Die Wahl-Kampf-Maschine

Mit PR-Inszenierungen gegen Nachrichtenbilder Warum der Skandal von Abu Ghraib George W. Bush trotz der scheinbaren Allmacht der Berater und Spindoktoren zu Fall bringen könnte

Eine der Schlüsselszenen aus dem Hollywood-Film Wag the dog (1998) geht ungefähr so: Wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl kursiert das Gerücht, das US-Staatsoberhaupt habe etwas mit einer minderjährigen Schülerin gehabt, ausgerechnet im Oval Office. Doch bevor der pikante Sexskandal von der Washington Post aufgedeckt werden kann, lässt der Beraterstab des amerikanischen Präsidenten den ausgefuchsten PR-Strategen Conrad Brean (Robert De Niro) zu sich holen. Gemeinsam mit dem großkotzigen Filmproduzenten Stanley Motss (Dustin Hoffman) heckt "Mr. Fixit" ein ziemlich abgebrühtes Täuschungsmanöver aus: Um die Wahl noch zu retten, inszeniert er für die Medien einen fiktiven Krieg der USA gegen Albanien. Der Plan geht auf: Schon kurze Zeit später ist die Weltöffentlichkeit abgelenkt und blickt gebannt auf die vermeintlichen Kriegsbilder, entstanden in der Traumfabrik Hollywood. Mit Hilfe digitaler Bildbearbeitung wird eine Heldensaga zurechtgesponnen, die den Präsidenten am Ende als krisenresistenten politischen Führer dastehen lässt - und seine Wiederwahl perfekt machen.

Aus heutiger Sicht liest sich die Story von Wag the dog wie eine Persiflage auf die Clinton-Administration während der Lewinsky-Affäre - obwohl der Film einige Zeit davor abgedreht war; was die medialen Inszenierungsmethoden eines Kriegs angeht, hat einmal mehr die Wirklichkeit inzwischen die Satire überholt: Um Führungsstärke und Krisentauglichkeit zu beweisen, hat der amtierende US-Präsident George W. Bush in seiner ersten Amtszeit zwei ganz und gar nicht fiktive Kriege in Afghanistan und Irak angezettelt, die ihn ursprünglich in die nächste Amtszeit hinüberretten sollten. Doch seit den menschenverachtenden Bildern aus den amerikanischen Gefängnissen in Abu Ghraib arbeiten seine PR-Strategen und Medienberater auf Hochtouren, um das reale Vergehen von US-Soldaten an irakischen Gefangenen zu übertünchen und die Öffentlichkeit wenige Monate vor der Wahl auf andere Gedanken zu bringen.

Jüngste Beispiele sind nicht nur der Papst-Besuch Bushs im Vatikan, seine versöhnliche Rede in der Normandie anlässlich des D-Day und die Reagan-Trauerfeier. Die symbolischen Medieninszenierungen begannen bereits mit dem von den beiden arabischen TV-Sendern al-Hurra und al-Arabia ausgestrahlten Bush-Interview, in dem er Stellung zu den schrecklichen Misshandlungen bezog, und dem spontanen Besuch von Donald Rumsfeld im berüchtigten Foltergefängnis Abu Ghraib. So stellte sich der US-Verteidigungsminister, just, als immer mehr Politiker und Leitartikler seinen Rücktritt forderten, einfach taub und überraschte die Medien mit einer Stippvisite bei den im Irak stationierten US-Militärs. Mit der von CNN live übertragenen Rede Rumsfelds an die Soldaten, so wohl die Strategie der PR-Logistiker im Washingtoner Machtzentrum, könne er der Welt demonstrieren, dass die Moral der Truppe keinen Schaden genommen habe. Und er deshalb ebenso wenig seinen Stuhl räumen müsse.

Peinliche Gesten der Schadensbegrenzung, die fünf Monate vor der Wahl ganz offensichtlich vom "Sexskandal" (New York Times) des derzeit amtierenden US-Präsidenten ablenken - oder ihn zumindest entkräften sollen. Zunehmend werden "Gegen-Bilder erzeugt und verbreitet, die ›amerikanische Werte‹ repräsentierten", stellt der Hamburger Politikwissenschaftler Hans J. Kleinsteuber fest. Dazu zählten positive Militär-Images genauso wie die Ausstrahlung der von Terroristen gefilmten Internet-Bilder von der Enthauptung des Technikers Nicholas Berg.

