Frauen bewegen sich zu Fuß durchs Leben, sie benutzen Busse, Schnell- und Straßenbahnen oder fahren mit dem Rad, im Auto sind sie seltener unterwegs als Männer: Frauen wählen die ökologisch vorteilhafteren Verkehrsmittel. Doch das hat weniger ideologische als handfeste ökonomische Hintergründe. Nur die Hälfte aller Frauen hat einen Führerschein, weniger als ein Drittel kann ständig über ein Auto verfügen. Zum Vergleich: bei Männern beträgt dieser Anteil zwei Drittel.
Auf den öffentlichen Verkehr angewiesen zu sein, heißt mit seinen Einschränkungen zu leben. Vor allem im ländlichen Raum wird der Nahverkehr ausgedünnt: die Bahn legt Strecken still und Busse verkehren nur selten. Nachts gibt es kaum Alternativen zum Auto. Junge Frauen ohne eigenes Fahrzeug setzen sich vielfachen Gefahren aus, wenn sie mit Unbekannten trampen oder zu (alkoholisierten) Bekannten ins Auto steigen. Wer das nicht wagt, muss zu Hause bleiben. Wie viele ältere, alleinstehende Frauen, die wegen nicht vorhandener Verkehrsanbindung vom gesellschaftlichen Leben abgeschnitten sind.
- Mühen der Ebene 1
Zum Beispiel Essen
Den Belangen von Frauen und Kindern ist bei der Ausgestaltung und Planung des ÖPNV in geeigneter Weise Rechnung zu tragen. Das besagt §2 Absatz 9 des Nordrhein-Westfälischen Regionalisierungsgesetzes. Die Stadt Essen hat diesen Gedanken aufgegriffen und ein frauenspezifisches ÖPNV-Gutachten in Auftrag gegeben. Die Planerinnen Birgit Frielinghaus und Marion Hering von der FOPA (feministische Organisation von Planerinnen und Architektinnen, Dortmund) und Angela Fuhrmann aus Hannover haben das Projekt betreut.
Sie untersuchten die Verkehrsziele der Frauen und die vorhandenen Verkehrsmittel, insbesondere das ÖPNV-Angebot und seine Problemfelder, die Schwachstellen im Umweltverbundsystem und die Haltestellenqualität.
Als Untersuchungsgebiet wurde ein Stadtteil ausgewählt, dessen demografische Daten annehmen ließen, dass besonders viele Frauen auf den ÖPNV angewiesen sind: ein hoher Anteil an Sozialhilfeempfängerinnen und Frauenerwerbslosen und ein niedriger Motorisierungsgrad.
Die Planerinnen fanden heraus, dass die Frauen zu Wegen gezwungen sind, weil im Gebiet wichtige Einrichtungen fehlen. Auch Geh- und Radwege und ÖPNV-Verbindungen sind nicht vorhanden oder schlecht und die Gestaltung der Haltestellen ist unsicher und unattraktiv.
An Haltestellen und in Bussen interviewten sie die ÖPNV-Nutzerinnen. Ergebnis: 72 Prozent der befragten Frauen haben keinen Führerschein, 81 Prozent nutzen täglich mit dem ÖPNV. Zur Arbeit fahren 23,5 Prozent - viele Arbeitsplätze (35 Prozent) liegen im Nahbereich. Weiter entfernte Arbeitsplätze befinden sich in der Essener Innenstadt oder am S-Bahn-Korridor. Die Planerinnen schließen daraus, dass Frauen unter weniger Arbeitsplätzen wählen können, wenn sie kein Auto haben.
19,3 Prozent fahren zu Freizeitzielen, zumeist in die Innenstadt. Andere benutzen den ÖPNV, um Einkaufen zu fahren (12 Prozent), für Arztbesuche und Kinderbetreuung (8 Prozent). Viele Frauen bilden Fahrgemeinschaften für Großeinkäufe zu den kostengünstigen Einkaufszentren auf der grünen Wiese. Grund für die meisten Fahrten sind soziale Kontakte (24,5 Prozent), oftmals Besuche von Verwandten und Freunden in benachbarten, schwer erreichbaren Vororten. Die Frauen nehmen dafür lange komplizierte Fahrten mit mehrfachem Umsteigen in Kauf.
Auf Workshops sollten die subjektiven Einstellungen der Frauen herausgefunden werden. Dabei hat sich als größtes Hemmnis für Mobilität Angst und Unsicherheit im Dunkeln gezeigt, vor allem die S-Bahn wurde sehr negativ bewertet. Für Mädchen und für Frauen ab 60 ist der Schutz vor Belästigung wichtiger als Schnelligkeit - Mütter schätzen hingegen den zeitlichen Vorteil der Schnellbahn. Mädchen legen großen Wert auf Sauberkeit von Haltestellen und Fahrzeugen, und Frauen ab 60 wünschen einen unbehinderten Zugang zum ÖPNV.
