Babyfernsehen in 3D und hoch aufgelöste Bilder, die den künftigen Eltern versichern sollen, dass mit dem Kind alles in Ordnung ist - das prägt heute den Besuch einer Schwangeren in der gynäkologischen Praxis. Pränataldiagnostik (PND) bei der mittels Ultraschall, Fruchtwasseruntersuchung und anderen Tests nach Anomalien gefahndet wird, ist in Deutschland eine Routineangelegenheit geworden und weitgehend entpolitisiert.
Kaum mehr vorstellbar, dass sich Feministinnen und Krüppelbewegung in den achtziger Jahren auf Großkongressen gegen humangenetische Untersuchungen organisierten. Wenn damals für das Recht der Frau auf Selbstbestimmung und Schwangerschaftsabbruch gestritten wurde, empfand man das keineswegs in Widerspruch dazu, dass man Kinder mit unerwünschten Eigenschaften nicht ausgesondert sehen wollte und damit gegen die "Kontinuität der Eugenik", wie das damals hieß, stritt.
Heute ist die Szene derjenigen, die die ausufernde Suche nach Fehlbildungen und die "Schwangerschaft auf Probe" in Frage stellen, politisch defensiver geworden. Das Feld hat sich nach Berufssparten ausdifferenziert, die Thematik je nach Handlungslogik und den besonderen Interessen der Beteiligten verschoben. Deutlich wurde dies auf einer Tagung zum Thema Pränataldiagnostik, die am vergangenen Wochenende in Dresden auf Initiative verschiedener Frauen- und Behindertenverbände stattfand. Der für die Veranstalterinnen unerwartet große Zulauf von fast 300 Teilnehmerinnen zeigt, dass es unter Hebammen, Frauenärztinnen und Mitarbeiterinnen von Beratungsstellen und Behindertenverbänden großen Bedarf an Austausch gibt. Schwieriger hingegen gestaltet sich die Suche nach "Stellschrauben", nach konkreten Interventionsmöglichkeiten. Denn anders als in den achtziger Jahren, als die PND noch nicht ins Routineprogramm der Schwangerenvorsorge gehörte, lässt sich heute, wie eine Teilnehmerin treffend bemerkte, "der Geist nicht einfach mehr in die Flasche zurücktun".
Während auf der einen Seite die betroffenen Frauen pränataldiagnostische Verfahren immer mehr nachfragen, schafft ein zunehmend ökonomisiertes Gesundheitssystem auch neue Zwänge und Begehrlichkeiten - nicht nur in Arztpraxen, sondern bei Beraterinnen und Hebammen. Als konkreter Ansatzpunkt bieten sich deshalb die so genannten IGeL-Leistungen, also die privat bezahlten "Individuellen Gesundheitsleistungen", an, die insbesondere in den gynäkologischen Praxen boomen. Fast 40 Prozent aller schwangeren Frauen nehmen nach einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) schon heute den Ultraschall zur Messung der Nackentransparenz als private Leistung in Anspruch. Der Test fahndet im ersten Schwangerschaftsdrittel nach einem erhöhten Risiko für chromosomale Fehlbildungen, insbesondere Trisomie 21 (Down Syndrom) und Spina Bifida (offener Rücken).
Unzuverlässige Tests
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bezweifelt allerdings die Treffsicherheit dieses Tests. Eine Vorstudie zur Testgüte von Ultraschall-Screenings, die das IQWiG im letzten November veröffentlichte, hat folgendes Szenario aufgemacht: Geht man davon aus, dass, statistisch gesehen, sieben von 1.000 Frauen ein Kind mit einer chromosomalen Fehlbildungen erwarten, bekommen fünf der tatsächlich betroffenen Frauen bei der Messung der Nackentransparenz eine diesbezüglich korrekte Prognose, zwei jedoch nicht. Demgegenüber werden aber weit mehr als diese fünf, nämlich insgesamt 53 Frauen, mit einem positiven Testergebnis konfrontiert. Lassen diese anschließend routinemäßig eine Fruchtwasseruntersuchung durchführen, um die Diagnose zu bestätigen, ist dieser Eingriff für alle 53 Frauen mit dem relativ hohen Risiko einer Fehlgeburt, nämlich 0,5 bis ein Prozent, verbunden.
