Vielleicht hat Thomas de Maizière geglaubt, er könne es beim Drohnen-Debakel so machen wie Angela Merkel: über allen Problemen schweben, als hätte man nichts damit zu tun. Vielleicht kann aber auch die Bundeskanzlerin etwas lernen aus dem Schicksal ihres taumelnden Verteidigungsministers: Wer sich zu lange auf seine Unantastbarkeit verlässt, kann sie schnell verlieren.
Angela Merkel ist in dieser Legislaturperiode nicht nur zwei Bundespräsidenten losgeworden, sondern auch etwa ein Drittel ihrer 16 Fachministerinnen und –minister. Sie hat das erstaunlich unbeschadet überstanden – bisher. Der erste Abgänger, Franz Josef Jung, hielt es im Ressort Arbeit und Soziales genau 33 Tage aus, bis die Affäre um das Bombardement von Kundus, die in seine Zeit als Verteidigungsminister fiel, ihn zum Rücktritt zwang. Es folgten in der Reihenfolge ihres Verschwindens: Karl-Theodor zu Guttenberg (Verteidigung, Plagiat), Rainer Brüderle (Wirtschaft, FDP-Mobbing), Norbert Röttgen (Umwelt, NRW-Wahl) und Annette Schavan (Wissenschaft, Plagiatsverdacht).
In allen Fällen – außer bei Röttgen, den sie eiskalt feuerte – hatte die Kanzlerin an ihren Kabinettsmitgliedern festgehalten, solange es ging. Es gehört zu den Geheimnissen ihrer vermeintlichen Immunität gegen politische Schäden aller Art, dass ihr diese beinah unbeholfenen Fehleinschätzungen, vorgetragen meist von Regierungssprecher Steffen Seibert („…genießt das Vertrauen der Kanzlerin…“), in der Öffentlichkeit niemals nachgetragen wurden. Ebenso wenig wie die Ungerührtheit, mit der sie die eben noch gestützten Kolleginnen und Kollegen fallen ließ, wenn der öffentliche Druck zu groß geworden war.
Der Anfang vom Ende?
Immer, wenn wieder jemand ging, warf der politisch-mediale Komplex in der Hauptstadt die Interpretationsmaschine an und stellte fest, Angela Merkel habe ihre Macht von Mal zu Mal gefestigt, wenn nicht gesteigert. Potenziell gefährliche Konkurrenten waren von der Bildfläche verschwunden (nach Roland Koch, Günther Oettinger und Christian Wulff zuletzt Norbert Röttgen), und selbst wenn enge Verbündete wie Annette Schavan ausfielen, schien das die CDU-Vorsitzende nicht zu beschädigen.
Spätestens jetzt aber stellt sich die Frage, ob die inzwischen fast absolute Macht über Partei und Regierung nicht zum Anfang vom Ende werden könnte. Ob sich letztlich die mehr als 150 Jahre alte Mahnung des weisen Alexis de Tocqueville erfüllt: „Nur Gott kann ohne Gefahr allmächtig sein.“
Profaner ausgedrückt: Starke Untergebene sind nicht nur vermeintliche Kronprinzen oder Konkurrenten. Sie schaffen der in globalen und europäischen Dimensionen schwebenden Leitgestalt auch komplizierte und damit lästige Probleme vom Hals. Sie halten ihre Köpfe hin, wenn es um die Energiewende geht oder um den Umbau der Bundeswehr, um Rente oder, wie die Kanzlerin einst leider treffend formulierte, um „Flüchtlingsbekämpfung“. Je mehr sich die Chefin um solche Dinge selber kümmern muss, desto stärker steigt die Fettnäpfchen-Dichte zu ihren Füßen.
Im Kronprinzen-Katalog fand sich bis vor ein paar Wochen immerhin noch ein aussichtsreicher Kandidat: Thomas de Maizière. Loyal bis zur Unkenntlichkeit (also ungefährlich), aber bereit für Höheres, sobald man ihn riefe; in der Bevölkerung beliebt, in der Partei geschätzt. Nun aber das Drohnen-Debakel: Erst versteckte sich der angeblich so aufrechte und korrekte Superbeamte hinter seinen Untergebenen. Dann erweckte er den Eindruck, er habe von allem nichts gewusst, jedenfalls nicht vor dem 13. Mai. Und als massive Zweifel an dieser Behauptung auftauchten, stammelte er in bürokratisch verquaster Selbstverteidigung, er habe sehr wohl nichts gewusst, weil ja ein Minister bekanntlich nicht wisse, was er auf dem Flur erfahre, sondern nur, was ihn als Vermerk erreicht. Das sieht stark nach letztem Aufbäumen aus. Doch selbst bei einem Verbleib im Amt wäre die Kronprinzen-Rolle passé.
