Transparente Kontamination

Grüne Gentechnik Der Umgang mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln soll sich in Europa künftig an neuen Richtlinien orientieren

Indem wir sicherstellen, dass sich gentechnisch veränderte Organismen bis auf alle Stufen der Produktions- und Vermarktungskette zurückverfolgen lassen, bieten wir ein robustes Schutzsystem", frohlockte Anfang Juni die Umwelt-Kommissarin der Europäischen Union (EU), Margot Wallström. Das Europäische Parlament hatte gerade die neuen Richtlinienvorschläge zu gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in erster Lesung verabschiedet. Im gleichen Atemzug fügte Wallström hinzu: "Unsere Vorschläge werden das Vertrauen der Öffentlichkeit in neue Technologien festigen, was wiederum die wirtschaftliche Entwicklung und den internationalen Handel erleichtern wird".
Nahezu euphorische Töne waren zeitgleich von Hiltrud Breyer, der deutschen Europaabgeordneten und Gentechnikexpertin von Bündnis 90/Die Grünen, zu hören. Als "Riesenerfolg für den Verbraucherschutz" wertete Breyer die neue Richtlinie zur Kennzeichnung von Gentechnik in Lebensmitteln. Dass gentechnisch veränderte Organismen nun umfassend gekennzeichnet werden müssen und rückverfolgbar seien, sei ein "Meilenstein für mehr Verbrauchertransparenz", freute sie sich. Selbst von Vertretern aus dem gentechnik-kritischen Lager - allen voran Greenpeace - wurden die Gesetzesvorschläge der EU nahezu überschwänglich begrüßt.
Lückenlose Dokumentation
Gemeinsam mit der EU-Kommission befürwortet das Europaparlament eine Kennzeichnungspflicht für alle Lebensmittel, die mit GVO in Berührung gekommen sind - und zwar unabhängig davon, ob die gentechnische Veränderung im Endprodukt wissenschaftlich nachweisbar ist oder nicht. Damit würde in Zukunft etwa Schokolade deklariert, die aus gentechnisch veränderten Ölsaaten gewonnenes Lecithin enthält. Bislang waren solche Zutaten nicht zu kennzeichnen, da die gentechnischen Spuren bei Verarbeitungsprozessen verloren gingen und damit kaum nachweisbar waren. Eine Ausnahme hält die Regelung jedoch für von Tieren stammende Lebensmittel bereit, die mit GVO-Futtermitteln versorgt wurden. Fleisch, Milch oder Eier solcher Tiere sind weiterhin nicht deklarationspflichtig, obwohl die Futtermittel - im Gegensatz zur gegenwärtigen Situation - wiederum zu kennzeichnen wären.
Die neue Regelung stützt sich auf ein "warenbegleitendes und lückenloses Dokumentationssystem". Es soll ermöglichen, dass Informationen über einen GVO-Einsatz vom Erzeuger über die Verarbeitungs- und Handelskette bis zum Verbraucher weitergegeben werden können. Die jeweils am Lebensweg der Produkte Beteiligten müssen die Unterlagen jahrelang aufbewahren - für den Fall, dass Behörden einzelne Stationen eines Lebensmittels zurückverfolgen wollen.
Irrsinn für Lebensmittelwirtschaft?
Beatrix Tappeser, Koordinatorin des Bereiches Gentechnik im Freiburger Öko-Institut, widerspricht der allgemeinen Auffassung, die neue EU-Richtlinie würde eine Abkehr vom gegenwärtigen Nachweisprinzip darstellen. "Sie gilt für Produkte, bei denen kein Nachweis mehr möglich ist und ist daher prinzipiell begrüßenswert", erläutert sie. Allerdings macht Tappeser auch Schwachpunkte aus, etwa die Regelung für tierische Lebensmittel: "Auch deren Prozesskette müsste beim Endprodukt mit berücksichtigt werden". Auf