Der Stock bleibt hinter der Tür

Niederländisches Modell Über Verträge zwischen Staat und Wirtschaft das Energiesparen stimulieren - die Öko-Steuer kontinuierlich erhöhen

Wo andere Länder Vorschriften erlassen, schließen niederländische Regierungen in bewährter Weise Verträge. Beim Umweltschutz hat Den Haag damit viel erreicht. Seit Mitte der achtziger Jahre wurden mehr als 100 Umweltschutzvereinbarungen geschlossen, die vom Batterierecycling und Windmühlenbau bis zur Asbestverminderung und der Reduzierung des Verpackungsmülls reichen. Vor allem die Bilanz der seit zehn Jahren bestehenden »Energie-Konvenanten« mit der Industrie kann sich sehen lassen. Die Praxis sieht in der Regel so aus, dass ein Ministerium Verträge mit Einzelunternehmen, einem Branchenverband oder auch Kommunen vereinbart, die auf bestimmte Ziele verpflichtet werden. Es gibt auch die Variante, wonach sich Einzelmitglieder von Verbänden zu Übereinkommen mit ihrer Organisation entschließen.

Noch Mitte der neunziger Jahre galt für das Gros der Juristen in den Niederlanden das Gesetz als effizientestes Instrument im Interesse des Umweltschutzes. Inzwischen sind diese Stimmen fast verstummt, weil die für ein Zeitmaß von mehreren Jahren abgeschlossenen Verträge mit ökologischen Richtwerten für Unternehmen, Verbände und Kommunen längst nicht mehr auf freiwillige Selbstverpflichtungen hinauslaufen wie in der Startphase, sondern als Abmachungen nach bürgerlichem Recht geschlossen werden und so in jedem Fall als bindend gelten.

Von besonderen Wert sind dabei die 30 Energiesparverträge zwischen dem Wirtschaftsministerium und 1.250 Firmen, die mehr als 90 Prozent des industriellen Energieverbrauchs der Niederlande abdecken. Diese Übereinkommen sahen einen Effizienzschub beim Energieeinsatzes um durchschnittlich 20 Prozent bis 2000 gegenüber 1990 vor. Eine Zielmarke, die nach Angaben des Ministeriums bereits 1999 erreicht wurde. Der Weg der Energiesparverträge habe sich gelohnt, meint denn auch der größte Unternehmerverband VNO-NCW. Der Elektronikriese Philips Electronics N.V. etwa konnte die Quote mit 34 Prozent mehr als übererfüllen. Nur die Nahrungsmittelindustrie hinkt weit hinterher; allerdings bestreitet sie nur etwa fünf Prozent des industriellen Energieverbrauchs. Ob dennoch die Ziellinie überquert wird, dürfte Ende 2001 zu ersehen sein. Nach den Angaben von VNO-NCW vermochte die eigene Industrie dank der Vertragsauflagen auch den Kohlendioxid-Ausstoß weitgehend zu stabilisieren. Und das, obwohl das Land seit sieben Jahren ein beachtliches Wirtschaftswachstum erlebt.

Unternehmerverband zwischen Quoten und Kosten

Ausnahmslos äußern sich die Unternehmen zufrieden mit dem Vertragsmodell, weil es den Betrieben nicht zuletzt große Investitionsflexibilität ermöglicht und zu erheblichen Kosteneinsparungen führt. Können also die Verträge Gesetze ersetzen? »Nein«, antwortet der Unternehmerverband überraschenderweise. Gesetze seien ein Mittel, das Recht umzusetzen. Ohne Gesetze würden keine Verträge geschlossen - der »Stock hinter der Tür« sei schon nötig. Kritiker meinten vor Jahren, die energieintensiven Branchen hätten schon aus Eigennutz die geforderten Energie sparenden Investitionen getätigt. Die dem deutschen BUND vergleichbare Milieudefensie bemängelte einst, die abgesteckten Ziele seien zu Lasten der Umwelt unzureichend gewesen und hätten eine geringere Innovationskraft stimuliert, als dies bei gesetzlichen Vorgaben der Fall gewesen wäre. Beweisen ließ sich beides nicht. Inzwischen erkennen Umweltorganisationen an: Die Großverbraucher haben in der Tat ihre Hausaufgaben gemacht.

Innerhalb des EU-Konsenses über die Aufteilung der Pflichten aus dem Kyoto-Protokoll müssen die Niederlande die CO2-Emissionen bis 2010 nur um sechs Prozent (und nicht wie Deutschland um 25 Prozent) senken. Für ein Land, das schon viel für die Energieeffizienz getan hat, wäre eine höhere Quote ohnehin schwierig und kostenaufwendig, zumal Den Haag trotz unstrittiger Erfolge dem Problem gegenüber steht, dass durch den Wirtschaftsboom der gesamte Energieverbrauch 1999 erneut um etwa zwei Prozent (so das Reichsinstitut für Volksgesundheit und Umwelt/RIVM) stieg. Der Auftrieb lag zwar dank höherer Energieeffizienz unter dem Wirtschaftswachstum von 3,5 Prozent, doch sollte der Verbrauch weiter steigen, dürfte es kaum möglich sein, die Kyoto-Verpflichtungen zu erfüllen. Rein rechnerisch sanken die Kohlendioxid-Emissionen nur deshalb um zwei Prozent, weil mehr Energie importiert wurde als zuvor (die mit eingeführter Energie verbundenen Emissionen werden laut internationaler Absprache dem Exportland zugerechnet).

