Abhör-Skandal Das Versteckspiel ist vorbei: Sogar den Abhördiensten NSA und GCHQ dürfte klar sein, dass ihre Arbeit ohne eine Debatte über ihre Befugnisse nicht mehr vertretbar ist
Was dieser Mann zu sagen hat, wollen nicht alle hören: Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger auf dem Weg zum Untersuchungsausschuss
Für die meisten Besucher ist Cheltenham ein charmanter Kurort am Rande der englischen Region Cotswolds. Sie bewundern die elegante Regency-Architektur aus dem frühen 19. Jahrhundert, besuchen die Pferderennbahn und tummeln sich bei einem der vielbesuchten Festivals. Nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist, dass Cheltenham eine der Stadt der Unternehmen ist, die fast alle in der selben Brache tätig sind: der Spionage.
Der britische Geheimdienst Government Communications Headquarters (GCHQ) scheint seine Arbeit sehr gut zu machen. Zu seinen 6.400 Angestellten zählen viele kluge Programmier, die unermüdlich an immer kreativeren Möglichkeiten arbeiten, große Datenmengen über hunderte Millionen Menschen zu sammeln.
Manche finden dies beruhigend, ander
beruhigend, andere bedrohlich. Was die Mitarbeiter des GCHQ angeht, so finden sie sich seit den Enthüllungen Edward Snowdens zum ersten Mal dem kritischen Blick der Öffentlichkeit ausgesetzt. Das ist ihnen, gelinge gesagt, unlieb. Es wäre ihnen lieber, wenn das aufhört – und sie haben Freunde in der Politik, der Justiz und sogar in den Medien, die ihre Meinung teilen.Metadaten, überallWir leben im Goldenen Zeitalter der Überwachung. Die Mobiltelefone, die wir mit uns herumtragen, verraten uns – unsere Wege, unsere Suchbegriffe, unsere Gesundheit, unsere Absichten, unsere Freunde, unsere E-Mails, unsere SMS-Nachrichten. Ein nichtssagender Begriff für diese Informationen, die alles über das Leben eines Menschen verraten, lautet „Metadaten“. Der britische GCHQ und die amerikanische NSA sind beim Sammeln solcher Informationen Weltspitze. Den von Snowden geleakten Dokumenten zufolge ist im Laufe der vergangenen fünf Jahre der Zugriff des GCHQ auf „leichte“ (ein schönerer Name für Meta-) Daten um siebentausend Prozent gestiegen. Die Menge an Material, das analysiert oder verarbeitet wird, ist um 3.000 Prozent angestiegen. Das sind eine ganze Menge leichter Daten. Manche werfen dem GCHQ vor, nicht mehr zu sein als die Cheltenham-Filiale der NSA. Auch wenn dies nicht gerecht sein mag, räumt man im Londoner Regierungsviertel doch ein, dass ein hohes Maß an Kooperation zwischen den beiden Diensten besteht. Der GCHQ erhält jedes Jahr mehrere Millionen von Pfund von der NSA. Der GCHQ galt lange als Aschenputtel der Geheimdienstwelt. Inzwischen ist klar, dass GCHQ und NSA unbemerkt an die Spitze der Geheimdienst-Hackordnung aufgestiegen sind. Dabei ist eine immer größere Asymmetrie entstanden: Sie wissen potenziell praktisch alles über uns, aber wir wissen praktisch überhaupt nichts über sie.Unwissen ist OhnmachtDas wirft drei Frage auf. Erstens: Ist es in Ordnung, dass sie alle privaten und gewerblichen Kommunikationswege überwachen dürfen, um Informationen über die gesamte Bevölkerung zu sammeln, zu speichern und zu analysieren? Wer wusste darüber Bescheid? Zweitens: Ist es rechtens, dass wir so wenig darüber wissen, was sie sind und was sie machen und dass dieser dramatische und historisch beispiellose Verlust individueller Privatsphäre ohne jegliche Form des Wissens oder Einverständnisses der Öffentlichkeit vonstatten gehen konnte? Wer hat hier zugestimmt? Schließlich: Ist diese neue Infrastruktur vertretbar? Alle sind sich einig, dass wir Geheimdienste brauchen und dass deren Arbeit auch weitgehend geheim gehalten werden muss. Aber die Technik bietet heutzutage solch tiefgreifende Möglichkeiten, dass sich Fragen über die Art der demokratischen Kontrolle stellen, die über die Informatiker in Cheltenham oder ihre Kollegen in Fort Meade, Maryland, ausgeübt werden kann. Bislang