessen werden, dann drehen wir doch gerechterweise einmal den Spieß um.
zu den partei-positionen: oh ja... andere parteien haben zu allen "wichtigen" fragen eine "feste" position-wie etwa die grünen zum militarismus :-) - aber letztlich halten sie es doch mit adenauer: was schert mich mein geschwätz von gestern? in der realität sieht es doch so aus: heute so geschickt dagegen zu sein, dass man morgen dafür sein kann! "feste" positionen sind reine makulatur, keiner hält sich dran; liq.fb. sorgt dafür, dass tatsächlich geschieht, was die basis für richtig und gut erachtet. --> eben keine lobby-politik! die etablierten versuchen ihre fehler, die sich ja wohl fast allen mittlerweile als fatal offenbart haben, als "alternativlos" zu verkaufen, und machen sich erst gar keine gedanken um echte alternativen, da die ja nicht ins system passen würden. dass die piraten nciht ad hoc ein alternatives gesellschaftssystem zur hand haben ist doch klar. sie wollen einen weg aufzeigen, dies gemeinsam zu entwickeln! und ihnen das vorzuwerfen, halte ich für perfide!
jedenfalls entschleunigt das Prinzip Liquid feedback usw. Entscheidungsprozesse ungemein. Das muss nicht unbedingt ein Nachteil sein. Man hat einfach mehr Zeit die Dinge gründlich zu durchdenken. Wenn man das kann, gründlich denken, denn wie immer steht und fällt der Erfolg eines Projekts mit den fachlichen und menschlichen Fähigkeiten des Einzelnen. Problematisch wird es jedoch, wenn man schnell entscheiden muss. Was eigentlich nur im Notfall der Fall ist - also wenn z.B die Chinesen mit Panzern vor der Tür stehen. :-)
Da stimme ich zu. Wir haben verlernt, die Dinge sich entwickeln zu lassen. Und wir haben verlernt auch einmal zu etwas noch keine Meinung zu haben und das auch zuzugeben, oder uns die Freiheit und Größe zu nehmen unsere Meinung zu ändern. Es zählt nur noch das Ergebnis, aber nicht mehr der Prozess. Wir machen unsere demokratischen Hausarbeiten nicht mehr, sondern verlagern uns auf ein Multiple Choice Meinungsbildungs Verfahren.
"Was eigentlich nur im Notfall der Fall ist - also wenn z.B die Chinesen mit Panzern vor der Tür stehen. :-)"
Bitte wählen Sie:
Wer bedroht Deutschland am meisten?
A Chinesische Panzer
B Muslimische Selbstmordattentäter
C Bankrotte Griechen
;)
Ich wähle Antwort D.
Was die Medien nicht verstehen: It’s the process — stupid!
Unglaublich gern gelesen. Ein Riesenkompliment an die kreative Herangehensweise zum Interview. Vom konzeptzionellen Ansatz her ist das schon fast Kunst, und irgendwie jetzt schon Mediengeschichte. Irre spannend.
D Sozialschmarotzer ;)
Im Stillen habe ich ja ein bisschen befürchtet, die Piraten würden sich nicht auf die Idee eines Schwarmgeist-Interviews einlassen. Doch nun zeigt sich, dass das Gegenteil der Fall ist.
Insgesamt 17 Antworten haben Piraten vorgeschlagen. Über 16 der Antworten haben sie nun abgestimmt. Ein Vorschlag wurde nicht zur Abstimmung zugelassen, weil er nicht von der notwendigen Mindestanzahl der Teilnehmer unterstützt wurde.
Besonders spannend finde ich angesichts der aktuellen Kontroverse um die Ausrichtung der Partei ja vor allem die Position zur Eurokrise und zu mehr Partizipationsmöglichkeiten der Bürger im Bundestag.
Soll die EU die wirtschaftliche Krise nutzen, um ihrem Demokratiedefizit zu begegen? Oder geht es den Piraten vor allem darum, zu verhindern, dass keine weiteren Kompetenzen von den Nationalstaaten nach Brüssel verlagert werden? Braucht der Bundestag ein fraktionsübergreifendes Online-Werkzeug, um den Fraktionszwang zu überwinden? Oder reicht es, wenn Abgeordnete einfach nur transparent in Blogs über ihre Einkünfte und Arbeit berichten?
