ERINNERTE VERGANGENHEIT Lange Zeit deutete nichts darauf hin, dass eine Villenkolonie zum KZ Ravensbrück gehörte. Jetzt wird in den Häusern der Aufseherinnen ein Museum eingerichtet
Eine Idylle und doch nur einen Steinwurf entfernt - die Wohnsiedlung. Sie liegt direkt am Zaun des ehemaligen Konzentrationslagers Ravensbrück. Hier genossen die Aufseherinnen Komfort und Gemütlichkeit. Hier pflanzten sie Geranien oder Begonien und ließen sich von den Frauen aus dem Lager die Haare frisieren. Am 10. September - zum »Tag des offenen Denkmals« - wird eines dieser »Führerhäuser« am Rande der brandenburgischen Stadt Fürstenberg erstmals für Besucher geöffnet sein.
Gras und kleine Bäumchen wachsen vereinzelt in den Regenrinnen. Über 60 Jahre stehen die Gebäude schon, die letzten sechs blieben sie leer. Trotzdem sind die Villen erstaunlich gut erhalten. Und auch heute noch: erstaunlich hübsch. Ein bis
och nur einen Steinwurf entfernt - die Wohnsiedlung. Sie liegt direkt am Zaun des ehemaligen Konzentrationslagers Ravensbrück. Hier genossen die Aufseherinnen Komfort und Gemütlichkeit. Hier pflanzten sie Geranien oder Begonien und ließen sich von den Frauen aus dem Lager die Haare frisieren. Am 10. September - zum »Tag des offenen Denkmals« - wird eines dieser »Führerhäuser« am Rande der brandenburgischen Stadt Fürstenberg erstmals für Besucher geöffnet sein.Gras und kleine Bäumchen wachsen vereinzelt in den Regenrinnen. Über 60 Jahre stehen die Gebäude schon, die letzten sechs blieben sie leer. Trotzdem sind die Villen erstaunlich gut erhalten. Und auch heute noch: erstaunlich hXX-replace-me-XXX252;bsch. Ein bisschen nordisch rustikal. Viel Holz, die Fensterländen, die großzügigen Loggien. Eine breite Steintreppe führt jeweils zu den Eingängen. Bei den »Führerhäusern« sind Terrassen und Säulen aus unverputztem Naturstein vorgebaut. Sogar der Anstrich ähnelt dem vor 60 Jahren.Der Ort war schön, im Frühjahr romantisch und verwildert ...»Die Farbe war damals nicht ein so kräftiges Gelb, sondern ging vielleicht mehr in ein schmutziges Ocker«, erinnert sich Edith Sparmann, die als politischer Häftling nach Ravensbrück deportiert wurde und überlebte. Vermutlich, weil ihre Künste im Ondulieren, im Wasser- und Dauerwellen legen, im Frisieren und Blondieren gefragt waren. »Wenn die Aufseherinnen besonders gut aussehen wollten, dann haben die sich das eben nicht selber machen wollen, sondern wir haben das übernehmen müssen. Die Locken zurecht stecken und so.« - Normalerweise blieb den Aufseherinnen jeder private Kontakt mit dem »Volksfeind« strikt untersagt. Edith Sparmann hatte gerade ihre Gesellenprüfung als Friseuse abgelegt, als sie 19-jährig in Ravensbrück aus dem Gefängniswagen stieg.Das Lager war ab 1938 eine der größten Vernichtungsstätten auf deutschem Boden. Ravensbrück lag nicht irgendwo versteckt, abseits, getarnt - es lag direkt bei Fürstenberg. Vom See und von der Bahnstrecke her gut einsehbar. Ein »Reißbrett-Lager«, bei dem Erfahrungen, die dem Reichssicherheitshauptamt aus Dachau oder Sachsenhausen zur Verfügung standen, beachtet werden sollten. Von vornherein plante man deshalb großzügige Unterkünfte für das SS-Personal. Und baute sie für die Ewigkeit. Oder ließ sie