Dass die Berichterstattung über die Gefangenenbilder unter Wahlkampfaspekten jedoch für die PR-Leute ein Desaster ungeahnten Ausmaßes darstellt, das den Ausgang der Wahl stärker beeinflusst als Bush lieb sein kann, bestätigt eine Umfrage unter rund 1.000 US-Bürgern, die der Nachrichtensender CNN und die Tageszeitung USA Today vor vier Wochen beim Gallup-Institut in Auftrag gegeben hatten: War die Stimmung in weiten Teilen der USA während des Irak-Feldzugs noch überwiegend pro Bush, sind seine Umfragewerte kurz nach Veröffentlichung der Folterbilder drastisch gefallen, nämlich von 70 Prozent (im April 2003) auf 46 Prozent (Mitte Mai 2004). Den neuesten Umfragewerten zufolge liegt sein Herausforderer, der spröde Demokrat John Kerry, sogar mit 51 zu 44 Prozent vorne - das niedrigste Ergebnis für Bush seit seinem Amtsantritt vor dreieinhalb Jahren.

Dieser Trend wird sich auch trotz Wirtschaftswachstum so rasch nicht umkehren, zumal das arg ramponierte Image Bushs als globaler Befreier und Demokratie-Missionar kurzfristig kaum noch zu kitten ist. Derzeit sieht es vielmehr so aus, als würden sich die beiden Kombattanten Anfang November zumindest ein knappes Kopf-an-Kopf-Rennen liefern.

In der Mediengesellschaft Amerikas, wo die Gunst um Wählerstimmen maßgeblich durch Medienpräsenz geprägt und das Fernsehen - gewollt oder ungewollt - zum eifrigen Überbringer diverser Wahlwerbebotschaften wird, ist der Einfluss von Pressekonferenzen, Exklusiv-Interviews, Fototerminen und TV-Auftritten in Talk- und Comedy-Shows ins Unerträgliche gewachsen: Jede noch so kleine Negativ-Inszenierung des politischen Personals kann das Zünglein an der Popularitätswaage bedeuten. Umgekehrt wird die Ad-hoc-Berichterstattung im Fernsehen zuweilen genutzt, um Kritikern den Gegenwind aus den Segeln zu nehmen - indem das Publikum notfalls vor vollendete Tatsachen gestellt wird, Beispiel Rumsfeld.

Derweil Bushs dramatische Umfragewerte weiter absinken, läuft die Wahlkampf-Maschine in den Hinterzimmern des Weißen Hauses bereits seit Wochen auf Hochtouren. Deutlich früher als geplant fahren PR-Strategen, Krisenmanager und Spin Doctors schwere Geschütze auf, um die hungrige Pressemeute mit guten Meldungen über den Präsidenten zu befüttern. Während die Konsequenzen des politisch instabilen Nachkriegsirak weiter hitzig diskutiert werden, wird jeder Truppenbesuch, jede Auslandsreise, jeder Politikergipfel der Bush-Regierung mit Blick auf die Medien taktisch lanciert.

Um die Schatten der jüngeren Vergangenheit im Irak ebenso wie die innenpolitischen Probleme nonchalant abzuschütteln, setzt Bush dabei - überraschenderweise - vor allem auf Auslandsbesuche in Europa. Und obwohl die Wahlkämpfer aus Washington sich so manches ausdenken, was den Präsidenten und seine Regierungsmannschaft jetzt in ein positives Licht zu rücken vermag und die Wechselwählerschaft in den kommenden Monaten noch mobilisieren könnte, zeigt sich, dass die meisten Inszenierungsversuche zum Scheitern verurteilt sind.

Wohl kalkuliert und nicht minder sorgsam in Szene gesetzt war etwa die Audienz bei Papst Johannes Paul II. vor zwei Wochen, die sich Bush mit einem "Trick" (La Repubblica) erschlichen hatte: Der US-Botschafter im Vatikan, Jim Nicholson, hatte Journalisten von sich aus wissen lassen, sein Dienstherr treffe Anfang Juni den Papst - gleichwohl der noch gar keinen Termin hatte. Wohlwissend, dass der Vatikan bei derlei Überrumpelungen aus Nächstenliebe nicht widerspricht, kam das Treffen zustande, obwohl der Heilige Vater am gleichen Tag eigentlich in die Schweiz reisen wollte. Nach Ansicht von Beobachtern erhoffte sich Bush von diesem Trick Vorteile im Kampf um die Stimmen orthodoxer Katholiken in den USA. Mit einem untergebenen Lächeln auf den Lippen gelobte Bush im Blitzlichtgewitter der Kameras Besserung - und blitzte beim Papst trotzdem ab. Zwar hatte das Oberhaupt der katholischen Kirche den Amerikaner nicht so hart ins Gebet genommen wie von den Bush-Gegnern erhofft, ihn aber unmissverständlich und medienöffentlich auf die "beklagenswerten Ereignisse, die das Gewissen der Menschen erschüttert haben" hingewiesen. Der opportunistische Kniefall vor dem Heiligen Vater konnte nicht vom amoralischen Sündenfall im Irak ablenken.

