T-Shirts sind Bekenntnistafeln. Mit ihren modischen Slogans fassen sie das Anliegen des Trägers in einem Satz prägnant zusammen und künden der Welt davon. "Jews kick Ass" (im übertragenen Sinne etwa: "Juden zeigen´s Euch") ist so ein Slogan, eine Weisheit, die wahrscheinlich schon viele jüdische Generationen dachten, aber sich nicht aufs Hemd zu drucken trauten. Das Heeb-Magazin macht Schluss mit solcher Bescheidenheit und versammelt unter dem genannten Slogan comicartige Porträts von Jesus, Bob Dylan, Albert Einstein und Mr. "Startreck" Spock himself, um jeden Einspruch im Keim zu ersticken. Dass sich hier ein neues jüdisches Selbstverständnis artikuliert, ist offensichtlich, und das quietschbunte Heeb ist nicht der einzige kulturelle Output der davon zeugt.
Eine Woche lang verbrachten die Redakteure Jenifer Bleyer und Michael Schiller in Berlin, um die vierte Ausgabe ihrer in New York erscheinenden New Jew Review zu feiern. Eingeladen hatte sie der künstlerische Leiter der Berliner Jüdischen Kulturtage Wijtold Klemm, um zu zeigen, dass jüdische Kultur auch jenseits von Holocaustliteratur und Klezmerklängen stattfindet. Gerade in Deutschland hat sich die Wahrnehmung auf diese Sparten verengt, findet Klemm, und die Jüdischen Kulturtage versuchen seit einigen Jahren, dem programmatisch etwas entgegenzusetzen.
Von den Heeb-Machern könnten die jungen Juden in Deutschland sich abgucken, dass es neben Folklore, Holocaustgedenkkultur und Religion auch eine jüdische Popkultur gibt, die offensiv und provokativ all das durch die Mangel dreht, was irgendwie mit Judentum zu tun hat. Dass Jüdischsein auch positiv und mit Spaß zelebriert werden kann, wird im Land der Täter vor allem von deutscher Seite tabuisiert, und es wird wohl noch einige Zeit vergehen, bis junge Juden in Deutschland sich die Freiheit nehmen können, einen solch selbstironischen und reflektierten Ethnizismus zu pflegen, wie es die Heeb-Macher tun. Zu verschieden sind die jüdischen Welten: In den USA sind Juden längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, während in Deutschland jede jüdische Einrichtung von schwerbewaffneten Polizisten geschützt werden muss.
Für Aufsehen sorgte der Magazintitel aber auch in der jüdischen Comunity der USA. "Heeb" war in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts ein antijüdisches Schimpfwort, vergleichbar mit dem Ausdruck "Nigger". Von jüdischem Selbsthass, der ihnen von manchen Kritikern vorgehalten wurde, will Jenifer Bleyer aber nichts wissen. Provokative Umdeutungen von stigmatisierenden Begriffen seien ja wohl nichts Neues. Dem Heeb-Magazingehe es ganz einfach um eine Abgrenzung vom offiziellen Selbstverständnis der amerikanischen Juden. Und das bringen die Redakteure, beide Ende 20, teilweise recht ketzerisch zum Ausdruck: ein durchgeknallter, mit tätowierten Hakenkreuzen übersäter Typ berichtet vom seinen "unerklärlichen" Erlebnissen, für einen Neonazi gehalten zu werden ("dabei ist das Hakenkreuz doch nur ein altes indisches Symbol"); und die vorbehaltlose Unterstützung Israels wird durch Reportagen aus den Palästinensergebieten in Frage gestellt.