Die Planerinnen sprachen auch mit Betreuerinnen aus Kindertagesstätten, Stadtteilläden und Kultureinrichtungen. Dabei kam heraus, dass viele der Stadtteilbewohnerinnen - ohne Ausbildung und Arbeitsplatz - arm sind. Folge: sie können sich keine Fahrkarten leisten, haben ein stark eingeschränktes Aktionsfeld und sind somit im hohen Maße immobil.
Aus der Untersuchung haben die Planerinnen Planungsvorschläge entwickelt, unter anderem konkrete Ergänzungen im ÖPNV-Angebot, den Umbau einzelner Haltestellen und ein abrufbereites Frauennachtmobil.
Frauen sind für eine Vielzahl von Aufgaben unterwegs: sie bringen Kinder in den Kindergarten und in die Schule, gehen zur Arbeit und zum Einkauf, begleiten ganz junge und ältere Familienangehörige auf gefährlichen oder beschwerlichen Routen. All diese Pflichtwege gehören zum Alltag, dienen der Versorgung und schränken erheblich die individuelle Zeit der Frauen ein. Sparmaßnahmen von Kommunen und Landkreisen erzeugen zusätzliche Wege: Soziale Angebote werden zentralisiert, örtliche Einrichtungen aufgelöst. Unter diesem Aspekt sind vor allem die Frauen in Ostdeutschland mehrfach betroffen: Kindergärten sind geschlossen, Arbeitsplätze abgebaut und das öffentliche Verkehrsnetz gekappt worden.
Wie soll die Verkehrspolitik darauf antworten? Sollen künftig auch Frauen besser motorisiert sein, quotengleich die Städte verstopfen und den CO2-Ausstoß vergrößern? Es sind nicht nur Frauen benachteiligt - ein Drittel der Bevölkerung lebt ohne Auto und muss doch mobil sein: Kinder, sozial Schwache, Behinderte, alte Menschen. Sie alle haben in der Verkehrsplanung nur wenig zu sagen: 90 Prozent der Verkehrsplaner sind Männer zwischen 30 und 50 Jahren, der Anteil von Frauen beträgt nur 1,2 Prozent.
Im November hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen den Verkehrsbericht 2000 vorgelegt, das Wort "Frau" kommt darin nicht vor. Immerhin beinhaltet der Bericht Gedanken über soziale und ökonomische Komponenten der Mobilität. Er erwähnt Kinder (einmal) und Senioren (zweimal). Der nichtmotorisierte und der öffentliche Nahverkehr wird im wesentlichen auf zwei (von insgesamt 77) Seiten abgehandelt - so nimmt er deutlich weniger Raum ein als Autos und ihre Straßen.
Trotzdem sind Änderungen möglich. Ein Ansatzpunkt: in vielen Orten werden derzeit Nahverkehrspläne aufgestellt. Grund sind die Bahnreform und das Regionalisierungsgesetz, das die Verantwortlichkeit für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) auf die Länder übertragen und den regional wirksamen Nahverkehrsplan geschaffen hat. Frauen können und sollen bei dieser Umgestaltung ihre Anliegen einbringen.
Einige Bundesländer haben in ihren Verkehrsgesetzen ausdrücklich festgelegt, dass Fraueninteressen beachtet werden müssen. Schon seit August 93 gibt es in Hessen die "Empfehlungen zur besonderen Berücksichtigung der Belange von Frauen bei der Verkehrsplanung". Sie fordern unter anderem dazu auf, Frauen intensiver und frühzeitig an der Planung zu beteiligen, die Öffentlichkeitsarbeit zu verstärken und spezielle Beratungsgremien für Frauen einzurichten. Bei Ausschreibungen und Wettbewerben soll das Kriterium "frauenfreundlich" aufgestellt und in der Bewertung berücksichtigt werden.
- Mühen der Ebene 2
Zum Beispiel München
In München soll die Frauengleichstellungsstelle die Beteiligung von Frauen an der Stadtplanung fördern. Die Verwaltung ist angehalten, sie bei der Erarbeitung von Programmen und Vorhaben der Stadt rechtzeitig zu beteiligen. Die Leiterin Friedel Schreyögg betont, dass die Gleichstellungsstelle bei Grundsatzuntersuchungen wie dem Stadtentwicklungsplan automatisch eingeschaltet wird. Andererseits ist die Arbeitskapazität angesichts der Fülle von Themen begrenzt, manchmal gibt es auch Widerstände.
Zum Teil übernehmen Fachfrauen, die in der Stadtverwaltung arbeiten, die Aufgabe, Fraueninteressen in Planungsprojekte einzubringen. Die Konstellation ist günstig: die zuständige Referentin, Stadtbaurätin Christiane Thalgott, ist Frauenthemen gegenüber aufgeschlossen. Seit Jahren trifft sich im Planungsreferat ein Arbeitskreis Frauen und Stadtplanung.