bauen, natürlich von Häftlingskommandos.Der Ort war schön, im Frühjahr romantisch und verwildert, im Sommer braun und grün, und dann der Schwedt-See mit Scharen ferienfroher Menschen am gegenüberliegenden Ufer. Von fast allen Häusern des SS-Personals - der Führerinnen und Unterführerinnen - konnte man den malerischen Blick auf das Wasser genießen.»Unsere Aufseherin war immer sehr glücklich, wenn es sonniges Wetter gab. Dann nutzte sie jede Stunde und lag da auf dem Balkon und erholte sich vom Lager.« Edith Sparmann kann viel über die Häuser und deren Bewohnerinnen erzählen. Bis auf die Putzkolonnen - sie rekrutierten sich zumeist aus inhaftierten Bibelforscherinnen - hat kaum eine Handvoll Häftlinge je einen Blick in die Wohnung einer SS-Aufseherin werfen können. Edith Sparmann wurde diese »Auszeichnung« deshalb zuteil, weil sie »ihre« Aufseherin auch außerhalb der Öffnungszeiten der Frisierstube, die extra für das weibliche Aufsichtspersonal sowie die Ehefrauen der SS-Männer eingerichtet worden war, zu bedienen hatte. Die Aufseherin Schuster holte dann die Gefangene Sparmann aus ihrem Block und nahm sie mit in die eigene Wohnung - ein Privattermin sozusagen. Die Schuster hatte das »Kommando Frisierstube« unter sich, das aus drei Häftlingen bestand. Und sie wusste das geschickt für sich zu nutzen. Sich nur nicht erwischen lassen, lautete die Devise. Ansonsten drohte der Verlust des bequemen Kommandos in Ravensbrück oder gar die Versetzung in ein anderes Lager.Und es gab solche und solche Lager-Kommandanten. »Man hat das ja nicht offiziell gemacht mit den Frisierterminen. Die Schuster kam eben rüber ins Lager und hat mich geholt. Das war abgesprochen. Ich bin überzeugt davon, Suhren hat das gewusst. Unter Koegel wäre das nicht möglich gewesen, der Koegel war ein scharfer Hund.« - Aber Max Koegel ist nur bis Ende 1942 Lagerkommandant, danach wird er nach Majdanek versetzt. Vielleicht auch ein Grund dafür, dass Edith Sparmann die vier Jahre ihrer Lagerhaft überlebt.Gefangene aus 40 Nationen - Ravensbrück 1938 - 1945Ab November 1938 ließ die SS - unter anderem von Häftlingen des KZ Sachsenhausen - in der Nähe des Luftkurortes Fürstenberg das Lager Ravensbrück errichten, das als einziges KZ auf deutschem Gebiet ein »Schutzhaftlager für Frauen« war. Bereits nach zwei Monaten kamen mit einem Transport österreichischer Roma- und Sinti-Frauen die ersten Kinder nach Ravensbrück. Im September 1939 waren ungefähr 2.500 Frauen in dieses Lager deportiert, darunter Jüdinnen, Zeuginnen Jehovas, Lesbierinnen, »Asoziale«.Mit dem Zweiten Weltkrieg kamen Gefangene aus den von der Wehrmacht besetzten Ländern: Französinnen, Holländerinnen, Jugoslawinnen, Polinnen, Russinnen ... - insgesamt 40 Nationen. In diesen Jahren wurde das Lager ständig erweitert, etwa durch die Baracken eines »Industriehofes« mit Produktionsstätten für traditionelle Frauenarbeiten. Neben dem KZ-Gelände errichtete Siemens Halske 20 Werkhallen, in denen die Frauen Zwangsarbeit leisten mussten. Bis 1945 entstanden außerdem über das ganze Reich verteilt mehr als 70 Nebenlager des Stammlagers Ravensbrück, in denen ausnahmslos für die Kriegswirtschaft gearbeitet wurde.Insgesamt waren zwischen 1939 und 1945 in Ravensbrück 133. 