grundlegende Schwierigkeiten des Regelwerks weist Greenpeace-Gentechnikexperte Christoph Then hin. Seiner Meinung nach müsse man erst einmal sehen, inwieweit die neue Richtlinie überhaupt praktikabel sei. "Außerdem ist abzuwarten, wie viel von ihr bis zur endgültigen Verabschiedung übrigbleibt", stellt Then fest. Zwar begrüßt er mit Tappeser, dass die Kennzeichnungspflicht auf tierische Produkte erweitert wird. Allerdings sieht er schon in der Deklaration von Futtermitteln einen Erfolg. Obwohl das Fleisch trotz GVO-Verfütterung nicht kennzeichnungspflichtig sei, würde dennoch eine Nachfragesteigerung nach solchem Fleisch ins Rollen kommen, das aus GVO-freier Quelle herangewachsen ist, glaubt Then.
Problemen ganz anderer Art sieht sich Oliver Mellenthin ausgesetzt. Er ist Mitarbeiter in der wissenschaftlichen Leitung des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL), dem Spitzenverband der Deutschen Lebensmittelwirtschaft. Dem BLL gehören Verbände und Unternehmen aus Industrie, Handel, Landwirtschaft und angrenzenden Gebieten an. Für alle am Prozess Beteiligten sei es mit erheblichen Kosten verbunden, das angestrebte Dokumentationssystem für die ganze Produkt-Vielfalt zu etablieren, so Mellenthin. Es müsse daher dringend geklärt werden, ob jeder Handelspartner die Informationen über die vor- und nachgelagerte Stufe aufbewahren muss oder die gesamte Dokumentation demjenigen zufällt, der ein Lebensmittel als Letzter an die VerbaucherInnen abgibt - also vorwiegend dem Handel. "Das alles ist noch sehr unkonkret", meint Mellenthin.
Der Knackpunkt sei die kaum praktikable Verwahrung der Dokumente: "Es grenzt doch an Wahnsinn, falls diese fünf oder gar zehn Jahre lang aufbewahrt werden müssten". Ansonsten hält es der BLL eher mit dem alten Nachweisprinzip - schließlich hätte sich dieses in den letzten Jahren als praxistauglich erwiesen. Im Positionspapier der produzierenden Wirtschaft heißt es außerdem: "Sicherheit kann ausschließlich durch eine sorgfältige Beurteilung im Vorfeld der Zulassung erfolgen. Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit hingegen können an sich keinen Schutz bieten".
Feilschen um Grenzwerte
Für wesentlich mehr Zündstoff als das Dokumentationssystem könnte der neue Schwellenwert für eine "ungewollte" Kontamination mit Gentechnik in Lebens- oder Futtermitteln sorgen. Gegenwärtig liegt dieser Wert bei einem Prozent - erst ab einer solchen Verunreinigung mit GVO muss gekennzeichnet werden. Während die EU-Kommission weiterhin ein Prozent für angemessen hält, will das Parlament eine schärfere Regel: ab 0,5 Prozent sollen "zufällige oder technisch unvermeidbare" GVO deklarationspflichtig sein.
Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) hält beide Vorschläge für eine Mogelpackung und hat prompt eine Kampagne dagegen gestartet. "Die Schwellenwerte garantieren, dass wieder Gentechnik in die Produkte einkehrt", erbost sich Katja Moch vom Referat Landnutzung des BUND. "Kontaminationen werden von der Industrie erzeugt, die es nicht schafft, die Warenströme getrennt zu halten und die Schwellenwerte legitimieren dieses Versäumnis".