Solche Studienergebnisse verweisen deutlich auf ein fragwürdiges, von ökonomischen Motiven gepushtes "Geschäft mit der Angst". Die Kritik an der Qualität von PND-Verfahren steckt allerdings in einem Dilemma, denn die Kritik zielt ja gerade nicht auf eine höhere "Detektionsrate", also auf zuverlässigere Prognosen, welches Kind etwa mit Down-Syndrom geboren werden wird - eine Diagnose übrigens, die bei neun von zehn Schwangerschaften zum Abbruch führt. Vielmehr geht es gerade Behindertenorganisationen um die Folgen, die die Selektion durch pränataldiagnostische Maßnahmen hat. Die Bremer Behindertenpädagogin Swantje Köbsell glaubt, dass sich der PND-Boom nur eindämmen lässt, wenn ein "soziales Modell" von Behinderung greift. Nur das Wissen, so Köbsell, dass Menschen nicht behindert sind, sondern an ihrer Partizipation gehindert, das heißt behindert werden, führt aus der medizinischen Vermeidbarkeitsfalle.
Dass der PND-Markt trotz relativ unsicherer Testergebnisse boomt, lässt aber auch vermuten, dass schwangere Frauen nicht dem marktwirtschaftlichen Ideal der informierten Kundin entsprechen. Deshalb fordern Fachfrauen nachdrücklich eine bessere Aufklärung. Die verfügbaren statistischen Daten der Gentest-Beratung sind tatsächlich alarmierend. Das wissenschaftliche Institut der AOK belegt, dass sich die kassenärztlich abgerechneten DNA-Extraktionen aus Zellen oder Gewebeproben zwischen 2000 und 2004 zwar fast verdoppelt haben, die genetischen Beratungen im selben Zeitraum jedoch nicht in gleichem Maß gestiegen, sondern vielmehr sogar leicht zurückgegangen sind. Noch schlechter ist es um die psychosoziale Beratung bestellt, die nach der BZgA-Studie weniger als ein Fünftel aller schwangeren Frauen vor einer PND erreicht. Selten weisen Ärztinnen darauf hin, dass die Frauen nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz ein Recht auf psychosoziale Beratung haben - eine Tatsache, die im übrigen auch der Entwurf der Grünen zum Gendiagnostikgesetz aufgreift. Danach sollen Ärzte vor einem Test auf diesen Beratungsanspruch hinweisen.
Privilegierter Erstkontakt
Für viele beruflich mit Pränataldiagnostik befasste Kritikerinnen sind alternative Beratungskonzepte der Dreh- und Angelpunkt. Diese zielen nicht nur darauf ab, die Patientinnen über die Aussagekraft der Tests aufzuklären, vielmehr plädiert die Gynäkologin Jeanne Nicklas-Faust vom Vorstand der Bundesvereinigung Lebenshilfe dafür, in der Beratung Klartext zu reden und deutlich zu machen, dass bestimmte pränatale Maßnahmen kein therapeutischer Gewinn sind, weil sich aus ihnen nur eine Handlungsoption ergibt, nämlich der Schwangerschaftsabbruch. Und auch wer das "volle" PND-Programm durchläuft, hat keine Gewähr, dass eine vorgeburtliche Anomalie auffällig wird.
Die politische Konzentration auf das Beratungsgeschehen ist allerdings auch nicht selbstlos, sondern der Interessenspolitik einzelner Berufsgruppen, die ihr Aktionsfeld erweitern wollen, verpflichtet. Behindertenverbände bieten den Schwangeren Kontakte zu Familien an, die mit der diagnostizierten Behinderung zu tun haben; Hebammen optieren für das niederländische System, in dem ihre Kolleginnen eine tragende Rolle bei der Vorsorge spielen; und Beratungsstellen drängen Gynäkologinnen, mehr betroffene Frauen an sie zu vermitteln. "Man könnte meinen, es geht hier um ein Wettrennen um den Erstkontakt zur schwangeren Frau", so der Kommentar einer Teilnehmerin. Auch Margaretha Kurmann vom Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik warnt davor, sich zu viel von der Politik der Beratung zu versprechen und verweist auf Modellprojekte, die an der Realität der PND nicht viel geändert hätten.
Die Auseinandersetzung zwischen den Berufsgruppen ist mittlerweile auch zu einem Verschiebebahnhof in punkto Verantwortung geworden. Während die einen die im Erstkontakt mit der Schwangeren "privilegierten" Gynäkologinnen in die Pflicht nehmen wollen, verweisen diese auf ihre besondere Problemlage: sie stehen unter dem Druck, private Leistungen anzubieten, weil die Abrechnungssysteme der Krankenkassen Beratung zu wenig honorieren und sie last but not least tagtäglich mit der aktiven Nachfrage der Patientinnen konfrontiert sind. Wenn sich heute also eine Frau gegen pränatale Diagnostik entscheidet, stößt sie nicht nur auf gesellschaftliches Unverständnis, sondern auch auf den vielstimmigen Chor der Helferinnen.
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