Juden als Wegbereiter des deutschen Fußball? Eine Vorstellung, die so gar nicht ins gängige "Judenbild" passt. Juden haben die moderne Kunst und Literatur bereichert, sie haben Kaufhäuser gegründet und eine tragende Rolle in der deutschen Linken gespielt, so die gängigsten Klischees. Manche andere "Geschichte" der deutschen Juden wurde darüber vergessen. Auch ihr Beitrag zum deutschen Massensport schlechthin - dem Fußball.
Ein längst fälliges Buch erinnert jetzt an die vergessene Geschichte der Juden im deutschen und internationalen Fußball. Im Sammelband Davidstern und Lederball, herausgegeben von Dietrich Schulze-Marmeling, begeben sich Sportjournalisten und Historiker auf Spurensuche, berichten von der prägenden Rolle jüdischer Funktionäre und Mäzene bei der Gründung vieler deutscher Fußballclubs und erinnern an jüdische Nationalspieler im Trikot des DFB. Ein Manko des Bands, der 13 Aufsätze zum deutschjüdischen und weitere 15 zum jüdischen Fußball in anderen Ländern enthält, ist, dass sich viele Fakten und Geschehnisse überschneiden und wiederholen. Die Frage etwa, warum gerade der Fußball viele jüdische Sportler anzog, wird in vielen Einzeldarstellungen zwar angerissen, aber nirgendwo detailliert ausgeführt. Man erfährt, dass die Turnvereine im späten 19. Jahrhundert mit der chauvinistischen Ideologie von Turnvater Jahn sympathisierten und Juden als Mitglieder ablehnten. Dass dabei aber nicht nur einfache Animositäten gegen die jüdischen Mitbürger und der Wunsch, unter sich zu bleiben, eine Rolle spielten, sondern dass man sich, ganz wissenschaftsgläubig, auf die Medizin berief, die den jüdischen Körper um die Jahrhundertwende massiv pathologisierte, wäre zum Verständnis wichtig.
Die etablierte Medizin behauptete, Juden hätten Plattfüße, eine schlechte Haltung und andere körperliche Mängel mehr, kurzum: sie wären der hohen deutschen Turnerkunst körperlich nicht gewachsen. Die Zionisten gründeten im Gegenzug eigene Turnvereine, die der Ideologie Max Nordaus anhingen. Nordau forderte die Schaffung eines neuen jüdischen Körpers: den sogenannten Muskeljuden. Die größtenteils assimilierten deutschen Juden reagierten allerdings ablehnend auf Nordaus Ideologie. Erik Eggers und Jan Buschbom schreiben, dass viele Juden sich gerade vom Eintritt in Sportvereine Anerkennung durch die nichtjüdische Mehrheit versprachen. Im Sport suchten sie "einen Alltag ohne Antisemitismus".
Einen weiteren Grund für die jüdische Fußballbegeisterung sieht Bernd M. Beyer in seinem Porträt über Walter Bensemann in der weltoffeneren Erziehung des bürgerlich jüdischen Milieus. "Bensemann entwickelte schon früh eine Begeisterung für alles Englische oder das was er für Englisch hielt: das Ideal des Fair Play, die vorurteilsfreie Offenheit eines Weltenbürgers, die Selbstdisziplin und Philanthropie des Gentleman, die Erziehung zum Sportsman." Kein Wunder, dass die deutsche Turnerschaft den Fußball mit Verachtung strafte. Bensemann entwickelte sich zu einem der einflussreichsten und rastlosesten Künder und Macher in Sachen Fußball: er gründete die ersten deutschen Fußballvereine, wie die Karlsruher Kickers, Bayern München und war maßgeblicher Mitbegründer des DFB, dessen Name auf Bensemann zurückgeht.
Aber für Bensemann erschöpfte sich der Fußball nicht auf dem Rasenplatz. Er war ein sportpolitischer Utopist. Schon vor der Jahrhundertwende träumte er von einem grenzüberschreitenden europäischen Sportverkehr und organisierte unter anderem ein Freundschaftsspiel mit einer französischen Mannschaft. Nach einem Englandaufenthalt widmete sich Bensemann in den Nachkriegsjahren verstärkt seiner Fußballleidenschaft und seinem Glauben an die völkerverbindende Kraft des Sports. 1920 gründete er die erste Fußballzeitung: den Kicker, die noch heute einflussreichste Sportzeitung Deutschlands.