Am besten man liest die Antworten selbst:
Worin die Krise der Parteipartei besteht.
Wie die Piraten der Eurokrise begegnen wollen.
Was eine Piratenfraktion im Bundestag tun soll, damit sich die Bürger in den kommenden vier Jahren direkt im Parlament einbringen können.
Was andere Parteien anbieten müssen, damit die Piraten eine Koalition eingehen oder eine Minderheitsregierung tolerieren.
Die Piraten haben ein gutes Demokratiemodell, das allerdings wenig Macht komprimiert. So können sie sich gegen die harten Meinungsfronten der Etablierten nicht durchsetzen. Wer zurückweicht hat verloren, wer unentschlossen wird demontiert.
Sie sollten dennoch so weiter machen, weil sie die richtigen Ansatz, eine echte Seele haben. Das gesellschaftliche Thema No1 ist nämlich nicht soziale Gerechtigkeit oder Mindestlöhne, es ist Partizipation an der Macht. Dieses Thema wird uns auch in 2013 noch in ganz ungeahnter Weise beschäftigen.
Danke für die tollen Links. Es gab da auch die Erwähnung von Sebastian Pfeffers Artikel zu der Bedeutung von Streitkultur und demokratischen Prozessen "Entscheidungen müssen wehtun - In der Politik herrscht Angst vor Konflikt. Für die Demokratie ist eine Welt ohne Streit aber reinstes Gift." http://www.theeuropean.de/sebastian-pfeffer/5318-streitkultur-in-der-politik Dass dieses ganze Gerede über Probleme bei den Piraten eben auch vom Wesentlichen ablenkt, den autokratischen, oligarchischen Entscheidungsstrukturen in den etablierten Parteien. Dass Einigkeit falsche Effizienz vorgaukelt, Konsens der in den Hinterzimmern durch Absprachen teuer erkauft wird: "Stritte man offen in einer Partei und stimmte dann ab, müssten die einzelnen Lager nicht mit Geschenken ruhig gestellt werden. Vor allem aber gibt die Demokratie sich einen autokratischen Anstrich: Die Kanzlerin soll bitteschön sagen, wo‘s langgeht und der Rest nicht dazwischen quatschen. Auf so einen Unsinn sollte man die Leute erst gar nicht bringen." "Was es braucht ist eine Streitkultur, die öffentlich ist und darauf besteht, dass es gut ist zu streiten. Dass es dauern kann, bis Entscheidungen fallen, weil es wichtig ist, darüber zu diskutieren. Eine Kultur, in der zugegeben wird, wenn sich eine Idee oder eine Person nicht durchsetzen konnte. Wo es Gegenkandidaten gibt und wo Wahlen mit 60 Prozent gewonnen werden, aber auch mal mit 51. Nur dann wird es auch in ein paar Jahrzehnten noch echte Demokraten geben."
Diesem Thema widmen wir einen Teil der Doppelseite, auf dem wir auch das komplette Liquid-Feedback-Interview dokumentieren - in der kommenden Ausgabe vom 18. Oktober.
Hinweis in eigener Sache:
In der Printausgabe hat Johannes Ponaders seine Aussage zu den Aussichten auf ein Wirtschaftkapitel im Parteiprogramm leicht modifiziert. Sie lautet nun folgendermaßen:
"Aber in Ihrem Parteiprogramm klaffen große Lücken.
Wir haben viele Bereiche bereits abgedeckt. Aber es stimmt, dass wir zum Beispiel in der Wirtschaftspolitik noch keine Grundsatzentscheidung getroffen haben. Wollen wir eine Vermögenssteuer? Wie wollen wir unser Wirtschaftssystem regulieren? Wir diskutieren gerade verschiedene Anträge."
Dies geschah, um das Printinterview mit Blick auf die aktuelle Entwicklung in der Debatte über das Piraten-Wirtschaftsprogramm zu aktualisieren. Also bitte nicht wundern.