Ob Designcomputer oder Discounterjeans – egal, immer wieder geraten Hersteller in Verruf, weil sie ihre Waren in dunklen Sweatshops oder fiesen Fabriken herstellen lassen. Dabei zeigt schon ein Blick in die Geschichte des Zuckers, dass das fatale Folgen haben kann. Das heutige Massenprodukt war in Europa zunächst ein kostbares Gut, das im 11. Jahrhundert die Kreuzritter aus Palästina mitbrachten und dann über die Handelsstadt Venedig den Adel in Europa erreichte. Später versorgten die Kolonien in der Karibik und in Mittelamerika die Reichen mit dem Luxusprodukt. Zum einen galt es als Heilmittel und wurde in kleinen Mengen in Apotheken verkauft. Zum anderen war es als exklusives Nahrungsmittel beliebt, das in kostbaren Dosen zur Schau gestellt wurden. Wer es sich leisten konnte, verspeiste ihn nicht nur, sondern ließ daraus von Zuckerbäckern wahre Kunstwerke gestalten.
Die Nachfrage stieg, und sie wurde bedient durch immer neue Plantagen in Übersee. Dort mussten zunächst die Ureinwohner Frondienst leisten, was viele mit ihrem Leben bezahlten. So sank etwa die Zahl der Einwohner auf Hispanola – dem heutigen Haiti/Dominikanische Republik – von etwa zwei Millionen bei der Ankunft Kolumbus’ innerhalb von 20 Jahren auf 15.000. Statt aber für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen, wurden nun Sklaven aus Afrika auf die Felder geschickt. Das System funktionierte so etwa 400 Jahre, zwischen 9,5 und 12 Millionen Sklaven ließen ihr Leben auf den Plantagen. Erst Ende des 18. Jahrhunderts sorgten Berichte über die unmenschlichen Zustände bei der Zuckerproduktion in Europa für Proteste, die sogenannten „Anti-Saccharisten“ riefen zum Zuckerboykott auf (siehe Kasten). 1792 verbot die dänische Regierung den Sklavenhandel, 1807 folgte dann Großbritannien. Allerdings dauerte es noch Jahrzehnte, bis diese Verbote wirklich umgesetzt wurden.
Im Schutz der Quoten
Das Schicksal der Sklaven verdarb nicht nur von Aufklärung und Revolution träumenden Bürgern des 19. Jahrhunderts die Lust am Zucker aus Übersee. Auch der preußische König Friedrich der Große ließ an der Akademie der Wissenschaften nach Ersatzprodukten für Kolonialwaren suchen. Dabei ging es ihm vor allem darum, unabhängiger von den Kolonien anderer europäischer Mächte zu werden, das heimische Gewerbe zu stärken und so die Staatskasse aufzubessern. Schokolade sollte nicht mehr aus Kakao, sondern aus Lindenblüten gemacht werden, der Kaffee aus Getreide, Eicheln und Kastanien.
Mit diesen Dingen experimentierte Akademiedirektor Andreas Sigismund Markgraf im königlichen Auftrag, der Erfolg war mäßig. Doch immerhin erkannte er, dass einige einheimische Pflanzen Zucker enthielten, der dem aus Zuckerrohr ähnlich sein könnte, und veröffentlichte seine Erkenntnisse 1747. Sein Nachfolger Franz Carl Achard kam dann auf die Runkelrübe als Zuckerlieferant und überzeugte 1799 auch den mittlerweile amtierenden Friedrich Wilhelm III., der nun die heimische Zuckerproduktion förderte.
Auch Napoleon entdeckte zu Beginn des 19. Jahrhunderts sein Herz für die Rübe. Schließlich hatte er gerade die Seeschlacht von Trafalgar verloren und litt unter der britischen Kontinentalsperre, einer Art Wirtschaftsboykott. Irgendwann waren dann zwar Napoleon und damit auch die Kontinentalsperre wieder weg, und die Rübenzucker-Branche litt wieder unter der Konkurrenz des billigen Rohrzuckers. Aber weil die Mächtigen erkannt hatten, dass sich mit einer ganzen Wertschöpfungskette im Land unabhängiger wirtschaften lässt als in der Abhängigkeit von Rohstoffen aus anderen Ländern, schützten sie im Laufe der Zeit den heimischen Rübenzucker durch ein Zoll- und Quotensystem.
Pack die Rübe in den Tank
Das machte die EU in ihrer Zuckermarktordnung später dann genauso und garantierte den Rübenbauern und Zuckerfabriken stets feste Preise. Zumindest aus der Binnensicht war die protektionistische Politik über Jahrzehnte erfolgreich: Auch wenn der Zucker in Europa zeitweise teurer war als auf dem Weltmarkt, im Vergleich zum Einkommen war und ist er billig und sorgte bei den einheimischen Produzenten für geregelte Einkommen.
Nach einer Reform der Zuckermarktordnung der EU sind sowohl die Preise als auch die Mengen des erzeugten Zuckers deutlich zurückgegangen. Weil zugleich Öl immer teurer wird, lohnt sich mittlerweile auch die Herstellung von Sprit aus Zuckerrüben. So haben die beiden größten europäischen Zuckerproduzenten, Südzucker aus Mannheim und Nordzucker aus Braunschweig, bereits vor Jahren Töchter gegründet, die Brennstoff verkaufen, der Benzin beigemischt wird. Das heißt dann zum Beispiel E-10.
Ob der Agro-Kraftstoff wirklich besser ist, für Umwelt und Klima, kommt allerdings sehr darauf an, wie die Rüben angebaut, gedüngt und verarbeitet werden. Hinzu kommt die grundsätzliche Frage, ob Nahrungsmittel angesichts des weltweiten Hungers überhaupt zu Benzin verarbeitet werden sollten. Dass der Bio-Sprit-Boom zu steigenden Nahrungsmittelpreisen beiträgt, ist offensichtlich. Und auch Brasilien, wo an den Tankstellen schon lange Alkohol aus Zuckerrohr gezapft werden kann, zeigt, dass die Produktion von Ethanol zwar klimafreundlich sein kann, aber nicht unbedingt umweltschonend. Zu groß sind die Schäden, die die Monokulturen anrichten, von den Arbeitsbedingungen für die Landarbeiter ganz zu schweigen. Große Plantagen? Schlechte Arbeitsbedingungen? Klingt bekannt. Ob sich Geschichte wiederholt, hängt auch beim Zucker davon ab, ob man bereit ist, aus ihr zu lernen.
Stephan Kosch ist Autor des Buchs Zoff um Zucker Der süße Stoff und die Globalisierung, Parthas-Verlag Berlin
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