lautete die Antwort auf diese Frage: Geheime Gerichte und Geheimausschüsse. Aber erfahren diese Auserwählten auch wirklich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit? Wissen sie, welche Fragen sie stellen müssen? Sind sie wirklich imstande, die neusten Technologien zu verstehen? Wieviel Kontrolle der geheimen Bürokratien und Abläufe ist ihnen wirklich möglich? Haben sie Datenschutzexperten oder Berater in Sachen Internet zur Hand? Inwieweit geben sie ihr Wissen an andere Abgeordnete weiter, die doch wohl darüber Bescheid wissen sollten, was der Staat kann, wenn sie darüber entscheiden sollen, diese Befugnisse noch stärker auszuweiten?Anlass zu SorgeSo geraten die Kontrolleure selbst in den Blick – und es steht außer Frage, dass die Snowden-Dokumente Anlass zur Sorge geben. Es ist beispielsweise sicher, dass vor dem US-Kongress nicht immer die Wahrheit darüber gesagt wurde, was die NSA so treibt. Es wurde auch die Frage gestellt, wie unabhängig das Fisa-Gericht, das den US-Auslandsgeheimdienst überwacht, eigentlich ist. Die Abgeordneten im britischen Westminster, die einer gewaltigen Ausweitung der Datensammlung zustimmen sollten, sind ihrerseits außer sich, dass ihnen Informationen vorenthalten wurden, die erst jetzt ans Licht gekommen sind. Nahezu alle sind sich inzwischen darüber einig, dass es eine öffentliche Debatte über diese Fragen geben muss. „Alle“ – das schließt auch den US-Präsidenten, Abgeordnete, Botschafter, Technologieunternehmen, Kryptografen, Journalisten, Anwälte, die Überwachungsausschüsse und sogar die Spione selbst - mit ein. Der Kongress-Abgeordnete, der für den nach dem elften September verfassten Patriot Act verantwortlich ist, war entsetzt darüber, (aus der Presse) zu erfahren, wofür das Gesetz verwendet wurde. Jetzt arbeitet er an einem anderen Gesetz, um das, was er als ungerechtfertigte Schnüffelei erachtet, zu stoppen. Er sagt, er wolle „das Metadaten-Programm der NSA außer Betrieb nehmen.“ Die Geheimdienste müssen sich fragen, wie solche Programme ohne öffentliche Debatte und ohne das Einverständnis der Bevölkerung, deren Daten abgeschöpft werden, vertretbar sind. Durch Chelsea Manning und Snowden ist klar geworden, dass die Dienste ihre wertvollen Geheimnisse nicht für sich behalten können, wenn ihre eigenen Mitarbeiter so beunruhigt sind, dass sie sie an die Öffentlichkeit weitergeben. Die Ingenieure und Analysten der Dienste müssen glauben, dass die Technologien, die sie entwickeln und anwenden, sich mit den Gesetzen in Einklang befinden. Die Rolle der MedienSchließlich kommt bei alldem auch den Medien eine Rolle zu. Ohne Journalisten – und natürlich ohne Snowden - wäre diese Debatte nicht möglich gewesen. Nicht geheime Kontrollgremien haben die Dinge ans Licht gebracht, über die wir hier sprechen, sondern Zeitungen. Der frühere NSA-Justiziar Stewart Baker fasste seine Auffassung der rechtlichen Situation der Presse in solchen Angelegenheiten wie folgt zusammen: „Snowden hat gegen das Gesetz verstoßen. Doch wenn er die Informationen erst einmal an Journalisten weitergegeben hat, sind diese geschützt.“ In Amerika gibt es keine Vorzensur. Kein Journalist wird nach dem Espionage Act verfolgt. Es gibt praktisch keine Kritik an New York Times oder Washington Post dafür, dass sie eine Geschichte bringen, die so eindeutig von öffentlichem Interesse ist. In Großbritannien ist die Lage allerdings weit weniger klar. Hier droht der Staat, die Debatte abzuwürgen, Dokumente zu beschlagnahmen, die Polizei zu rufen und Anti-Terror-Gesetze zu missbrauchen. Man bringt sogar das Parlament dazu, gegen eine Zeitung zu ermitteln, die ein Schlaglicht auf Institutionen geworfen hat, die sich im Dunkeln wohler fühlen. „Wenn eine Regierung Journalisten Verräter nennt, sollten die Fragen anfangen, nicht aufhören“, schrieb Amy Davidson vom New Yorker vor kurzem. Recht hat sie.
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