Julian Assange beschimpft ihn als CIA-Spitzel. Für die Anhänger des australischen Chef-Leakers ist er ein Dieb und Verräter. Über Daniel Domscheit-Berg entlädt sich zur Zeit das, was man in der Online-Welt als Shitstorm bezeichnet. Der 33-jährige Informatiker hat sich vorgenommen, eine Konkurrenzplattform neben Wikileaks aufzubauen. Daraus ist ein Streit zwischen den Nerds ohne Nerven geworden, der inzwischen die Leaking-Idee als solche gefährdet. Das hätten sich die Gegner der Transparenz im Netz in Geheimdiensten und Politik besser nicht ausdenken können.
Domscheit-Berg hat vermutlich unterschätzt, wie heftig Assange, der bei Wikileaks einmal sein Chef war, auf die Entdeckung des größten Sicherheitslecks in der Geschichte der Pla
te der Plattform reagieren würde. Vor drei Wochen berichtete der Freitag erstmals über eine im Internet zirkulierende Datei mit unredigierten US-Botschaftsdepeschen. Seither lässt Assange keine Gelegenheit aus, Domscheit-Berg als Geheimdienst- oder „Polizeispitzel“ zu bezeichnen, ihm „Niedertracht“ oder Gewinnsucht zu unterstellen. Auch Openleaks, das der Freitag in seiner Testphase als Partner begleitet, sei eine „sehr dunkle Angelegenheit“, raunte Assange während eines Video-Interviews auf der Elektronik-Messe Ifa in Berlin.Mögen diese Vorwürfe aus Sicht von Domscheit-Bergs Team noch so hanebüchen erscheinen, potenzielle Whistleblower werden sich künftig dreimal überlegen, ob sie einem Openleaks-Briefkasten Dokumente anvertrauen. Was, wenn an den ganzen Vorwürfen doch etwas dran ist? So ist auf der Liste der Schwierigkeiten von Openleaks ein neues Problem hinzugekommen, ein Vertrauensproblem. Um es zu verdeutlichen, kann man ihm zum Beispiel den Namen Guido Strack geben. Strack ist Vorsitzender des deutschen Whistleblower-Netzwerks und rät seit der Wikileaks-Datenpanne davon ab, den Aktivisten um Assange Dokumente anzuvertrauen. Allerdings sagt er zugleich, dass auch Openleaks nicht transparent arbeitet: „Wir haben stets versucht, Kontakt mit Openleaks zu halten und es gab auch einen gewissen Austausch, der zuletzt aber etwas versiegt ist.“ Statt an ein Leaking-Portal sollten sich Informanten zurzeit lieber direkt an Journalisten wenden, „die Erfahrung mit dem Schutz ihrer Quellen haben“.Domscheit-Berg hat sich entschlossen, weder auf Assanges Vorwürfe noch auf Stracks Kritik entschieden zu reagieren. Er verhält sich nach einem Muster, gemäß dem er schon oft gehandelt hat: Türmen sich Hindernisse vor ihm auf, macht er sich rar, zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück und hofft, dass sich alles mit der Zeit lösen oder zumindest erklären wird. Schließlich seien die Openleaks-Leute ja weder Hacker noch Schwätzer, sondern Ingenieure, die an den Ergebnissen ihrer Arbeit gemessen werden wollen.Zweifel unter WohlmeinendenEs ist eine Strategie, die für Domscheit-Berg bisher aufgegangen ist. Nun aber beginnen selbst wohlmeinende Weggefährten aus seinem Umfeld, diese Reaktion in Frage zu stellen. Der Grund: In ihrer Wahrnehmung hat Openleaks inzwischen ein Problem, dem Domscheit-Berg nicht durch Wegducken ausweichen kann. Er ist es selbst.Denn was Domscheit-Berg auch tut, seine Vergangenheit holt ihn ein. In den Augen einiger Wikileaks-Anhänger hat schon der Bruch mit Assange bewiesen, dass Domscheit-Berg der reinen Leaking-Lehre untreu geworden ist. Nun aber will er die Dateien gelöscht haben, die er bei seinem Ausstieg mitgenommen hat – um Quellen zu schützen, wie er sagt. Die Löschaktion, die er in den nächsten Tagen notariell beglaubigen lassen will, soll einen Schlussstrich unter den Konflikt zwischen ihm und Assange setzen. Für die Zukunft des auf Partner angewiesenen Portals Openleaks hat er damit allerdings neue Fragen aufgeworfen.Wer garantiert zum Beispiel, dass sich eine solche Aktion nicht wiederholt, wenn Openleaks der Meinung ist, dass ein Medienpartner vermeintlich unverantwortlich mit eingereichten Dokumenten umgeht? Und wie wollen die Aktivisten verhindern, dass im Streitfall ein gekränkter Chef-Nerd den anderen den Zugriff auf Dokumente oder gar das Einreichsystem entzieht?Der Streit um das Sicherheitsleck bei Wikileaks hat ja zumindest eines gezeigt: Selbst ausgeklügelte Technik verhindert Missbrauch nicht, wenn der Datenschutz juristisch und organisatorisch nicht gegen schusseliges oder egoistisches Handeln abgesichert ist.Nach ihrem Weggang von Wikileaks haben sich die Aussteiger geschworen: Bei Openleaks soll es keinen Personenkult geben. Dennoch kontrollieren Domscheit-Berg und der Programmierer des elektronischen Briefkastens – der sogenannte Architekt – die beiden neuralgischen Punkte der Organisation: ihr öffentliches Bild und ihr technisches Herz. Beides macht nach außen hin bisher keinen sehr guten Eindruck – und das paradoxerweise, weil Domscheit-Berg partout vermeiden will, sich und Openleaks an manchen Fronten angreifbar zu machen.Bis auf einen verspätet gestarteten Testlauf und einen kurzfristig verschobenen Workshop auf dem Sommer-Hackertreffen des Chaos Computer Club (CCC) hat die Öffentlichkeit keinen Einblick in die Sicherheitsarchitektur des Projekts erhalten. Und selbst auf die Frage, ob Openleaks den Quellcode seiner Software jemals vollständig zur Kontrolle veröffentlichen werde, scheute Domscheit-Berg auf dem Hacker-Camp die einzig überzeugende, wenn auch egoistisch klingende Antwort. Er sagte: „Wir wollen Kriminellen kein Werkzeug in die Hand geben.“ Was er nicht sagte: Wenn jedes Medienunternehmen die Software kostenlos nutzen kann, könnte Openleaks als Organisation überflüssig werden.