Auch Christoph Then hätte sich einen niedrigeren Schwellenwert gewünscht - möglichst orientiert an der technischen Nachweisgrenze von 0,1 Prozent. "Lebensmittel-Hersteller haben mit 0,5 Prozent kein Problem", meint Then. Das sieht Oliver Mellenthin ganz anders. "Der Schwellenwert leitet sich nicht aus der Analytik ab, sondern aus den weltweiten Warenströmen", meint er, "und gewinnt vor allem dann an Bedeutung, wenn das europäische Moratorium zur Zulassung von GVO aufgehoben wird".
Mellenthin spielt damit auf den Plan der EU-Kommission an, die neuen Richtlinien-Vorschläge als Argument zu nutzen, um künftig wieder gentechnisch veränderte Lebensmittel in Europa zu genehmigen. Die gegenwärtig gültige Zulassungsbeschränkung wurde 1999 beschlossen und beruht auf einer Mehrheit der Mitgliedstaaten. Sie wollen so lange keine weitere GVO in Europa zulassen, bis nicht umfassend geregelt ist, wie diese freizusetzen, zu kennzeichnen und rückzuverfolgen sind. Sollte das Moratorium tatsächlich kippen, ist laut Mellenthin ein Schwellenwert von 0,5 Prozent kaum noch zu halten, während ein Prozent noch einen "Puffer im Hinblick auf gewisse Szenarien in Europa" bieten würde.
Weniger an das Gentech-Geschäft sondern vielmehr an Öko-Bauern denkt Beatrix Tappeser. Sie hält einen Grenzwert von 0,5 prozentiger GVO-Verunreinigung in Lebensmitteln für realistischer angesetzt als die Nachweisgrenze von 0,1 Prozent. "Die Nachweisgrenze wird für diejenigen kaum zu erreichen sein, die ihre Produkte zwar gentechnikfrei halten wollen, es aber infolge der Kontamination nicht können", beklagt sie. "Andererseits muss der Gesetzgeber sicherstellen, dass der Verursacher für die Verunreinigung aufkommt und die Wahlfreiheit der VerbraucherInnen durch möglichst reine Öko-Produkte garantiert wird".
Die Zukunftsstiftung Landwirtschaft stellt sich angesichts der Schwellenwerte gar die Frage, ob in Europa künftig noch eine Landwirtschaft ohne Gentechnik möglich sei. Schließlich sieht die neue EU-Richtlinie parallel der Regelung bei Lebens- und Futtermitteln auch beim Saatgut - je nach Sorte unterschiedliche - gentechnische Verunreinigungen vor. Würden die entsprechenden Grenzwerte eingehalten, dürfte die kontaminierte Saat ohne Kennzeichnung in den Handel und auf den Acker gelangen.
Die Landesstiftung bangt jedoch nicht nur um den ökologische Landwirtschaft. Auch den konventionellen Landbau sieht sie Problemen ausgesetzt, da dieser ebenfalls gentechfreie Ware liefern wolle. Um ihrer Sorge Ausdruck zu verleihen, sammelt die Stiftung daher Unterschriften für die Saatgut-Petition "Save our Seeds" - Adressaten sind die EU-Kommissare David Byrne, Franz Fischler und Margot Wallström. Laut Petition wären keine GVO-freien Produkte mehr gewährleistet, "wenn künftig auch nicht gentechnisch veränderte Pflanzensorten einen GVO-Anteil von 30 bis 70 Quadratmetern pro Hektar enthalten könnten, ohne dass dies den betroffenen Bauern auch nur bekannt ist".
Demgegenüber sieht der Europäische Wissenschaftliche Ausschuss für Pflanzen die Richtlinien-Vorschläge der EU-Kommission als zu gering an: Es wäre höchst problematisch, sie in der Praxis tatsächlich einzuhalten. Die Wissenschaftler des Ausschusses fordern zudem, die Grenzwerte in regelmäßigen Abständen den Erfahrungen mit GVO anzugleichen. Anders ausgedrückt: Sollten sich zunehmende Verunreinigungen abzeichnen, würden die Grenzwerte erhöht.

Weitere Informationen: www.transgen.de und www.zs-l.de

Tamás Nagy ist Ernährungswissenschaftler und arbeitet beim Münchener Umweltinfodienst "punkt.um"


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