Beginnen wir das Jahr mit einem herzlichen Dankeschön. Wir wollen Wolfgang Schäuble danken. Und Philipp Rösler. Den Bundesministern für Finanzen und Wirtschaft gebührt unser Dank für besondere Ehrlichkeit in der Politik. Nach den jüngsten Äußerungen der beiden gehen wir ins Jahr der Bundestagswahl mit der ministeriellen Bestätigung, dass der Neoliberalismus keineswegs am Ende ist, sondern sich im Gegenteil unter den Fittichen von Bundeskanzlerin Angela Merkel bester Gesundheit erfreut. Nicht dass nachher einer sagt, er habe nicht Bescheid gewusst, was uns blüht, wenn Merkel erneut ins Kanzleramt zieht.
Zunächst zu Schäuble und der Rente. Die CDU hatte auf ihrem adventlichen Parteitag einen Beschluss gefasst: Mütter, die vor 1992 ein Kind geboren haben, sollten bei der Berechnung des Altersgeldes besser dastehen als bisher. Schäuble aber verkündete gleich danach: Für so etwas haben wir kein Geld, jedenfalls nicht in diesem Jahr, die Griechenland-Hilfe ist zu teuer. Wir lernen, auch in der CDU sind Beschlüsse des Parteitags noch lange nicht Regierungspolitik. Vor allem aber lernen wir, dass Griechenland uns auch im kommenden Jahr als Sündenbock für alles Mögliche erhalten bleiben wird. Dass der Grieche in Wahrheit „unsere“ Hilfe zum guten Teil selbst finanziert, würde das einfache Bild nur stören. Macht sich der gemeine CDU-Wähler klar, dass jeder Euro, den die Griechen bekommen, ein Kredit ist, für den Zinsen bezahlt werden müssen? Im Jahr 2012 müssten bei der Bundesbank mindestens 600 Millionen Euro an Gewinnen aus griechischen Staatsanleihen eingegangen sein.
Drittens lernen wir, dass die Sparpolitik auf Kosten des Sozialstaats uns weiterhin als Seifenoper mit lustig verteilten Rollen präsentiert werden wird. In Wirklichkeit hat nämlich Wolfgang Schäuble etwas abgelehnt, was der CDU-Parteitag überhaupt nicht beschlossen hatte, auch wenn es so aussehen sollte: die sofortige Besserstellung der Mütter bei der Rente. Der Finanzierungsvorbehalt war auch im Parteibeschluss schon enthalten. Aber es nützt Angela Merkel mehr, wenn es so aussieht, als hätte die Partei sich bedingungslos für Rentnerinnen eingesetzt (soziale Kompetenz) und der Finanzminister (finanzielle Kompetenz) dann plötzlich warnend den Zeigefinger erhoben. Das ist zwar reines Polit-Theater, verfehlt aber in der schnelllebigen Mediendemokratie seine Wirkung trotzdem nicht. Am Ende stehen alle als Gewinner da, die Kanzlerin und ihre Partei, weil sie sich so gut kümmern – und die Kanzlerin und ihre Partei, weil sie so gut sparen. Und keiner beschwert sich. Im Ernst. So funktioniert Politik unter Angela Merkel.
Höchste Zeit, Merkel das soziale Mäntelchen vom Leib zu reißen
Damit ist die Strategie, mit der Angela Merkel in diesem Jahr die Bundestagswahl gewinnen will, bereits weitgehend beschrieben. Die CDU-Vorsitzende wird ihren gefährlichen Kurs des deutschen und europäischen Spardiktats unbeirrt fortsetzen. Sie wird weiter daran mitwirken, dass Länder wie Griechenland finanziell auf Jahre nicht gesunden. Und sie wird dabei sogar in Kauf nehmen, dass sie damit das bisherige Modell der wirtschaftlichen Vorherrschaft Deutschlands in Europa gefährdet: Wir exportieren, was das Zeug hält, und die anderen verschulden sich bis zum Tode, um unsere Waren zu kaufen.
