Eschenbachers Welt

Berliner Abende Kolumne

Als Eschenbacher und ich neulich zusammen ein berüchtigtes Berliner Abendlokal aufsuchten, um uns dort das ein oder andere geistige Getränk zu genehmigen, kam mein Begleiter plötzlich, ohne dass ich ihm einen Anlass dazu gegeben hätte, auf die "Wohngemeinschaft im allgemeinen und den Mitbewohner im Besonderen" zu sprechen.

Er, Eschenbacher, habe in seiner ja bekanntermaßen noch nicht allzu lange zurückliegenden Studienzeit, in der es gang und gäbe gewesen sei, dass Frauen, Männer und andere Geschlechter in einem so genannten "fortschrittlichen Wohnkollektiv" beisammen hausten und sich mit allerlei Maßnahmen zur Staatsbekämpfung beschäftigten, selbst die bittere Erfahrung machen müssen, wie wenig Wert in diesen Kreisen auf ein Mindestmaß von Sauberkeit und Ordnung gelegt werde.

Auch in seiner weiblichen Form, so erläuterte Eschenbacher, den Bierschaum um seine Lippen achtlos mit dem von solcherlei Missbrauch schon arg in Mitleidenschaft gezogenen Hemdsärmel abwischend, bilde der Mitbewohner oder vielmehr die Mitbewohnerin, auch und gerade wenn diese sich auf Flugblättern meist mit einem großen I in der letzten beziehungweise vorletzten Silbe geschrieben sehen wolle, keine Ausnahme.

Eine solche MitbewohnerIn, deren Name hier nichts zur Sache tue, habe es beispielsweise, von der gänzlichen Unfähigkeit, die anderen Bewohner der gemeinsamen Wohnung tatsächlich als Mitbewohner wahrzunehmen, einmal abgesehen, in der Tat fertiggebracht, ihre selbst gestrickten blauen Socken inmitten flüssiger Frühstückseireste auf dem komplett unabgeräumten Frühstückstisch zurückzulassen.

Der Mitbewohner "an und für sich" sei "prinzipiell und tendenziell ein Dreckspatz", so Eschenbacher. Der Einzelwohner und Nichtmitbewohner, der in diesem und anderen ähnlich gelagerten Fällen gewissermaßen als ahnungslos und bestenfalls als Laie gelten müsse, könne sich, naiv und unwissend wie er sei, überhaupt nicht vorstellen, welch vielfältige Farbenpracht ein im hinteren Teil des Kühlschranks in Vergessenheit geratener Teller Spaghetti Napoli nach einigen Wochen hervorbringen könne. Er hingegen, Eschenbacher, habe, was derartige Geschichten anginge, "so manchen Schwank auf Lager". So seien etwa nicht nur die Bartstoppeln des Mitbewohners regelrecht über das gesamte Handwaschbecken verteilt, sondern es fänden sich auch ganze Haarbüschel unbekannter Herkunft, die meist zu einem regelrechten Pfropf zusammengeklebt seien und sich naturgemäß nur schwer aus dem Abfluss der Badewanne entfernen ließen. Eschenbacher vertrat die Ansicht, dass solcherlei Vorkommnisse, "solche beschissenen Sauereien", wie er formulierte, sich in fast allen Fällen dem Mitbewohner zuschreiben ließen.

Letztlich, so die Ergebnisse seiner Disputation noch einmal zusammenfassend, sei der Mitbewohner, ob nun "männlich oder weiblich oder sonstwas", ein ganz und gar niederträchtiger und unerträglicher Mensch, "eine richtige Drecksau", und, was das Maß seiner Unerträglichkeit angehe, durchaus mit dem üblicherweise schon in frühester Jugend total stumpfsinnigen schwäbischen Jungdummkopf zu vergleichen.

Denn wenn etwas als absolut verabscheuungswürdig gelten dürfe, dann seien es zweifelsohne die aus der tiefsten und daher naturgemäß geistfernsten bayerischen oder gar schwäbischen Provinz in diese geistverlassene so genannte Hauptstadt geschwemmten Studenten, die sich nicht nur wie der Rotz am Ärmel vorkämen, sondern mittels ihres "deutsch-katholischen Gemeinschaftsticks und Gemeinschaftsfetischismus" in sämtliche so genannte Wohngemeinschaften einschlichen, ja diese sogar "unterwanderten" und schließlich von innen heraus gänzlich zerrütteten und zernichteten. Er selbst, also Eschenbacher, sei der permanenten Anwesenheit eines schwäbischen Mitbewohners in seiner Wohngemeinschaft jahrelang völlig schutzlos ausgeliefert gewesen. Habe man nämlich einen Mitbewohner einmal in der Wohnung sitzen, kriege man ihn nicht mehr hinaus. Ihm selbst sei der interessante Fall eines aus Heilbronn stammenden "linken Studenten" bekannt, welcher zunächst nur gelegentlich als Gast in einer Berliner Wohngemeinschaft beim gemeinsamen abendlichen Essen zugegen gewesen sei und der mittlerweile als eine Art "inoffizieller Mitbewohner" dort nicht nur dauerhaft auf dem Flur campiere, sondern es sich darüber hinaus zur Angewohnheit habe werden lassen, täglich anzufragen, was denn auf dem abendlichen Speiseplan stünde. Allein aus der Existenz solcher Flegel könne man die totale Verkommenheit dieses Landes ersehen, so Eschenbacher abschließend und dabei mit der rechten Hand eine gleichsam abwinkende Geste ausführend, während ich auf meinem Stuhl angestrengt darüber nachdachte, ob es nicht an der Zeit sei, ein weiteres Bier zu bestellen.


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