Dass die Bayern nicht immer so unsympathisch waren wie heute, davon erzählt Schulze-Marmeling in seinem Aufsatz über den "Judenclub" FC Bayern München. Unter den Gründern des Klubs waren die jüdischen Fußballpioniere Gustav Rudolph Manning, Sohn eines Frankfurter Kaufmanns, und Franz Pollack. Bayern München avancierte schnell zum bürgerlichsten Verein des deutschen Fußballs und war im Herzen Schwabings beheimatet, in dem zur Jahrhundertwende die Bohème-Kultur pulsierte. Für die Gegner waren die Bayern ein "Protzenclub". Der jüdische Kaufmann Kurt Landauer prägte die Geschichte der Bayern ab 1913. Er organisierte in den zwanziger Jahren regelmäßige Matches gegen renommierte ausländische Fußballclubs wie Budapest, Amsterdam, Paris und Prag, Vereine, die von den gegnerischen Fans als "Juden-Clubs" verschrien waren. Auch dem FC Bayern hing ob seiner vielen jüdischen Mitglieder bald der Ruf des "Juden-Clubs" an.
Glanzvoller Höhepunkt der Präsidentschaft Landauers war der Gewinn der deutschen Meisterschaft unter dem ebenfalls jüdischen Meistertrainer Richard Dombi am 12. Juni 1932 gegen Frankfurt. Die goldenen Bayern Zeiten fanden 1933 ein jähes Ende. Der Erfolgspräsident Landauer kam seiner Entlassung aufgrund des in Kraft getretenen Arierparagraphen zuvor und gab sein Präsidentenamt nach der Machtergreifung Hitlers auf.
Während der judenfreie FC Bayern München von den neuen Machthabern gewisse Benachteiligungen aufgrund seiner jüdisch-liberalen Tradition erfuhr, bekamen seine jüdischen Angestellten den nationalsozialistischen Terror leibhaftig zu spüren. Meistertrainer Dombi und der ebenfalls jüdischstämmige Jugendleiter Beer emigrierten in die Schweiz und nach Holland. Dombi knüpfte in den folgenden Jahren mit Feyenoord Rotterdam an seine Münchner Erfolge an. Kurt Landauer hingegen wurde 1938 in der sogenannten Reichskristallnacht verhaftet und ins Konzentrationslager Dachau verschleppt. Nach vierwöchigen Misshandlungen wurde er entlassen und flüchtete 1939 in die Schweiz, wo er die Judenvernichtung überlebte. Am 20. September 1947 übernahm Landauer wieder die Leitung des ehemaligen "Juden-Clubs" und blieb bis 1951 Bayern-Präsident.
Anderen einst berühmten jüdischen Fußballern und Funktionären erging es noch schlimmer als Landauer. Walter Bensemann verstarb nach der "Arisierung" des Kicker mittellos in der Schweiz. Der Rekordtorschütze Gottfried Fuchs überlebte die Naziherrschaft in Kanada. Julius Hirsch wurde in Auschwitz ermordet. Die Ideen der Völkerverständigung und Toleranz, denen sich viele jüdische Fußballpioniere verpflichtet fühlten, waren unwiderruflich zerstört. Nichtjuden und Juden spielten in Deutschland für lange Zeit nicht mehr gemeinsam Fußball. Begeisternden Fußball spielten Juden in Deutschland nach 1933 dennoch weiter. Werner Skrentny spricht sogar von einer "Blütezeit des jüdischen Sports". Eigene Fußball-Ligen wurden gegründet, jüdische Fußballmannschaften maßen sich untereinander. 1938 wurden auch die jüdischen Sportbünde, Inseln innerhalb des alltäglichen Terrors, durch die Nazis aufgelöst.
Michael Skrentny erinnert in einem Aufsatz an das für lange Zeit letzte Kapitel jüdischen Fußballs in Deutschland. Etwa 250.000 jüdische Menschen lebten nach der Befreiung der Konzentrations- und Vernichtungslager in Deutschland, Überlebende aus aller Herren Länder, die nur ein Ziel hatten: aus Deutschland auszuwandern. Besonders in der amerikanischen Besatzungszone in Südwestdeutschland lebten teilweise mehrere Tausend "Displaced Persons" in alten Wehrmachtskasernen oder Genossenschaftssiedlungen. Untereinander sprach man jiddisch und versuchte, nach dem erlebten Grauen einen möglichst "normalen" Alltag zu organisieren. Dazu gehörte der Fußballsport. Skrentny führt aus, dass in den Jahren 46 bis 48 mehrere "Displaced Person-Ligen" mit bis zu zwölf Teams in Süddeutschland existierten. Skrentny erzählt, dass die Meisterschaftsspiele das Zentrum des Lagerlebens bildeten. Sogar eine eigene "Jidize Sport Cajtung" erschien im zweiwöchigen Rhythmus und verkaufte 5.000 Exemplare. Insgesamt existierten bis zu 70 verschiedene Lagerzeitungen, die nach Skrentny die einzigen Quellen zur Rekonstruktion dieses letzten großen Kapitels des jüdischen Sports in Deutschland sind.
Davidstern und Lederball. Hrsg. Von Dietrich Schulze-Marmeling. Die Werkstatt, 2003, 503 S., 26,90 EUR
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