Es gäbe sinnvolle Alternativen: Die Schuldenprobleme vergemeinschaften, also solidarisch zu lösen; die Haushalte auch durch gerechtere Steuern für Vermögende und Spitzenverdiener entlasten; die Ungleichgewichte im Handel abbauen, indem Deutschland die eigene Binnennachfrage stärkt – aber all das kommt für die Kanzlerin nicht in Frage. Angesichts der ideologisch verbohrten Handlungsweise unserer Regierung ist es höchste Zeit, der Kanzlerin das soziale Mäntelchen vom Leib zu reißen, mit dem sie ihre reale Politik so erschreckend erfolgreich verdeckt. Immerhin dazu hat Wolfgang Schäuble jetzt beigetragen.
Schäubles zweiter Beitrag zur Aufklärung liegt in den Überlegungen seines Ministeriums, die zur Weihnachtszeit bekannt geworden sind. Darin sind ein paar schöne Hinweise darauf enthalten, dass es nicht nur darum geht, selbst die kleinsten Verbesserungen bei der Rente zu verhindern. In Wahrheit wird die nächste im Sozialabbau vorbereitet. Das können noch so viele Dementis nicht verbergen.
Da wäre zum Beispiel die Mehrwertsteuer. Sie belastet bekanntlich im Verhältnis am stärksten diejenigen, die wenig Geld haben. Sie sparen kaum, sie legen nicht an, sondern verbrauchen ihr Einkommen für ihren Lebensunterhalt. Deshalb gibt es den ermäßigten Satz von sieben Prozent, der unter anderem für Lebensmittel gilt oder auch für Zeitungen und Bücher. Und weil diese Ermäßigung wiederum am ehesten den weniger Begüterten nutzt, von denen es sehr viele gibt, ist es nur logisch, dass das Finanzministerium sie abschaffen will. Die Lebensmittelpreise würden sich, stiege die Steuer von sieben auf 19 Prozent, auf einen Schlag um knapp zwölf Prozent erhöhen. Einem Gutverdiener macht das wenig aus, aber einem Hartz-IV-Empfänger oder einem Niedriglöhner kann das finanziell den Rest geben.
Da wäre außerdem, mal wieder, die Altersversorgung. Hier klären uns Schäubles Leute dankenswerterweise erneut darüber auf, dass es sich bei der Rente mit 67 Jahren vor allem um ein Kürzungsprogramm für alle diejenigen handelt, die gar nicht so lange arbeiten können. Diesen Charakter will die Bundesregierung mit noch erfreulicherer Klarheit zur Geltung bringen, indem sie die Lebensarbeitszeit, die man für die volle Rente braucht, weiter erhöht – und die Abschläge für alle, die früher aufhören, auch.
Es ist also nur nachvollziehbar, dass Schäuble Berichte über diese Überlegungen umgehend dementierte. Denn natürlich findet die nächste Sozialabbau-Runde nicht vor der Bundestagswahl statt, sondern erst danach. Und wenn die Leute wissen, was Merkels Regierung vorhat, dann könnte es ja sein, dass sie sie gar nicht wählen, und die Pläne ließen sich nicht verwirklichen. Das ist logisch.
Um an den Anfang zurückzukommen: Es ist deshalb auch logisch, dass die Union ihren Streit über die Rente für ältere Mütter gerade jetzt inszeniert. Das ohnehin feststehende Ausbleiben einer entsprechenden Verbesserung im Jahr 2013 hat nämlich einen erwünschten Effekt: Man kann die Sache vor der Wahl noch einmal versprechen, für 2014. Nach der Wahl wird die Haushaltslage des Bundes dann schon schlecht genug sein, um das Versprechen erneut zu kassieren.
Angela Merkel hat es nicht so gern, wenn ihre wahren Absichten ausgeplaudert werden. Die Kanzlerin hat das politische Schweigen zu einer hohen Kunst gebracht. Sie hat die Unkenntlichkeit im Amt zu ihrem Markenzeichen gemacht. Und die Wähler danken es ihr. Das ist eine paradoxe, für die Demokratie gefährliche Situation. Wir haben es bei der vergangenen Wahl schon erlebt: Damals hat Merkel ihrem Herausforderer Steinmeier ihre Strategie der Vernebelung aufgezwungen. Die SPD ist gescheitert. Steinbrück will es anders machen – und wirkt im Vergleich zur Kanzlerin schon nach wenigen Wochen wie ein Elefant im Porzellanladen.
