Vor einigen Wochen ist Edgar Most nach Warnemünde an der Ostsee gefahren. Horst Klinkmann, der letzte Präsident der Akademie der Wissenschaften der DDR, hatte zum Geburtstag ins Hotel Neptun geladen. Ministerpräsident Erwin Sellering war gekommen, Wirtschaftsminister Jürgen Seidel und eben Most. Er sollte über die Finanzkrise sprechen, und da musste der Berliner lachen: „Man ist ja heute froh, wenn man als Banker überhaupt noch reden darf.“
Aber dann hat er den geladenen Gästen erzählt, was er denkt. So hat er es sein ganzes Leben lang gehalten: direkt und unverblümt. Most sprach von der Aufhebung der Goldparität 1970 zur Finanzierung des Vietnamkrieges, was den faktischen Beweis erbracht habe, dass Krieg und Militär die Währung entwerten. Er sprach von Ronald Reagan, der keinerlei Märkte mehr regulieren wollte, weil sich die selber regeln, was natürlich Unsinn sei. Der Markt allein sei eben gerade nicht sozial. Und schließlich sprach er davon, dass es in Ostdeutschland zu wenig echte Wertschöpfung gebe. „Denn wenn es die hier ausreichend gäbe“, schloss Most seine Ansprache, „dann wäre der FC Hansa jetzt nicht abgestiegen.“ Erst war es still, dann gab es donnernden Applaus.
Ein paar Tage später sitzt der Mann, der mit 26 Jahren der jüngste Bankdirektor in der DDR war, im Büro der Deutschen Bank am Boulevard Unter den Linden. Zur Linken liegt die russische Botschaft und zur Rechten die Staatsoper. Unter ihm residiert die Guggenheim-Sammlung. Und über ihm? Da ist im Prinzip nichts, er ist niemandem mehr verpflichtet. Denn Most ist seit drei Jahren Rentner. Aber weil der 70-Jährige, der als letzter Vizepräsident der DDR-Staatsbank und erster Chef der Deutschen Kreditbank in den neuen Ländern sowie als Direktor a. D. der Deutschen Bank mit seinem Netzwerk für das Ackermann-Institut auch heute noch unverzichtbar ist, hat ihm der Vorstand gestattet, das Büro weiter zu nutzen. Das Gehalt für die Sekretärin, die ihn seit 30 Jahren begleitet, zahlt Most allerdings selbst.
„Ich brauche die Millionen“
Sein Verhältnis zum Geld, zu Konten, Wechseln, Wertpapieren ist ein durchaus liebevolles. Das habe er, erzählt Most, von seinem Thüringer Großvater gelernt. Der sei Maurerpolier gewesen und habe die Backsteine gestreichelt. Diese Liebe zum Beruf hat er früh übernommen.
Dass er – inzwischen hält er das für eine glückliche Fügung seines Lebens – bereits zu DDR-Zeiten überlegen musste, ob ein Projekt wie der Wohnungsbau überhaupt finanzierbar sei, macht es ihm heute einfacher, die aktuelle Finanzkrise zu verstehen. Und ihr auch zu begegnen. Transaktionssteuer? „Ach, das ist doch auch nur wieder ein Schritt“, winkt er ab. „Das Hauptproblem ist, dass man nicht darüber nachdenkt, wer Geld schöpfen darf.“
Damit ist er mit seinen Gedanken bei Bretton Woods, wo 1944 festgelegt worden war, dass Geld eine Beziehung zur Realwirtschaft haben muss. Zugleich waren damals alle Währungen an den Dollar gekoppelt worden. Für eine Unze Gold, sagt Most, seien damals 35 Dollar zu zahlen gewesen. Doch der Vietnamkrieg habe die USA so arm gemacht. Die USA druckten – ohne Goldunterlegung – einfach Geld und gaben es frei, sie akzeptierten es gewissermaßen als Ware. Die folgende Aufhebung der internationalen Währungsbindung – all das, so ist sich Most sicher, sei der Beginn dessen gewesen, was wir gerade erleben – eine Blase. Verstärkt durch die Rüstung, für welche die Vereinigten Staaten Billionen ausgegeben und als Schuldscheine rund um den Erdball verkauft haben, entstanden daraus immer neue Produkte – immer neue Blasen.
Als Most jüngst an der Hamburger Führungsakademie der Bundeswehr seinen Kursteilnehmern erklärte, sie seien mitverantwortlich für die Krise, weil es eine direkte Beziehung zwischen dem Afghanistankrieg und den Erschütterungen der Finanzssphäre gibt – „da war ganz schön was los“. Edgar Most muss noch immer lächeln, er mag kontroverse Debatten. Natürlich weiß Most, dass nicht die Deutsche Bank als Global Player die Probleme wird lösen können. Lösen muss das Problem die Politik. Sie hat immer zugestimmt und auch nichts unternommen, nachdem sich Mitte der siebziger Jahre das Geld immer mehr verselbständigt habe. Heute sei eine Geldmenge in Umlauf, die in den letzten vier Jahrzehnten um das 40-fache gestiegen sei Gleichzeitig wuchs die globale Realwirtschaft jedoch nur um das 13-fache.
