In der mitteldeutschen Medienlandschaft gibt es Streit. Ein in Ostdeutschland wenig erfolgreicher Anbieter, der Spiegel, verreißt einen regional erfolgreichen Anbieter, nämlich den Mitteldeutschen Rundfunk, jenes der dritten ARD-Programme, das für Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen zuständig ist. Einst unter bayerischer Mentorenschaft installiert, richtet sich der MDR seit dem politisch brav am Mainstream aus und thematisch wie ästhetisch an den Bedürfnissen der einfachen Leute. Er liefert Trost und Trotz im schlichten oder schlechten Alltagsleben in Mitteldeutschland. Der Kritiker aus Hamburg sieht im MDR-Programm eine Estrade tumber und ostalgischer Klischees und "Lebenshilfe-Genöle" - und der Fernsehdirektor kontert in einer regionalen Zeitung
len Zeitung mit dem Verweis auf die erfolgreiche Quote und wirft dem Spiegel seinerseits "abgedroschene Klischees" vor.Klischees sind sowohl für den Spiegel wie für den MDR noch nie absatzschädigend gewesen, man lebt davon. - Interessant ist, mit welchen wohl kalkulierten Klischees die Redakteure ihr Publikum zu finden glauben und was sie als Subtext und Fazit ihrer Beiträge anbieten. Der Spiegel-Text kommt in dem für das Blatt nicht eben untypischen Hau-Drauf-Stil daher, schwungvoll, denunziatorisch "ironisch und witzig". Er liefert die reine Negation seines Gegenstands, keine alternative Position. Durch die Maschen des derart grob gestrickten Textes sind die Affekte des Autors, sein Ekel und seine zynische Distanz gegenüber dem im MDR verdoppelten Ost-Plebs gut sichtbar. Die ins Fernsehbild gesetzten Eingeborenen werden als "vermuckelte Träger von stonewashed Jeanshemden" beschrieben, die Moderatoren als "ausrangierte TV-Gesichter im letzten ABM-Job vor richtiger Arbeit".Was macht den MDR für den gebildeten Westblick so besonders? Politisch ist der MDR schwarz, wie der Bayerische Rundfunk, inhaltlich über große Strecken heftig volkstümelnd, auch wie der BR. Der Unterschied ist, dass der Adressat "das Volk" in Mitteldeutschland ein anderes ist als im Westen - und vor allem: Sich anders gibt. Der Westen ist in viel größerem Maße eine Mittelschichtsgesellschaft. Auch die kleinbürgerlichen und die Arbeitnehmer-Milieus sind hier habituell, ästhetisch und moralisch viel verbürgerlichter als die entsprechenden Milieus im Osten, wo es eine lebenstilmäßig stärker verproletarisierte Gesellschaft gibt. In den neuen Ländern rechnen sich knapp zwei Drittel der Menschen der Unter- und Arbeiterschicht zu - im Westen nur ein Drittel. Es ist nichts Ehrenrühriges im Osten, zur Arbeiterschicht zu gehören oder sich ihr zuzurechnen. Im Westen allerdings vermeidet man eine dahingehende Selbstinszenierung eher. Außerdem wird im Osten ständig gemeckert. Wenn etwas schlecht läuft, sind große Verantwortungsträger schuld: Krankenkassen, Versicherungen, die Behörden und die Kapitalisten. Im Westen überlegt es sich der "kleine Mann", der keiner sein will, dreimal, seine Malaise in die Fernsehkamera zu nörgeln. Schließlich hat er "gelernt", dass jeder seine Chance hat und nur die Deppen die Verlierer sind. Der Spiegel-Autor weist das Nörgeln der Ossi mit einem Eifer zurück, als sei er für die Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens Deutschland zuständig: Alles Hirngespinste! Nur lächerlich. Haltet doch endlich das Maul! Oder seit wenigstens witzig! Ach ja: Und zieht euch endlich ordentlich an! Wir machen es euch vor. - Die Ossis als Belastung und Belästigung für die Bürgergesellschaft. In seinem Ressentiment gegen diese Art von Volk ähnelt der Spiegel-Text manch linkssatirischer Glosse aus der taz. Konditioniert in einer durchgestylten und sozial stark segregierten Welt, in der die Unterschichten angemessene soziale Scham hatten, die Klappe und sich im Hintergrund hielten, ruft bei den Autoren dieser Pamphlete die Konfrontation mit dem schamlosen Ost-Plebs offenbar heftige, quasirassistische Abwehrreaktionen hervor. Eine Errungenschaft ihrer - bei den dicken Ossis vermissten - "privaten Revolution" ist es offensichtlich, doch lieber nur noch nach unten zu treten, als sich mit der Macht der Geldgeber anzulegen. Wenn es schon nur bei einer ästhetischen Revolution geblieben ist, so soll wenigstens deren Erfolge - Ohnmacht, Ironie und Stil - bewahrt bleiben. Mit dem "rischtschen Lähm", wie der Sachse sagen würde, will und kann man nicht mehr Kontakt aufnehmen, nicht mal virtuell. "Schonungslos authentisch" erscheint dem Spiegel die MDR-Singel-Show, in dem nichthochdeutschsprechende Singels Partner fürs Leben suchen. Sie "sehen aber nie aus wie in Herzblatt" bemerkt der Spiegel. - Was für eine Überraschung! Da gibt's Leute, die sehen nicht aus, wie Fernseh-Kandidaten und hoffen dennoch, eine Partnerin zu finden. Und dann noch im Fernsehen! Auf so was können nur Ossis kommen! Das ist einfach zu "schonungslos authentisch" für den "aufgeklärten" Autor.