Im Neuland

Politik Digitale Daten sind die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts. Deshalb stellt sich eine alte Frage neu: Wie wehren wir uns gegen Ausbeutung und stellen Selbstbestimmung sicher?
Ausgabe 28/2013
Im Neuland

Foto: Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images

Wilfried Denz ist nicht ganz so prominent wie Sigmar Gabriel, aber an knackigen Formulierungen kann er es mit dem SPD-Chef durchaus aufnehmen: „Daten sind das Erdöl des 21. Jahrhunderts“, hat Sozialdemokrat Denz gesagt, wenn wir der lokalen Presse glauben dürfen, und zwar bei einer Veranstaltung seines Ortsvereins Münster-Nord.

Der Vorsitzende hat, wie es seinem Amt gebührt, den Wert des neuen Rohstoffs noch eine Preisklasse höher taxiert: Daten, jedenfalls die nützlichen unter ihnen, seien „das neue Gold des Informationszeitalters“, schrieb Gabriel in der FAZ. Die Vergleiche sind nicht unpassend, lassen sie doch an die beiden historischen Modernisierungsschübe denken, die dem „Daten-Kapitalismus“ (Gabriel) vorausgegangen sind.

Sie erinnern einerseits an die imperiale Expansion Europas im 17. Jahrhundert und die auf Rohstoffgewinnung gerichtete Ausbeutung anderer Kontinente. Und andererseits an das entscheidende Schmiermittel des fossilen, industriellen Zeitalters: das Öl. Wer also heute darauf hinweist, dass Daten der Rohstoff des digitalen Zeitalters sind, hat recht. Und spricht nicht nur eine Banalität aus, wenn er wie Gabriel auf die Freiheitsgefährdung und die ökonomischen Risiken hinweist, die die unregulierte Ausbeutung des digitalen Rohstoffs durch Staaten und/oder Unternehmen mit sich bringt.

Die vertane Chance für die SPD

Aber ein Zeitungsartikel und ein paar Infoabende sind für eine politische Partei zu wenig, erst recht für eine, die sich als links verkauft. Und es reicht auch nicht, die mögliche Mitwisserschaft der Bundeskanzlerin an den Machenschaften von US-Geheimdiensten zum Thema zu machen – so verständlich das im Wahlkampf auch ist. Richtig genutzt, ließe sich der Datenskandal durchaus zur Profilierung einer modernen Oppositionspartei nutzen.

Zumal gegen eine Regierungschefin, die sich nicht anders zu helfen weiß als abzutauchen vor dem Verdacht der Mitwisserschaft und Duldung. Gegen einen Innenminister, der noch von „Antiamerikanismus“ faselte, als außer ihm jeder die Dimension des Skandals verstanden hatte. Gegen ein Unionsprogramm, das wieder einmal darauf setzt, die Leute mittels Sprachakrobatik hinters Licht zu führen („Mindestspeicherfrist“ statt „Vorratsdatenspeicherung“). Und gegen einen CSU-Chef, dem kein Mensch mehr glaubt, wenn er die grenzenlose Datensammelei mal zwischendurch infrage stellt, weil er eine Landtagswahl vor der Nase hat.

Was also wäre zu tun für eine entschlossene Oppositionspartei, eine sozialdemokratische erst recht? Sie müsste sich zunächst einmal ehrlich machen. Doch wie sie durch mangelnde Distanzierung von der Agenda 2010 in die Glaubwürdigkeitsfalle läuft, so versucht sie auch ihr Schily-Steinmeier-Problem möglichst unbemerkt unter der Decke zu halten – was es der Konkurrenz umso leichter macht, sie daran zu erinnern.

Natürlich ist nicht vergessen, dass ein Innenminister namens Otto Schily das Abschöpfen von Daten durch die Ermittlungsbehörden förderte, wo er nur konnte; und dass er dabei ebenjenen Sicherheitsbegriff verwendete, mit dem auch Barack Obama jetzt die Angriffe auf die freie Verfügung der Bürger über ihre Privatsphäre rechtfertigt. Und nicht vergessen ist, dass im Kanzleramt mal ein Geheimdienstkoordinator namens Frank-Walter Steinmeier saß.

Die Möglichkeiten einer Neupositionierung

Die erste Lektion für die SPD also wäre es, die verdruckste Selbstrechtfertigung, die die Angriffe auf die jetzige Regierung nicht gerade glaubwürdig macht, durch offensive Selbstkritik zu ersetzen. So befreit von ihren Beißhemmungen könnte die Opposition – nicht nur die SPD – die zweite Lektion in Angriff nehmen. Sie könnte sich an die schwierige und zugleich lohnende Aufgabe machen, ihre Kernthemen Freiheit und Gerechtigkeit für das Zeitalter des „Daten-Kapitalismus“ neu zu buchstabieren.

Gabriel hat das in Ansätzen versucht. Er hat Datenschutz als möglichen Wettbewerbsvorteil benannt und die „Integrität“ von Daten als Voraussetzung für ihre wirtschaftliche Nutzung beschrieben. Aber er hat offenbar das ganze Potenzial, das im Vergleich mit Gold oder Erdöl liegt, nicht gesehen.

Wenn Daten der neue Rohstoff sind, dann stellen sie das zentrale Produktionsmittel der digitalisierten „Industrien“ dar. Und damit stellt sich, ein Sozialdemokrat sollte sich erinnern, auch das zentrale Thema der Linken neu: die Frage nach der Verfügungsgewalt der „Produzenten“. Es geht um Selbstbestimmung sowohl gegenüber Daten-Imperialisten, die unseren „Rohstoff“ schamlos ausbeuten, ohne uns einen Cent dafür zu geben. Und um Selbstbestimmung gegenüber einem Staat, der diese Ausbeutung nicht nur duldet, sondern zusätzlich im Namen eines fragwürdigen Sicherheitsbegriffs selbst betreibt.

Wer das Thema in dieser Weise skizzierte, hätte noch keine fertigen Antworten parat. Aber er könnte es greifbar machen als Ort des Widerstands für eine in weiten Teilen verunsicherte, oft auch leichtfertig mit Daten hantierende Gesellschaft. Er könnte Werbung machen für die Idee, dass der NSA-Skandal uns auch eine Chance gibt: die Möglichkeit, die alte linke Frage nach der Verfügung über die Produktionsmittel und der Selbstbestimmung der Produzenten auf neue, zeitgemäße Weise zu stellen. Wenn das kein Thema für den Wahlkampf wäre.

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