Ökos gelten als Gutmenschen und als eher harmlos. Sie demonstrieren, blockieren und richten auch schon mal einen Sachschaden an. Das alles fällt unter zivilen Ungehorsam und hat in Deutschland über 30 Jahre lang Tradition. Eine kleine Gruppe radikaler Gentechnikgegner hat nun mit bewaffneten Überfällen auf Wachleute, die Gentech-Felder bewachen sollten, diesen Pazifismus in Frage gestellt. Zu Recht?
Sympathisanten gratulieren, Grüne gehen auf Distanz und Gentechnik-Forscher sind entsetzt: Neuerdings protestieren die Aktivisten nicht mehr mit Sonnenhüten und Friedenspfeifen, sondern schreiten nachts und schwarz vermummt zur Tat.
Mit Knüppeln und Pfefferspray
Am 11. Juli drang die kleine Gruppe der „vermummten LandwirtInnen und FreundInnen“ mit Knüppeln und Pefferspray in den „Schaugarten Üplingen“ in Sachsen-Anhalt ein. Die Umweltschützer bedrohten die Wachmänner, nahmen ihnen die Handys weg und konnten so ungestört das anliegende Versuchsfeld von gentechnisch veränderten Pflanzen „befreien“. In Mecklenburg-Vorpommern schlagen die „vermummten LandwirtInnen und FreundInnen“ kurze Zeit später ein weiteres Mal zu.
Die so genannten Feldbefreiungen sind um diese Jahreszeit keine ungewöhnliche Sache. Seit Jahren ziehen Umweltschützer und Landwirte jeden Sommer auf die im Standortregister gemeldeten Flächen mit Gentechnik-Pflanzen, um – teils öffentlich und angekündigt, teils bei Nacht und Nebel – ungeliebtes Gewächs auszureißen. Drohungen, Knüppel und Pfefferspray gab es bis jetzt allerdings nur von der Polizei, nicht aber von Seiten der Aktivisten.
Die Gewalt der Anderen
Moderate Teile der Öko-Bewegung wie etwa die Grünen haben sich von der neuen „Qualität“ der Feldbefreiungen sofort distanziert, andere eingefleischte Anti-Gentechnik-Aktivisten beklatschen die Helden des nächtlichen Thrillers. „Ich gratuliere den Feldbefreiern zu ihrer Tat und bewundere ihre Professionalität“, erklärt Michael Grolm, Imker und langjähriger Feldbefreier von der Initiative Gendreck-Weg. Auch die alternative Arbeitgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) betrachtet die neue Qualität der nächtlichen Feldbefreiungen als gerechtfertigt. Die eigentliche Gewalt, so die Argumentation der Sympathisanten, gehe von der Gentechnik-Befürwortern aus, die mit den Freisetzungen unverantwortliche Risiken eingingen.
Die radikalen Feldbefreier mögen sich wohl gedacht haben: Was der Polizei erlaubt ist, um die Interessen der Konzerne zu schützen, das ist erst recht erlaubt, um kommende Generationen vor der Ausbreitung gentechnisch veränderten Saatgutes zu schützen. „Sieht man sich den unverantwortlichen Umgang mit den Sicherheitsvorschriften bei vielen Freisetzungen an, dann ist hier Gefahr im Verzug – es war also wichtig und richtig, dass hier entschieden gehandelt wurde“, meint Imker Grolm.
Kaum noch unbewachte Felder
Unterschiedliche Radikalitätsgrade sind in der Bewegung nichts Neues. Bei den traditionellen Sommertreffen der Feldbefreier wird zur Demonstration aufgerufen und vorher festgelegt, wer wirklich auf das Feld gehen will und wer am Rande stehen bleibt, wer Deckung gibt, wer sich nachher solidarisch an den Kosten der Prozesse beteiligt. Deshalb hat das Zusammenarbeiten von risikofreudigen radikaleren Kräften und den „Sympathisanten“ bisher ganz gut funktioniert.