"Der reine Imperialismus"
Inzwischen aber, klagt er, könne jeder Geld aufnehmen. Eine Idee für ein Projekt, dazu ein buntes Prospekt – das reiche meistens schon. Doch die Blasen, die sich daraus bilden, will Most nicht freilassen. „Kapital ist international“, sagt er. „Kapital hat keine Heimat.“ Genauso wie der Markt sei es ihrem Wesen nach unsozial. Und da ein Staat das alleine die Kapitalflüsse nicht begrenzen könne, ist er sich sicher: „Die G20 müssten das als erstes machen.“ Eine Weltwährung, zunächst eine interne Verrechnungseinheit, müssten her. „Wie jetzt gegen den Euro spekuliert wird ist doch eine Schweinerei“, zürnt er. „Dabei ist der Dollar viel schwächer.“ Zahlenkolonnen, Unternehmensbilanzen und Kursgewinne – das ist die Welt von Edgar Most, dessen erste Großprojekt zu DDR-Zeiten die Finanzierung der Raffinerie Schwedt war. Im Parteilehrjahr brachte man ihm bei, dass „die Deutsche Bank und Hermann Josef Abs der reine Imperialismus“ sind. Dass er eines Tages selbst dort sitzen wird, das hat er nicht geahnt. Und doch hat er sich geschworen, stets zu sagen, was er denkt.
So steckt er im April 1990 Bundeskanzler Helmut Kohl die Bilanz der Staatsbank zu und warnt ihn vor dem Umtauschkurs von 1:2 zur D-Mark: „Herr Bundeskanzler, Sie haben einen Wechsel unterschrieben, der nicht gedeckt ist“, raunt er beschwörend. „Ich bin Politiker“, bürstet der ihn ab. „Ökonomen sind dazu da, die Probleme zu lösen.“ So kommt, was kommen muss. Mit der Einführung der D-Mark geraten viele Ost-Firmen ins Schlingern.
Most, der sich nicht nur für die 13.000 Mitarbeiter der DKB, sondern auch für Ostdeutschland insgesamt irgendwie verantwortlich fühlt, kennt die unter Zeitdruck und mangels Vergleichbarkeit geschönten DM-Eröffnungsbilanzen. Er erlebt auch den Kurswechsel der Treuhandanstalt. Während deren erster Chef Detlev Rohwedder ihm unter vier Augen versichert habe, er wolle 70 Prozent aller Firmen sanieren, so lautete die Maxime seiner Nachfolgerin Birgit Breuel: Privatisieren um jeden Preis.
Steueroase im Osten
20 Jahre später gibt die Entwicklung Most Recht. Die Arbeitsproduktivität im Osten beziffert er ohne Fördermittel auf etwa 50 Prozent des Westens. Die Gelder, die im Osten erwirtschaftet werden – er kennt es aus jahrelanger Praxis – werden am Tag nach ihrem Eingang in den Westen oder in die Schweiz transferiert. Ob ihn jemand versteht? Vor einiger Zeit hat er mit Theo Müller, dem Molkereibesitzer und Eigentümer von Sachsenmilch, darüber gesprochen. Müller hat ihn angeschaut und erwidert: „Aber ich schaffe doch Arbeitsplätze.“ Weil diese Haltung weit verbreitet ist, es aber bei weitem nicht ausreicht, um den Osten voranzubringen, würde Most am liebsten die neuen Länder zur Steueroase erklären. Wer seine Gewinne dauerhaft im Osten investiert, wird steuerlich begünstigt. Nur so wird es gehen, sagt Most, der Pragmatiker. Der Solidarpakt läuft aus, ab 2011 fließen viele Gelder schon nicht mehr. Für Westdeutschland, auch das ist ihm klar, ist es eine Zumutung, weiter Milliarden in die andere Hälfte der Republik zu transferieren. „Wenn der Osten bis 2020 nicht auf selbst tragenden Füßen stehen, dann werden hier bald nur noch sieben Millionen Menschen leben.“
Most könnte es sich einfach machen. Er hat längst ausgesorgt. Er ist ein Gewinner der Einheit, wie er freimütig einräumt. Zweimal im Jahr, wenn ihm Kollegen für ein paar Tage ihre Häuser oder Berghütten überlassen, fährt er in die Wirklichkeit. Er trifft sich mit drei uralten Freunden, die ab 1992 arbeitslos waren. Sie wandern, sitzen und singen, sie trinken auch einen Enzian, die Freundschaft hat alles überdauert. Und Most weiß natürlich: „Da hören sie die echten Wahrheiten.“
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