000 Frauen und Kinder als Häftlinge registriert. Zehntausende wurden ermordet, starben an Hunger, Krankheiten und durch medizinische Experimente. Nach dem Bau einer Gaskammer Ende 1944 ließ die SS zwischen 5.000 und 6.000 Häftlinge durch »Zyklon B« töten.Kurz vor Ende des Krieges konnten mit Hilfe des Internationalen Roten Kreuzes etwa 7.500 Häftlinge in die Schweiz und nach Schweden gebracht werden. Mehr als 10.000 der im Lager verbliebenen Frauen trieb die SS auf »Todesmärsche« in Richtung Nordwesten. Am 30. April 1945 befreite die Rote Armee etwa 3.000 zurückgelassene Kranke.Extreme Nähe der SS-Villen zum AppellplatzKein Hinweisschild, keine Tafel, nur die Mitteilung: Betreten verboten! Nichts deutet heute darauf hin, dass diese Häuser, die so dicht bei der Kommandantur lagen, zum KZ Ravensbrück gehörten. Und seit kurzem zur Gedenkstätte. Zumindest die acht Aufseherinnen-Häuser. Eines davon wird ein Museum aufnehmen und soll in seiner jetzigen Form möglichst erhalten bleiben, um das Thema »Täterinnen« dokumentieren zu können. Die sowjetischen Offiziere, die hier nach 1945 untergebracht waren, haben kaum etwas verändert. Von den Kaminen und holzgetäfelten Decken in den Führerhäusern bis zu den modernen Einbauschränken in den Wohnungen der Aufseherinnen - alles ist geblieben, wie es war. Aber noch etwas anderes prägt diese Siedlung: »Die reizvolle Landschaft auf der einen Seite und auf der anderen der Wohnort der SS-Lageraufsicht - und das in so unmittelbarer Nähe zum Konzentrationslager. Die Schauplätze sind räumlich derart konzentriert, das es heute kaum noch vorstellbar ist. Wir werden versuchen, das mit der Ausstellung in einem der Aufseherinnenhäuser deutlich zu machen«, sagt Sigrid Jacobeit, die Leiterin der Gedenkstätte.Die extreme Nähe der SS-Herbergen zu Appellplatz und Baracken konnte für die Häftlinge verhängnisvoll sein. »Bei Koegel haben wir das öfter zu spüren gekriegt. Wenn es ihm zu laut war, wurde das ganze Lager bestraft. Zum Beispiel im Winter, wenn der Boden gefroren war und dann am Sonntag während der Freistunde ein paar hundert Holzpantinen über den vereisten Platz klapperten, dazu die Gespräche. Dann war's bei denen nicht sehr ruhig. Und Koegel fegte wie ein Habicht in den Hühnerhof. Und alle versuchten, schnell in ihren Block zu kommen.«Nein, Edith Sparmann stört es nicht, dass die Sowjet-Armee das Lager besetzte: »Das waren ja unsere Befreier, die jetzt in die Häuser zogen. Sie hatten uns praktisch zum zweiten Mal das Leben geschenkt. Warum sollten sie nicht dort wohnen?« Nur dass sich, nachdem Anfang der neunziger Jahre die letzten russischen Soldaten abgezogen waren, so wenig getan hat, das enttäuscht sie.Auch Sigrid Jacobeit wünscht sich, dass die Aufseherinnenhäuser zügig saniert werden. Ihr Traum: Eine Einweihung der renovierten Gebäude im Jahre 2002. Die Idee, in diese Häuser, an diesen Ort, auch die Jugend zu holen, ist schon älter. Vor 55 Jahre geboren. Als sich die Frauen, die von der SS zu medizinischen Experimenten missbraucht wurden, einigermaßen erholt hatten und das Lager verließen, schworen sie sich, als sie an den Wohnungen ihrer Peiniger vorbei kamen, dass sich hier eines Tages junge Menschen davon überzeugen