Nicht besser sieht es bei den noch amtierenden Ministerinnen und Ministern mit CDU-Parteibuch aus: Peter Altmaier dampft zwitschernd durchs Land und stößt dabei mit Themen wie Energiewende oder Atom-Endlager zusammen, wobei meistens weder er noch das Thema unbeschädigt bleibt. Ursula von der Leyen hat in der Partei keine Chance, und das nicht erst, seit sie ihrer Chefin einen (wenn auch unverbindlichen) Quotenbeschluss aufzwang. Und Kristina Schröder sorgt sogar bei Liberaleren und Reaktionären zugleich für Überdruss. Bei den einen als Quotenhasserin, bei den anderen wahrscheinlich schon qua Geschlecht.
Auch außerhalb der Bundesregierung sieht es nicht besser aus: David McAllister, noch so ein hochgeschriebener Hoffnungsträger, ist gerade in Niedersachsen gescheitert. Der stramm rechte Hesse Volker Bouffier regiert zwar noch, droht aber am Tag der Bundestagswahl seine gleichzeitig stattfindende Landtagswahl zu verlieren.
Wer nach halbwegs aussichtsreichen Unterstützern der Kanzlerin, gar nach Nachfolge-Kandidaten sucht, kann es höchstens in Rheinland-Pfalz versuchen, wo Julia Klöckner sich immerhin als begabte Polit-Unterhalterin mit Machtgespür profiliert hat. Oder glaubt jemand, wir bräuchten endlich mal einen CSU-Kanzler und Horst Seehofer sei zu ganz Hohem berufen?
Dieses Panorama legt die Frage nahe: Könnte es sein, dass de Maizières Straucheln einen Wendepunkt markiert? Erleben wir im Wahlkampf eine CDU-Spitzenkandidatin, die an ihrer eigenen Allmacht scheitert, weil sie – trotz Anbetung durch die Fan-Gemeinde – doch keine Göttin ist?
Zaghafte Opposition
Womöglich war die Auseinandersetzung um die Renten- und Familienversprechen der Kanzlerin ein aussagekräftiger Hinweis in diese Richtung. Diesmal war es Angela Merkel selbst, die ihre mehr oder weniger konkreten Vorhaben benennen musste – es war ja sonst keiner (mehr) da. Deshalb musste sie auch die Angriffsfläche für Kritik an diesen Plänen abgeben. So könnte aus der Affäre de Maizière ein Hauch von Hoffnung erwachsen, dass der Regierungswechsel am 22. September doch noch gelingt. Dazu allerdings müsste die Opposition die Gelegenheit entschlossen nutzen.
In Sachen Rente und Familie hat sie das bisher weitgehend versäumt. Grüne und SPD sorgten vergangene Woche zwar für eine Bundestagsdebatte über „Merkels Wahlversprechen“. Aber was taten Frank-Walter Steinmeier und Jürgen Trittin? Sie beklagten die Milliardenkosten der angeblichen Wohltaten – als hätten die beiden bei der FDP gespickt. Der richtige, aber wesentlich leiser geäußerte Hinweis einiger Redner, dass man zum Zwecke des sozialen Ausgleichs dann auch die Steuern für Spitzenverdiener erhöhen müsse, ging fast unter. Nur aus der zweiten Reihe kam der Hinweis, dass Merkels „Wohltaten“ so großartig nun auch nicht sind: Sie will ja nicht nur das Kindergeld erhöhen, sondern vor allem die Kinderfreibeträge, von denen besonders Gutverdiener profitieren. Der SPD gelang es eine ganze Debatte lang, die sowohl gerechtere als auch sparsamere Alternative zu verschweigen, die in ihrem eigenen Wahlprogramm steht: Erhöhung nur beim Kindergeld und Abstriche bei den Freibeträgen.
Sollte es zutreffen, dass die Luft für Merkel dünner wird, dann wird es höchste Zeit, dass die Opposition die letzte Gelegenheit zur Wende nutzt. Wenn Rot-Grün so zaghaft agiert wie bisher, dann könnte die Opposition wider Willen zu dem werden, was Thomas de Maizière nicht mehr ist: zum Rettungsanker für Angela Merkel.
Stephan Hebel ist Autor des Buches Mutter Blamage. Warum die Nation Angela Merkel und ihre Politik nicht braucht
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