Natürlich ist das alles nicht ganz neu. In ironisch-ketzerischer jüdischer Selbstbespiegelung haben sich auch schon Woody Allen oder Philip Roth geübt. Neu ist vielleicht eher die Selbstverständlichkeit, in der das Heeb-Magazin mit den Klischees und Bildern spielt. Während Roth und Allen sich - ganz Klischee - als Großstadtneurotiker inszenierten, ziert das Cover des Heeb ein echter Superjude, passend zur ersten jüdischen Superheldenadaption Hebrew Hammer, die der Regisseur Jonathan Kesselmann jetzt auf die Leinenwand brachte. Daneben gibt´s jüdische Hip Hopper, Sprayer und Punkrocker: Alltagshelden in Szenen, in denen Juden noch immer Exotenstatus besitzen.
"Exklusiv jüdisch ist der Heftinhalt aber nicht", sagt Schiller. Es gehe Heeb zwar um eine Art Reflexion der zeitgenössischen jüdischen Kultur, das schließe aber auch diejenigen Leser ein, die sich für Jüdisches interessieren oder sich mit ihm identifizieren. Herkunftsnachweise würden nicht gefordert, lacht er und erzählt, dass ein Old-School-Sprayer, der im Heeb-Interview über seine Zeit als jüdischer Graffitikünstler zwischen all den schwarzen und Latino-Kids berichtet, sich am Ende schließlich als waschechter Gojim herausstellte. Warum Tracy 168 sich als Jude ausgab, das weiß Schiller bis heute nicht, und es ist ihm eigentlich auch ziemlich egal. Dem Heeb-Magazin geht es nicht um die Rückgewinnung eines wie auch immer gearteten Essentialismus, eher dokumentieren die Heftseiten die vielfältigen Hybridisierungen, die jüdische Inhalte in einer multikulturellen Gesellschaft erfahren: Beispiele hierfür sind so genannte "Jewfros" (Juden mit imposanten Afro-Frisuren) genauso wie ein orthodoxreligiöser Rapper, der in New York Erfolge feiert.
Dass Heeb den Nerv der Zeit getroffen hat, zeigen die euphorischen Reaktionen, die das Magazin landesweit ausgelöst hat. Alle großen Medien - von New York Times bis CNN - bejubelten die unkonventionelle Art, mit der die Heftmacher die Komplexitäten der jüdischen Identitätsdebatten locker umschifften. Während die jüdischen Gemeinden mit groß angelegten Kampagnen um Nachwuchs werben und vor dem Niedergang des Judentums warnen, zeige sich überall ein wachsendes Bedürfnis, sich mit dem eigenen Judentum auseinander zu setzen, sagt Jenifer Bleyer. Allerdings geschehe dies nicht innerhalb der Gemeinden, sondern auf verschiedensten kulturellen Feldern. Von einer richtigen kulturellen Bewegung könne man vielleicht noch nicht sprechen, aber es treffe zu, dass sich sehr viele Musiker, Künstler und Literaten auf eine neue, unbefangene Weise mit ihrem Jüdischsein beschäftigen: So gibt es jüdische Punkfanzines, Fashiongags wie "Jew Lo", die manifestartig die Sexyness jüdischer Frauen verkünden und bauchfreie T-Shirts feilbieten, und es gibt Punkrocker wie Yidcore. Manche nennen sich "Jews on the Egde" oder "Fringed Jews". Kulturelle Bewegungen würden sowieso erst zehn Jahre später als solche erkannt, grinst Michael Schiller. "Postradical-Jew-Movement" könne man das Ganze, von ihm aus, dann nennen.
Über die Relevanz dieses "kulturellen Phänomens", ein Begriff, auf den wir uns schließlich einigen, wird im Forward und anderen jüdischen Publikationen gestritten. In Zusammenhang mit Reportagen über Skater und DJs wird der Lifestylevorwurf erhoben. Vorwürfe, auf die Heeb gelassen reagiert: erstens verstehen es sich als popkulturelles Magazin, bei dem der Spaß im Vordergrund steht, und zweitens ist der Anteil an alternativ-politischen und schwullesbischen Themen so hoch, dass er den von deutschen "linken" Magazinen wie Spex locker toppt. Von Mainstream-Publikationen wie Neon ganz zu schweigen.