sollten, was Ravensbrück bedeutete.Am 10. September, zum »Tag des offenen Denkmals«, kann die Siedlung ein letztes Mal in ihrem jetzigen Zustand besichtigt werden. Auch das Aufseherinnen-Haus, dessen Umbau zum Museum vorgesehen ist, wird dann zugänglich sein. In den Innenräumen erwartet die Besucher eine kleine Ausstellung. Sigrid Jacobeit: »Angesichts der Frage, wie es kommt, dass sich der Rechtsradikalismus in unserem Lande mehr und mehr ausbreitet, müssen wir auch auf die Frage antworten, wie es dazu kam, dass sich gerade junge Frauen damals hier als Aufseherinnen, als SS-Personal, zur Verfügung stellten ...«Die angepflanzten Primelbüsche auf den Balkonen Der apokalyptische Stoff Vergangenheit. In Ravensbrück kann er nach den strengsten Wahrheitsregeln erforscht und analysiert werden. Der Ort erlaubt ein Verweilen in der Erinnerung, ja, er zwingt dazu, jenseits aller Toleranz, aller Toleranz der Gleichgültigkeit und des Vergessens. Kann Geschichte, hier, nur gedacht oder auch erfühlt werden? Von allen, die es nicht gehört und nicht gesehen haben? Das fette, rasende Geschrei auf dem Appellplatz, das klappernde Schlurfen der Holzpantinen? Das Krematorium, das Maschinengewehr am Haupttor? Und die angepflanzten Primelbüsche auf den Balkonen der Unterscharführerinnen unter einem apfelgrünen Himmel im Mai?»Es ist bitter«, meint Edith Sparmann, »dass so wenig geblieben ist, dass keine der Häftlings-Baracken mehr steht, dass nur die SS-Siedlung immer noch da ist ... «Die Erklärung für diesen Umstand findet sich in der einigermaßen bizarren Geschichte der Mahn- und Gedenkstätte. Es dauerte nach dem Krieg 14 Jahre, bis überhaupt ein Ort des Erinnerns entstand. Zu verdanken war das besonders der Hartnäckigkeit, mit der die Überlebenden von Ravensbrück darauf bestanden, an diesem Platz für die Toten zu sprechen und zu berichten. Die Frauen wollten »ihren« Zellenbau, den Bunker, die Werkstätten als Gedenkstätte, aber sie bekamen zunächst viel weniger.Das Mahnmal entstand schließlich 1959, doch außerhalb der einstigen Lagergeländes auf einem äußerst begrenzten Terrain, das kaum einen authentischen Eindruck von den einstigen Dimensionen des Lager zuließ. Erst 1984 - 39 Jahre nach der Befreiung der Frauen von Ravensbrück - wurde die ehemalige SS-Kommandantur von der sowjetischen Garnison an die Gedenkstätte übergeben. - »Es war ein ganz wichtiges Zeichen, dass 1995 der 50. Jahrestag der Befreiung dort begangen werden konnte, wo einmal das Haupttor des Konzentrationslagers stand«, erinnert sich Sigrid Jacobeit an die letzte Erweiterung, die es gab, »zum ersten Mal konnten die überlebenden Häftlinge das eigentliche Lager wieder betreten.«Doch damit ist diese Geschichte noch nicht zu Ende, im Juli hat das Land Brandenburg die Aufseherinnen-Häuser der SS-Wohnsiedlung nicht nur der Gedenkstätte, sondern auch dem »Deutschen Jugendherbergswerk« überantwortet. Eine ungewöhnliche und respektable Entscheidung, wie es sie bisher - bezogen auf Deutschland - in ähnlicher Weise nur für die Gedenkstätte in Dachau gegeben hat. Eine Jugendherberge wird entstehen - ein Ort der Begegnung auf dem Gelände eines einstigen Konzentrationslagers.
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