Umweltminister zwischen Zuckerbrot und Peitsche

Hauptursache einer expandierenden Verbrauchsquote ist der Verkehr. Die CO2-Emissionen auf den Straße stiegen von 1990 bis 2000 nach Angaben des RIVM um 24 Prozent. Bei einem angenommenen Wirtschaftswachstum von jährlich durchschnittlich drei Prozent müssten die Niederlande bis 2010 ihre Energieeffizienz um sagenhafte 40 bis 50 Prozent steigern, um das Kyoto-Ziel zu erreichen, rechnet der Unternehmensverband VNO-NCW vor. Das sei kaum vorstellbar. Umweltminister Jan Pronk sieht das anders. Sein Ressort, aber auch das Wirtschaftsministerium hätten getreu dem Motto »Zuckerbrot und Peitsche« verschiedene Instrumente, um den Energieverbrauch wirksam zu senken sowie die Entwicklung und Verwendung energieeffizienter sowie umweltfreundlicher Techniken zu fördern. Dabei wolle man nicht bis zur Ratifizierung des Kyoto-Protokolls warten, sondern selbst international Anstöße geben.

Florierender Emissionshandel

Kyoto-Quoten im Ausland erfüllen - Polen, Rumänien, Tschechien sind Partner des Investors Niederlande

Um die mit dem Kyoto-Protokoll 1997 vereinbarten Reduktionsziele bei Treibhausgasen zu erreichen, wird die Möglichkeit eingeräumt, einen Teil der Reduktionsquoten auf dem globalen Markt zu handeln, also beispielsweise durch Investitionen für kohlendioxidsparende Industrieanlangen in anderen Ländern die eigene Emissionsquote zu erfüllen. Auch dabei haben sich die Niederlande als Vorreiter profiliert. Die Regierung ließ mehrfach den Willen erkennen, den Aufbau eines weltweiten Emissionshandels sowie die Preisbildung zu stimulieren. Als erstes Industrieland kauften die Niederlande in großem Umfang eine CO2-Emissionsverringerung, das heißt, Wirtschaftsministerin Annemarie Jorritsma unterzeichnete im April 2001 die ersten fünf Verträge, mit denen sie eine Kohlendioxid-Minderung von 4,62 Megatonnen erwarb. Der Preis betrug 35,3 Millionen Euro. Zwei niederländische und ein amerikanisches Unternehmen werden zusammen mit lokalen Partnern in Polen, Rumänien und Tschechien einen Windpark, zwei Fernwärmeprojekte, Biomasse-Heizkessel und eine Kraft-Wärme-Zentrale erstellen. Die zweite Ausschreibung läuft im Winter 2001/2002 und steht ebenfalls ausländischen Investoren offen. Den Haag hält es für möglich, auch auf diesem Wege schrittweise die Hälfte der Kyoto-Verpflichtungen zu erfüllen und so den niederländischen CO2-Emissionsanteil um 25 Megatonnen zu senken.

Bereits im Februar 2001 hatte Den Haag signalisiert, nicht auf den weltweiten Emissionshandel zu warten. Umweltminister Pronk und die Wirtschaftsverbände vereinbarten, dass auch niederländische Firmen ab 2003 direkt mit Stickstoffoxidemissionen handeln dürfen. Sie werden Emissionsrechte von Firmen erwerben können, die weniger Schadstoffe ausstoßen als vertraglich vorgegeben.

So wurde im Januar 2001 die Ökosteuer auf fossile Energieträger zum sechsten Mal seit 1994 erhöht - sie soll auch in den kommenden Jahren weiter steigen. Zugleich werden umweltfreundliche Energien gefördert und sparsame Autos wie schwefelarmer Kraftstoff steuerlich entlastet. Ist das für die Niederlande nichts Ungewöhnliches, stellt sich das mit einem im Mai gestarteten Pilotprojekt schon anders dar: Zur Kompensation unvermeidlicher Kohlendioxid-Verbreitungen durch den Verkehr sollen Unternehmen, Organisationen und später eventuell auch Privatleute »Waldzertifikate« kaufen. Das heißt, sie sollen in neu anzulegende Wälder investieren, die mindestens 50 Jahre lang nachhaltig bewirtschaftet werden. Bäume binden bekanntlich Kohlenstoff aus dem Kohlendioxid und wandeln ihn um in Holz. Der dem ADAC vergleichbare Automobilclub ANWB und die staatliche Forstbehörde haben Mitte Mai bereits derartige Zertifikate erworben. Andere Branchen zeigen Interesse. Die Aufforstungskosten tragen Investoren und der Staat je zur Hälfte. Letzterer finanziert seinen Anteil konsequent aus der Ökosteuer.

Überdies hatte die Regierung bereits im April 1999 - also vor Ablauf der Mehrjahres-Energieverträge - die Industrie mit einem so genannten Benchmarking-Konvenant stark in die Pflicht genommen. Bei diesem weltweit einzigartigen Vertrag ging und geht es um Maßnahmen, die recht teuer sind: Die energieintensive Industrie muss ihre Produktionsanlagen so schnell wie möglich - spätestens aber bis 2012 - so modernisieren, dass sie hinsichtlich der Energieeffizienz dauerhaft Weltspitze sind. Dazu muss jedes Einzelunternehmen seine entsprechenden Werte gesondert nachweisen. Den Vorteil des Konvenant sehen beide Seiten darin, dass es anders als bei einer gesetzlich festgelegten Kohlendioxid-Emission um eine marktkonforme Strategie geht - das verhindere Konkurrenznachteile sowie ein Abwandern der Industrie in weniger strenge Staaten zu Lasten der Umwelt.

(Die Langfassung dieses Artikel finden Sie im Jahrbuch Ökologie 2002, das zum Jahresende erscheinen wird. Wir danken dessen Herausgebern für die Möglichkeit dieses Vorabdrucks.)

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