Auf ein Neues?

Schwarz-Rot Die Kanzlerin hat zwar haushoch gewonnen. Für ein Bündnis müsste sie den Sozialdemokraten aber weit entgegenkommen
Ausgabe 39/2013

Das Gerücht, Angela Merkel mache die Politik der Konkurrenz gleich mit, ist ja schon seit Längerem nicht auszurotten. Die Kanzlerin habe die CDU „sozialdemokratisiert“, indem sie von so etwas Ähnlichem wie Mindestlöhnen rede, heißt es. Sie habe die Union „liberalisiert“, weil sie gesellschaftliche Entwicklungen wie den Wunsch nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf politisch nachvollzogen habe. Sie habe ihre Partei sogar „ökologisiert“ durch den Atom-Ausstieg.

Zu Merkels Wahlerfolg am vergangenen Sonntag haben diese Wahrnehmungen sicher beigetragen. Aber ihren Wahrheitsgehalt erhöht das nicht. Ein großer Teil der geschmeidigen Anpassungsbewegungen war nämlich eher symbolischer Art, etwa beim Mindestlohn. Ein anderer Teil wurde gegen die Wand der neoliberalen Ideologie gefahren, wie die Energiewende mit der überdimensionierten Befreiung der Unternehmen von den Kosten. Und bei manchen Themen, entscheidenden durchaus, fanden diese Bewegungen erst gar nicht statt: zum Beispiel in der Steuerpolitik, wo sich die Kanzlerin einer gerechteren Verteilung der Lasten bis heute verweigert. Von der radikalen Sparpolitik, die Merkel den europäischen Südländern aufgezwungen hat, ganz zu schweigen.

Alternative ohne Chance

Nun sitzt im neuen Bundestag eine Mehrheit, die all das korrigieren könnte – theoretisch. Aber praktisch hätte Rot-Rot-Grün in der derzeitigen Lage keine Chance. Das liegt keineswegs nur an fehlenden inhaltlichen Übereinstimmungen, da wären Kompromisse zu finden. Es liegt vor allem an der großen Wahrscheinlichkeit, dass selbst bei Einigung in den wichtigsten Themenbereichen die Chance auf ein Gelingen verschwindend gering wäre – und die Gefahr, schon bei der Kanzlerwahl an Abweichlern zu scheitern, umso größer. Zumal die Durchsetzung in der Öffentlichkeit noch schwieriger wäre als zuvor: Wir haben es dieses Mal nicht mit einer linken Wählermehrheit zu tun, sondern „nur“ mit einer linken Mehrheit im Parlament, nachdem zwei Parteien des rechten Lagers nur knapp unter fünf Prozent geblieben sind.

Diese Lage haben sich die Beteiligten auf der linken Seite selbst eingebrockt, und zwar seit 2009. Rot-Rot-Grün vier Jahre lang zur Kanzler-Alternative zu entwickeln, und zwar aus dem gemeinsamen Oppositionsdasein heraus, das wäre leichter gewesen als jetzt, da die Sozialdemokraten unter Koalitionsdruck stehen. Aber damals grätschte der damalige Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier dem Genossen Sigmar Gabriel, der noch nicht einmal richtig losgelaufen war, brutal in die Hacken und belohnte sich für sein 23-Prozent-Ergebnis mit dem Machtinstrument namens Fraktionsvorsitz.

Das konnte natürlich nur gelingen, weil nicht einmal die historische Niederlage von 2009 den großkoalitionären Flügel zum Schweigen brachte. Der neue Parteichef Gabriel hatte, wenn auch nicht gerade ein ausgemachter Linker, die Botschaft wenigstens im Ansatz verstanden. Er setzte darauf, durch sanfte Korrekturen der Agenda-Politik (Rente mit 67, Niedriglohnsektor) die ehemaligen Anhänger zurückzugewinnen, die in die Resignation oder zur Linken geflüchtet waren.

Aber er sah sich dabei weitgehend gefesselt: weniger durch den Kandidaten Peer Steinbrück, der sich dem Öffnungskurs am Ende zumindest verbal angeschlossen hat, als vielmehr von Anfang an durch Steinmeier, der die Agenda 2010 bei jeder Gelegenheit ohne Abstriche verteidigte und damit Gabriels Angebote an die Enttäuschten gezielt konterkarierte. Das Fazit: Auch mehr als 14 Jahre nach dem Bruch zwischen Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder ist es der SPD nicht gelungen, ihre innere Spaltung zu überwinden.