Während Letztere hauptsächlich die Öffentlichkeit überzeugen wollen, setzen die Radikalen vor allem auf eine Strategie: so viel zu zerstören, dass es für Forscher und Unternehmen unrentabel wird, gentechnisch veränderte Organismen (GVO) freizusetzen. Beide Strategien haben dazu geführt, dass Gentechnik-Pflanzen in Deutschland kaum noch kommerziell angebaut werden. Wer das heutzutage noch macht, braucht sehr viel Fortschrittsglaube, Geld und Sicherheitspersonal – um den bürokratischen Vorschriften, dem öffentlichen Druck und den Aktivisten beizukommen. Da es deswegen kaum unbewachte Felder mehr gebe, bleibe passionierten Feldbefreiern auch fast nichts anderes übrig, als sich zu bewaffnen und Wachmänner zeitweise außer Gefecht zu setzen, meint Grolm von Gendreck-Weg. Ein kleiner Teil der Szene habe sich deshalb radikalisiert, um weiterhin die Gentechnik bekämpfen zu können.
Der Erfolg der Aktivisten kann sich sehen lassen: Der Anbau von GVO geht in Deutschland seit Jahren zurück. Noch 2007 wurden solche Pflanzen noch auf über 2.700 Hektar in fast allen Bundesländern angebaut. Heute beträgt die Anbaufläche nur noch rund neun Hektar, ein großer Teil davon liegt in Sachsen-Anhalt.
Viele Bundesländer haben sich aus dem unbeliebten Geschäft zurückgezogen. Deshalb finden sich Gentechnik-Felder auch nur noch in den traditionell konservativen und GVO-freundlichen Bundesländern wie Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und dem bevölkerungsarmen Mecklenburg-Vorpommern. Dagegen haben die Regierungen von Bayern oder Nordrhein-Westfalen die Nase voll von dem ständigen Widerstand. Vor allem die traditionsbewussten bayrischen Bauern haben durch kontinuierlichen Protest in den letzten Jahren erreicht, dass die CSU nun auch zu einer GVO-skeptischen Partei geworden ist. Vor kurzem hat sogar die Europäische Union beschlossen, dass jeder Mitgliedsstaat den Anbau verbieten darf, was bisher keinesfalls als gesichert galt. Deutschland könnte nun ebenso wie Österreich einfach ein nationales GVO-Verbot verhängen.
Geldstrafe kann Aktivisten ruinieren
„Der kommerzielle Anbau geht zwar zurück, doch Freisetzungen zu Forschungszwecken werden in Deutschland immer besser organisiert“, erklärt Grolm. Während die Strafen für Feldbefreier kommerzieller Felder bei maximal 45 Tagessätzen und niedrigen Geldstrafen lagen, geht es bei den zerstörten Feldern zu Forschungszwecken zur Sache: In einem derzeit verhandelten Prozess um das Eindringen von Aktivisten in das Genforschungszentrum Gatersleben in Sachsen-Anhalt droht eine Strafe von bis zu 250.000 Euro – diese Summe kann einen Aktivisten ruinieren.
Bis jetzt haben sich Gentechnikgegner bei ihren Aktionen des zivilen Ungehorsams auf den „allgemeinen rechtfertigenden Notstand“ berufen. Die begangene Straftat sei notwendig, um eine nicht anders abwendbare „Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut“ zu verhindern.
Während in deutschen Gentechnikprozessen dieser Paragraph noch nie erfolgreich angewendet wurde, kam es in Frankreich bereits im Jahr 2005 zu einem Freispruch für neun Feldbefreier – aufgrund des „Notstandsparagraphen“ im französischen „Code Pénal“. Dass nun in Deutschland mit Knüppel und Pfefferspray statt mit bloßen Händen GVO-Pflanzen zerstört werden, dürfte für die Anwendung des Paragraphen kaum etwas ändern, solange es keinen Personenschaden gibt. Bis jetzt blieb es bei Bedrohungen, kein Wachmann hat auch nur einen Kratzer abbekommen.
Susanne Götze ist freie Journalistin
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