Bushs Versuch vorvergangenes Wochenende, die Demokratisierungsideale des D-Day auf heute zu übertragen, muss ebenfalls als wahltaktische Blamage interpretiert werden. Zwar gab sich Bush jovial und "konzilianter" (Der Spiegel) denn je, doch der Schuss, bei den Feierlichkeiten einen Schmusekurs mit "Alteuropa" zu inszenieren, ging nach hinten los. Der Führer der Supermacht enttarnte sich selbst als populistischen Stimmenfänger, dem jedes Mittel recht ist. Zum Beispiel historische Vergleiche, die hinken: Indem er die Landung der Alliierten Truppen am 6. Juni 1944 mit dem Kampf gegen Saddam Hussein verglich, was nicht nur Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac höchst verwundert zur Kenntnis nahm, katapultierte er sich nicht nur ins diplomatische Abseits. Die angesichts der instabilen Lage im Nachkriegsirak grotesk anmutenden Bilder vom kitschigen Militärtamtam in der Normandie dokumentieren vor allem, dass Bush isolierter dasteht denn je und sich Europas Regierungschefs nicht als Claqueure für seine Wahlkampfzwecke einspannen lassen wollen.

Und auch der Staatsakt für den gestorbenen Ex-Präsidenten Ronald Reagan vergangenen Freitag wurde "nicht zufällig mit unendlichem Bilderaufwand inszeniert", so Politikwissenschaftler Kleinsteuber. Die Erinnerung an Reagan beruhige die konservative Seele und schmeichele deren Vorstellung von stolzem Amerikanismus. So hat das rituelle Brimborium um den Staatsakt das republikanische Amerika wahrscheinlich vorübergehend "zusammengeschweißt", wie Malte Lehmig im Tagesspiegel folgerichtig vermutet. In den Reigen der Kondolenzerklärungen mischten sich die symbolischen Verklärungen der Amtszeit Reagans, die allerdings nicht seine simplifizierenden antikommunistischen Parolen vom Kampf des Guten gegen das Böse vergessen machen können, nicht zuletzt, weil sie heute in den Äußerungen seines politischen Enkels George W. Bush weiterleben. Und wenn der neue virtuose Verfechter des Gut-Böse-Schemas den alten als "Verteidiger der Freiheit" und "großen Visionär" preist, wirkt dies durch die neoliberale Bush-Brille besehen wahrscheinlich noch nicht einmal weit hergeholt - auch wenn das Böse in der Welt von heute vornehmlich in Höhlen statt hinter Mauern lauert.

"Ein Film wie aus Hollywood - das war auch Ronald Reagans Leben", resümierte denn auch Wolfgang Koydl in der Süddeutschen Zeitung. Ein schmalziger wie ironischer Vergleich, der zweifellos auch auf die abenteuerliche Gegenwartspolitik Bushs zuträfe, wäre sie nicht so bittere Realität.

Nimmt es da Wunder, dass sich (fast) ganz Hollywood gegen Bush verschworen hat? Der Herausforderer Kerry mag vielleicht eher in Graustufen denken als schwarz-weiß und weder durch Optik noch eloquente Losungen von sich reden machen, doch spätestens seit dem terroristischen Tohuwabohu in Irak ist Bush zur eindeutigen Zielscheibe von Showbusiness und Unterhaltungsindustrie geworden. Bush-kritische Filme und Fernsehsendungen sind an der Tagesordnung, und immer weniger Stars, Regisseure und Produzenten (deren Prominenz neben Wahlkampfspenden vor allem hohe Einschaltquoten in TV-Shows bedeutet) stehen zum politischen Kurs des US-Präsidenten. Im Gegenteil: Bushs Kontrahent Kerry findet immer mehr Unterstützer in der Traumfabrik, die sich - wie Barbra Streisand, Tom Cruise und Steven Spielberg - öffentlich zu seiner Person bekennen (wen Robert de Niro und Dustin Hoffman hofieren, ist bislang nicht bekannt). Noch nie sei Hollywood so stark vereint gewesen in seiner Ablehnung von Bush und so fest entschlossen, einen politischen Wechsel in die Wege zu leiten, sagte die politische Beobachterin Donna Bajorsky kürzlich der Neuen Zürcher Zeitung.

Trotzdem: An der medialen Heimatfront ist der Wahlkampf noch nicht vollends entschieden. Anfang November endet zwar die erste Amtszeit von George W. Bush. Und vielleicht ist es dann seine letzte gewesen. Doch auch wenn es derzeit so aussieht, als könnten die inszenierten Medienauftritte Bush nicht über die Skandalbilder aus Abu Ghraib hinwegretten, ist nur eines sicher: Der Ausgang der Wahl hängt davon ab, was den abgebrühten PR-Beratern im Weißen Haus noch so alles einfällt.

Stephan Alexander Weichert arbeitet als Medienwissenschaftler am Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Hamburg.


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