Ein neues Projekt

Nun bietet die Klugheit des Wählerwillens eine neue, wenn auch anders gelagerte Chance: Die CDU/CSU braucht zum Regieren Hilfe aus dem rot-rot-grünen Lager. Und es liegt angesichts der Mehrheitsverhältnisse auf der Hand, dass diejenigen, die ihr helfen, sich dies mit möglichst weitgehenden Zugeständnissen bezahlen lassen. Mit anderen Worten: Jetzt kann die Kanzlerin dazu getrieben werden, zu tun, was schon lange von ihr behauptet wird: sich und ihre Regierung wirklich zu sozialdemokratisieren, zu modernisieren, zu ökologisieren. Denn Merkel sind in Wahrheit die Hände gebunden. Der Wahlabend mag ein persönlicher Triumph für sie gewesen sein. Für die CDU aber ist das Ergebnis enttäuschend: Die Konservativen können alleine nichts entscheiden und werden nicht daran vorbeikommen, einige zentrale Forderungen der bisherigen linken Opposition zu schlucken, etwa beim Mindestlohn oder in der Gesundheits- und Rentenpolitik. Das wäre es, das Projekt „Die Kanzlerin wird rot“.

Bleibt nur die Frage: Wie geht das am besten? Mit einer Großen Koalition? Die engere Führung der SPD übte sich in den Stunden und Tagen nach der Wahl im unverbindlichen Orakeln. Jetzt liege „der Ball im Feld von Frau Merkel“, hieß es. Der SPD gehe es um Inhalte, es werde Gespräche geben. Das spiegelte genau die komplizierte Situation, in die sie sich mit der Ausschließerei von Rot-Rot-Grün manövriert hatte: Uns fällt nichts anderes ein als die Große Koalition, lautete die unausgesprochene Botschaft. Aber sagen wollen wir es noch nicht, zumindest nicht bis zum Parteikonvent an diesem Freitag. Und auch später werden sich die Sozialdemokraten weiter zieren. Mit dieser Taktik können Gabriel, Steinbrück und Steinmeier den Preis für eine Große Koalition in die Höhe treiben.

Aber gibt es wirklich keine Alternative zu Schwarz-Rot? Kann es wirklich sein, dass die SPD – jedenfalls der Scholz-Steinmeier-Flügel – die Botschaft des 22. September 2013 immer noch nicht hören will? Sie kann nur lauten: Der Versuch, der Kanzlerin ein paar richtige Projekte abzuringen, kann nicht alles sein.

Zugleich muss der Aufbau einer Regierungs-Alternative beginnen. Das rot-rot-grüne Tabu zu brechen und den Skeptikern die Angst vor dem Reformbündnis zu nehmen – all das ist nicht leichter geworden nach diesem 22. September. Bei den Grünen geht die Herrschaft der Generation Trittin zu Ende, und unter den Jüngeren scheinen schwarz-grüne Tendenzen durchaus Sympathien zu genießen. Die Linke ist keineswegs geschlossen begeistert von Rot-Rot-Grün, solange die Stilisierung als einzig „echte Oppositionspartei“ sie sicher in den Bundestag bringt. Aber für alle drei gilt: Wenn sie jetzt mit der Vorbereitung beginnen, hat die reformerische Kanzler-Alternative noch eine, vielleicht die vorerst letzte Chance.

Die SPD wäre deshalb klug beraten, endlich konsequent zu betreiben, was Sigmar Gabriel viel zu zaghaft begonnen hat. Sie muss eine linke Reformperspektive mit Inhalt und Gesicht versehen. Die Rücksichtnahme auf einen Ex-Kanzler und seine verbliebenen Getreuen kann keine Handlungsanleitung für die Zukunft sein. Sie muss der Veränderung, die das Land braucht und die manche Wählerinnen und Wähler zu fürchten scheinen, den Schrecken nehmen. Und dazu soll der Gang in die Große Koalition der beste, ja der einzige Weg sein? Nein, das ist er nicht. So, wie in Deutschland Koalitionen funktionieren, würde die SPD zwar einige Verbesserungen durchsetzen können. Aber der Handlungsspielraum, um eine Wende in Richtung Rot-Rot-Grün einzuleiten, wäre wohl kaum vorhanden.

Wesentlich reicher an politischen Perspektiven ist ein anderer Weg: Warum bietet Rot-Rot-Grün oder zumindest Rot-Grün nicht an, sich vor der siegreichen Union zwar zu verneigen, sich bei der Wahl Angela Merkels zur Kanzlerin aber zu enthalten? Im dritten Wahlgang reicht ihr ja die relative Mehrheit im Bundestag. Danach allerdings müsste sie sich ihre Mehrheiten im Bundestag suchen. Und die Republik könnte live erleben, was eine linke Mehrheit im Parlament vermag, wenn es um wichtige gesellschaftliche Fragen geht. Wenn schon nicht mit eigenem Kanzler, dann eben notfalls gegen eine Minderheitsregierung aus CDU und CSU. Und die Kanzlerin müsste sich erklären, ob sie die bestehenden Mehrheitsverhältnisse akzeptiert – oder das Land in Neuwahlen zwingt.

Stephan Hebel ist Buchautor und Journalist. Er schreibt für die FR und den Freitag

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