Eva Bördlein ist in der städtischen Verkehrsplanung zuständig für Geh- und Radverkehr. Sie kann auf Münchner Erhebungen zurückgreifen: bei einer Haushaltsbefragung zeigte sich, dass Frauen häufiger den Umweltverbund benutzen (sich per pedes, Rad oder Öffentlichem Nahverkehr fortbewegen). So erledigten sie 28 Prozent ihrer täglichen Wege zu Fuß - Männer nur 18 Prozent. Auch eine Fußgängerzählung aus dem Jahr 1998 belegt, dass signifikant mehr Frauen als Männer zu Fuß unterwegs sind.
Interessant sind die Wege zum Kindergarten und zur Grundschule. Da es hierzu wenig Informationen gibt, wurden in München 1997 die Wege untersucht. Es zeigte sich, dass etwa 73 Prozent der Kinder ausschließlich von ihrer Mutter in den Kindergarten gebracht werden, 8 Prozent vom Vater und 12 Prozent abwechselnd von Mutter oder Vater. Es fällt auf, dass Mütter überdurchschnittlich oft zu Fuß begleiten, während Väter hierfür zu 60 Prozent ihr Auto benutzen.
Ganz ohne Begleitung kamen übrigens nur 2,3 Prozent der Kinder in den Kindergarten - dieser Anteil ist in den letzten Jahren rapide gesunken: er betrug 1975 noch 23 Prozent, 1984/85 zehn Prozent (bundesweit). Auch in die erste Klasse werden noch über 40 Prozent der Kinder begleitet, erst später nimmt der Anteil nach und nach ab. Ganz allgemein ist festzustellen, dass immer mehr Kinder umfangreiche Freizeitprogramme haben (Musikunterricht, Sport, Kindergeburtstage), die nur dann aufrecht zu erhalten sind, wenn die Eltern, zumeist Mütter, einen Fahrdienst organisieren.
Im Hinblick auf Frauenbelange ist jede Förderung des Umweltverbundes auch Frauenförderung, direkt und indirekt. Die "Schaffung einer fußgängerfreundlichen Stadt", wie sie der Münchener Stadtrat beschlossen hat, kommt Kindern, Behinderten und alten Leuten entgegen. Wenn diese Menschen sich durch geeignete Planungen wieder selbständiger bewegen können, ist das auch im Sinne der bisherigen Begleitpersonen - in der Mehrzahl Frauen.
Der Verkehrsentwicklungsplan (VEP) hat die Absicht zur Förderung des Umweltverbundes schon 1983 bekundet. Derzeit wird der Entwurf für einen neuen VEP öffentlich diskutiert. Beispiel Radeln: Die schönste Route führt tagsüber oft durch Parks und Grünanlagen. Die selbe Route kann abends, nachts, im Dunkeln zum Angst-Raum werden, gerade für Frauen. Das war ein Grund dafür, dass im VEP-Entwurf nächtliche Alternativrouten ausgewiesen worden sind.
Im Land Sachsen-Anhalt ist als verbindlicher Bestandteil des Nahverkehrsplans eine Mängel- und Bedarfsanalyse für den öffentlichen Verkehr aus Sicht der Nutzerinnen gesetzlich vorgeschrieben.
Im niedersächsischen Nahverkehrsgesetz heißt es: "Bei der Gestaltung von baulichen Anlagen sowie dem Bedienungsangebot ist den Belangen von Frauen angemessen Rechnung zu tragen." Das niedersächsische Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales ermutigt Frauen ausdrücklich zur Mitwirkung. Projektbeispiele, Handlungsvorschläge und Hintergrundinformation wurden in einer Broschüre* beschrieben und erleichtern auch Nicht-Fachfrauen den Zugang zum Thema.
Die abstrakte Sprache der Verkehrsplanung schreckt viele davon ab, in ihrer Umgebung aktiv zu werden. Dabei fehlt vielen Planungen Substanz: das Wissen um die Wege der Frauen ist gering, die Expertinnen vor Ort werden nicht angehört. Es wäre gar nicht so schwer, Frauen zum Mitplanen zu gewinnen: durch Stadtspaziergänge, Haltestellenbesuche, Testfahrten, Beteiligungswerkstätten. Fachfrauen fordern dazu auf, im männerdominierten Verkehrswesen mitzumischen, vernetzt und an möglichst vielen Stellen: als Nutzerinnen, Politikerinnen und Planerinnen.
Dieser Einsatz soll Frauen nicht Sonderrechte verschaffen. Sie bringen auch die Mobilitätsbedürfnisse von Kindern, älteren oder behinderten Menschen ins Spiel. Sie entwickeln Alternativen zum motorisierten Individualverkehr, der heute noch Verkehrsplanung und Verkehrspolitik beherrscht. Ihre Impulse sind notwendig für einen mühseligen, aber notwendigen Prozess, der zu einem anderen, einem umweltverträglichen Verkehr führt.
(*) Weichenstellung: Frauen verändern den ÖPNV
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