Man stelle sich vor, ein junger Eddie van Halen wäre da gewesen. So einer aus den „Jump“-Zeiten, der in roten Stretchleggins und mit blonder Dauerwellenmatte über die Bühne turnt. Oder ein Angus Young, AC/DC-Lead-Gitarrist in ironischer Schuluniform.
Das kleine, schmächtige Kerlchen auf der Bühne hat aber optisch so gar nichts mit den Jungs zu tun, die man mit den Göttern des E-Gitarrenspiels assoziiert. Mit einem Strickpullunder und einer Kassenbrille, die Alphanerds wie Karl-Theodor zu Guttenberg ohne weiteres in ihren Dresscode aufnehmen würden, stiert er, der sich „Geeky Gisbert“ nennt, schlotternd ins Publikum. Vielleicht liegt es an den Klängen von AC/DCs „Let there be rock“, vielleicht an den in die Höhe
Höhe gestreckten Rockfingern des Publikums. Vielleicht hat der Gitarrengott aber auch einen Auftrag für ihn. Vom Himmel fährt jedenfalls eine imaginäre Gitarre. Dann legt Gisbert los.Beim sechsten „German Air Guitar Contest“ im Kreuzberger „Lido“ scheinen einige der 18 Teilnehmer mit überirdischen Mächten im Bunde zu sein. Transzendenz ist das Stichwort, denn wenn man eine Luftgitarre für ein johlendes Publikum traktiert, dann ist Glauben angesagt. Nicht nur an das, was man nicht in den Händen hält. Sondern vor allem daran, dass die Konkurrenz die Riffs nicht gekonnter ausführt, die Gitarrenparts nicht synchroner bespielt, den Oberkörper nicht ekstatischer rotieren lässt. Luftgitarre spielen heißt vor allem: harte Arbeit. Was auf den ersten Blick wie pure Imitation von Musik erscheint, gibt sich schnell als mehr oder weniger bewusste Partizipation an einem Event zu erkennen, dessen Regeln bei jedem einzelnen Auftritt neu definiert werden. Jeder Luftgitarrist verhandelt sein eigenes kulturelles Zeichensystem.So auch „Effe, die Schlange“. Mit Jeanshemd, Jeanshosen und Basecap trottet Effe auf die Bühne und macht seine „Beerperformance“. Ein Einsatzsprung, einmal die Bierdose an die Stirn gehauen, dann kann es losgehen mit der Vergewaltigung der Luft-Saiten. Was zunächst wie eine Parodie des Stadion-Prolls anmutet, offenbart sich in seinem unschuldigen „So-tun-als-ob“ als Überzeichnung des Gitarrenspiels an sich. Effe und sein Jeans-Rock könnten in diesem Moment nicht echter sein. Der Hals seiner Gitarre ist zwar oft verbogen oder labbert achtlos vor sich hin. Aber es ist der ultimative Moment des selbst inszenierten Guitar-Heros. Die kurzzeitige Rückkehr des Rock zu einem seiner wichtigsten Elemente: der individuellen Echtheit.Luft als KunstformSogar ein ganzes Universitätsseminar hat sich der Kunstform verschrieben: Aus Hildesheim sind sie zusammen mit ihrem Dozenten Mathias Mertens angereist. Zuvor beschäftigte man sich sowohl wissenschaftlich als auch praktisch mit dem Thema. Im Praxisteil wurde dabei auch der „Duckwalk“ von Angus Young im Gemeinschaftskreis geübt. Mit Erfolg: Vier der Seminarteilnehmer stehen in Berlin nun im Finale.Die Luftgitarristen von heute sind Team- und Einzelkämpfer in einem, Wesen, die fast schon anachronistisch mit den Tugenden Ehrgeiz, Fleiß und Pioniergeist ausgestattet sind. Passend zu ihrem Ethos werden die Kämpfer wie Gladiatoren vom Moderator vor die johlende Menge gerufen. Eine Jury bewertet mittels einer Skala von 4,0 bis 6,0 die Performances. Auf den fünf Geschworenen-Plätzen sitzen unter anderem ein Radiomoderator, eine Booking-Managerin, der allererste Berliner Luftgitarrenmeister und auch ein Echtgitarrist, der die Auftritte auf technische Umsetzung überprüft.Dennoch setzt mancher bei seinem Auftritt mehr auf Showeffekte als auf solides Handwerk. „Dick Tracey“ bringt gleich eine ganze Pantomimen-Show zu selbst collagierten Klängen vom Band mit. Da wird die Luftgitarre auch mal in einem Koffer versteckt und wieder rausgeholt, doch zuvor müssen noch Bügeleisen und Affe aus dem Gepäck geschmissen werden.Der deutsche Vizemeister 2007 und 2008, „Dr. Schemelsky“ alias Paul Schlagk, setzt seinen eigenen Pappverstärker auf die Bühne und zitiert in einer Mixtur aus Gangster und Crossover-Rocker die Zeichen der aufkeimenden 80er-Jahre-Streetkultur. Plus Sprung ins Publikum.Neben denen, die wie „Mel from Hell“ schätzungsweise ihr halbes Leben Gitarren auch in physischer Echtheit verdroschen haben, finden sich in der Luftgitarrentypologie auch die so genannten Cock Rocker. Karo Organesian alias „Pete The Tremolo Trash Crash Jones“ hat sich die Zugehörigkeit zu seiner Zunft direkt mit einem Filzstift auf den Bauch geschrieben.Gisbert zittert befriedigtCock Rocker tragen ihre Gitarren wie Geliebte und spielen ebenso wilde Spiele mit ihnen. Ganz in der Tradition von Jimmy Hendrix’ Zungenspiel und dem angedeuteten Genital-Kraulen eines Slash bearbeitet Organesian sein Luftinstrument. Die Damen gehen in ihren Choreografien an diesem Abend etwas subtiler vor. Margret Schütz alias „Patty Flame“ etwa verkörpert eine Luftgitarren-Stewardess, die ihr Instrument aus dem handlichen Damentäschchen hervorholt. Ihre Choreografie changiert zwischen rhythmischen Hüftschwüngen und rotzigen Beinkicks.Die Luftgitarre ist auch immer die Verlängerung des Körpers dessen, der sie spielt. Das ist eine Erkenntnis des Abends. Es ist musikalische Masturbation im positivsten Sinne. „Heart Buckboard“ alias Christian Sweep, schon mit zig Luftgitarrentiteln versehen, holt auch in diesem Jahr erneut den Sieg. „Geeky Gisbert“ steht neben ihm auf der Bühne, er erreicht Platz drei. Zitternd, aber befriedigt.