Merkel muss noch neun Monate durchhalten mit ihrer Legende von einem Deutschland, das „aus der Krise stärker herausgekommen als hineingegangen ist“. Sie muss darauf bauen, dass viele Leute sie weiter lieben, wenn sie den tollen Arbeitsmarkt lobt und den Preis – die erfolgreiche Wiedereinführung verbreiteter Armut trotz Arbeit – verschweigt. Sie muss darauf hoffen, dass China, Indien, die USA und andere ihre Konjunkturen erfolgreich am Laufen halten. Sie hängt davon ab, dass diese Märkte unsere Exportgüter aufnehmen, nachdem ja die europäischen Importeure durch unser Diktat kaputtgespart worden sind. Gar nicht gebrauchen kann Merkel eine Debatte über die Alternativen, die sie verweigert. Über gesetzliche Mindestlöhne und über einen gerechtigkeits-orientierten Ausbau des Sozialstaats, der zudem zur dringend notwendigen Stärkung der Binnennachfrage führen würde.
Versprechungen? Nein Danke!
Dagegen hat es Angela Merkel sehr gern, wenn keiner merkt, wie weit rechts sie steht, weil noch weiter rechts die FDP randaliert. Unserem Dankeschön an Philipp Rösler wird sie sich deshalb sicher anschließen wollen. Der Noch-Vorsitzende hat nach Weihnachten noch einmal aufgeschrieben, wovon in der Partei des Marktfundamentalismus sowieso fast jeder überzeugt ist. In seinem neuesten Papier wird zum Beispiel der leichtere Rausschmiss von Arbeitnehmern gefordert, was natürlich im Orwell-Deutsch des Marktfundamentalismus ganz anders heißt: „beschäftigungsfreundliche Ausgestaltung des Kündigungsschutzes“.
Schäuble und Rösler haben die Wähler vor sich gewarnt
Auch Sozialleistungen darf man, da ist Rösler knallhart, nicht einmal versprechen. Hier unterscheidet sich der FDP-Chef deutlich von seiner Kanzlerin, die zwar nichts hält, aber doch immerhin verspricht. Rösler: „Allen Versuchen, den eingeschlagenen Konsolidierungspfad zu verlassen, neue vermeintliche Wohltaten zu verteilen oder dem deutschen Wirtschaftswachstum neue Hemmnisse in den Weg zu legen, muss eine klare Absage erteilt werden.“ Genauso übrigens wie Mindestlöhnen aller Art.
Man wird schon fast nostalgisch, wenn man liest, wie unser Wirtschaftsminister die alten neoliberalen Lektionen herunterbetet. Und dankt im Stillen dafür, dass es noch jemanden gibt, der ganz offen ausspricht, was uns nach der Bundestagswahl bevorstehen könnte.
Angela Merkel darf dagegen dankbar sein, dass sie neben einem solchen Minister wirkt wie eine warmherzige Sozialpolitikerin, weil sie mit den übelsten Verschlechterungen nicht offen droht und außerdem noch den Eindruck erweckt, sie sei für Mindestlöhne – obwohl sie in Wahrheit meint, sie sollten nicht gesetzlich festgelegt, sondern sich an den Tarifabschlüssen orientieren.
Bestimmt wird Philipp Rösler beim Dreikönigstreffen seinen Kahlschlag-Katalog wieder herunterbeten. Und die FDP wird ihm halbwegs höflich Beifall klatschen, schließlich ist am 20. Januar Landtagswahl in Niedersachsen. Das Dumme ist nur: Fraktionschef Rainer Brüderle wird Jubelschreie ernten, wenn er dasselbe erzählt. Das ist die Tragik des braven Vorsitzenden: Er vertritt genau die Politik, die die Unternehmer-Klientel von seiner Partei verlangt. Aber er wirkt dabei stocksteif und unglaubwürdig, wie jemand, der einen auswendig gelernten Text herunterspult.
Dennoch muss man Philipp Rösler und Wolfgang Schäuble dafür dankbar sein, dass sie die Bürger zum Auftakt des Wahljahres rechtzeitig vor sich selbst gewarnt haben.
Stephan Hebel ist Redakteur und politischer Autor der Frankfurter Rundschau . Am 26. Februar erscheint sein Buch Mutter Blamage. Warum die Nation Angela Merkel und ihre Politik nicht braucht (Westend)
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