Gemeinsam ist den neuen jüdischen Kulturaktivisten eine "Jiddischkeit". Jiddisch wird gerappt, getanzt und auf T-Shirts gedruckt. Überall Meshuggah, Shmendrick und knishes plus jiddischen Superjew. Auch Heeb benutzt immer wieder jiddische Wörter und Redewendungen, die den englischen Satzfluss durcheinanderwirbeln. Für Jenifer Bleyer ist das eine zeitgenössische Aneignungsform des Jiddischen. "Du wirst bei uns keine Artikel über Klezmer und die anderen typischen Sachen finden, die man in einer jiddischen Zeitung erwartet. Nostalgie und Folklore lehnen wir kategorisch ab." Jiddisch versteht sie als kulturelles Set, das von jüdischen Lebensstilen und Sprachformen aus dem alten Europa erzählt. Eine Diasporakultur, die nicht durch Universitätsseminare wiederbelebt werden könne, sondern indem man sie "guerillamäßig" in die Hegemonialsprache einflechte und hybride Sprachformen entwickle.
Worin aber besteht das spezifisch "Jüdische" der hybriden Kultur, wie sie den Heeb-Machern vorschwebt? Hierüber besteht Dissens. Gerade die Popkultur, deren Zeichensystems sich Heeb bedient, gilt vielen als Assimilations- und Gleichmachungsmaschine schlechthin. Doch hinter solcher Kritik verstecken sich oftmals Interessenkonflikte. Hasdai Westbrook schreibt im jüdischen Internet-Studentenmagazin New Voices gar von einer "Schtetl-Mentalität" des offiziellen amerikanischen Judentums. Jede kulturelle Öffnung nach außen, werde sofort als Angriff auf die Grundfesten einer jüdischen Identität interpretiert und unter den Generalverdacht einer zerstörerischen Assimilation gestellt. Auch die Heeb-Leserbriefspalten spiegeln die Uneinigkeit darüber, ob Popkulturalisierung zeitgemäße Aktualisierung oder Ausverkauf des Jüdischen bedeute.
Für Westbrook sind das aber Scheingefechte, die nichts daran ändern, dass auch jüdische Identitäten sich den Zeitläuften entsprechend verändern. Eine "Schtetl-Mentalität" sei in den USA als der einzigen Gesellschaft der Welt - Israel eingeschlossen -, in der Juden keinerlei Bedrohung ausgesetzt sind, einfach anachronistisch. Er versteht Heeb und andere als Beispiele für die positiven Seiten der Assimilation insofern, als junge jüdische Künstler und Musiker selbstbewusst ihren Teil zur multiethnischen amerikanischen Populärkultur beitragen und sich dafür auch "schwarzer" oder anderer Vorbilder bedienen.
Westbrooks Begriff der Assimilation darf nicht mit dem der Assimilationsgeschichte der Juden in Deutschland verwechselt werden. Sie war bestimmt durch Ausmerzung des "Jüdischen" und bedeutete immer Anpassung an die Hegemonialkultur. Ob sich eine multikulturelle Jiddischkeit heute in Deutschland etablieren könnte, ist fraglich. Aber vielleicht würde sie auf fruchtbaren Boden fallen. Wijtold Klemm von den Berliner Jüdischen Kulturtagen jedenfalls weiß, dass gerade die jungen Leute keine Lust mehr haben, "Klischees von alten Männern mit weißen Bärten und Schtetl -Kitsch vorgesetzt zu bekommen".
Über einen Kamm scheren lassen sich die neuen jüdischen Stimmen sowieso nicht. Während manche für sich einen existenziellen Zugang zum Judentum finden, stellt Jüdischsein für andere nur eine Facette ihrer Identität unter anderen dar, die sie in den kulturellen Melting-Pot einspeisen. Gemeinsam ist ihnen der popkulturelle Hintergrund. Bob Dylan, Albert Einstein, Jesus und Spock gehören sicherlich dazu.
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