Truffaut also, immer noch, immer wieder. Auch 15 Jahre nach seinem tragischen Tod hält das Interesse an seiner Person, seinen Filmen und seinen Kritiken an: allein bei der Verlagsgesellschaft Köln sind seit 1990 von Gilles Jacob und Claude de Givary herausgegebenen Briefen Truffauts bis heute zwei neue Bände hinzugekommen: Zunächst 1991 das Werkstattgespräch Monsieur Truffaut, wie haben sie das gemacht? und zuletzt die voluminöse Biographie von Antoine de Baecque und Serge Toubiana.
Truffaut zählte nicht gerade zu den zurückhaltenden Stars seines Fachs, das macht diese Biographie ganz besonders deutlich, im Gegenteil, denn er hat von früh auf lernen müssen zu kämpfen, um zu überleben.
Wir erinnern uns: Truffaut verlebt eine traumati
faut verlebt eine traumatische Kindheit. Er merkt schnell, dass er nur geduldet, aber nicht geliebt wird von seiner Mutter, die ihn sofort nach der Geburt 1932 bei einer Amme großziehen läßt. Bis zu seinem dritten Lebensjahr sieht er seine Mutter nicht oft. Als Heranwachsender in Paris erfährt er dann, dass der Ehemann seiner Mutter nicht sein richtiger Vater ist. Ersatz findet der Junge in der Literatur und im Kino. Als ehrgeiziger Autodidakt studiert er Balzac, Proust, Jean Genet, Jean Renoir, Orson Welles, Alfred Hitchcock und Andre Bazin, die die Gestirne seiner Jugend werden. Bazin ermöglicht ihm Anfang der fünfziger Jahre den Eintritt in die Redaktion der Cahiers duCinema, der in den fünfziger Jahren führenden französischen Filmzeitschrift, wo er sich als Kritiker schnell einen Namen macht. 1954 erscheint dort sein berühmter Aufsatz "Eine gewisse Tendenz im französischen Film", ein Frontalangriff gegen den seiner Meinung nach selbstgefälligen französischen Film jener Zeit. Ausgehend von den Cahiers du Cinema, beginnt sich die "Nouvelle Vague" herauszubilden, denn außer Truffaut schreiben noch Jean Luc Godard, Claude Chabrol, Eric Rohmer und Jacques Rivette für die Zeitschrift, die alle zusammen das europäische Kino der späten fünfziger und sechziger Jahre revolutionieren.Das alles beschreiben die Autoren mit großer Sachkenntnis, wobei sie den Leser nicht nur an der Person Truffauts teilhaben lassen, sondern darüber hinaus eine legendäre Epoche des französischen Films besichtigen. De Baecque und Toubiana schaffen mit ihrer spannend zu lesenden Biographie aber noch etwas anderes, was heute durchaus selten geworden ist. Sie erzählen einen modernen Entwicklungsroman, indem sie Truffauts Auseinandersetzungen mit seiner Umwelt darstellen. Und diese Einflüsse waren das Kino (er sah häufig drei Filme pro Tag), die Literatur und seine Liebe zu Frauen. Jeder seiner Leidenschaften hat Truffaut wahre Hymnen gewidmet: Die amerikanische Nacht (1972) ist bis heute einer der schönsten Filme über das Kino überhaupt, mit Fahrenheit451 (1966) erwies Truffaut der Literatur und den Büchern eine Hommage, und welchen Film könnte man nennen, den er der Liebe und den Frauen widmete Jules und Jim (1961), Die Geschichte der Adele H. (1975) oder doch lieber Der Mann, der die Frauen liebte (1977)? Ein Film schöner als der andere.Als Chronisten wissen De Baecque und Toubiana so gut wie alles über Truffaut. Wer dagegen eine Interpretation seines Werkes erwartet, wird enttäuscht sein. Den filmhistorischen Stellenwert Truffauts festzulegen, ist ihre Sache nicht. Eher das Aufspüren der Urszene, unter der Truffaut sein Leben lang gelitten hat (die Erfahrung, den eigenen Vater nicht zu kennen).Erwähnt sei an dieser Stelle Robert Fischer, der auch dieses Truffaut-Buch wieder vorzüglich ediert und mit Anmerkungen versehen hat. Seine ehrfurchtsvolle Arbeit, uns das Werk Truffauts näher zu bringen, erinnert an die Art, wie Truffaut sich selbst um einen Regisseur verdient gemacht hat, mit dem zusammen er "das wohl beste Filmbuch aller Zeiten" gemacht hat: Alfred Hitchcock. Zu dessen 100. Geburtstag hat der Diana Verlag Truffauts berühmtes Interviewbuch mit Hitchcock neu aufgelegt. Dabei handelt es sich um ein Buch, das Truffaut in neuer Ausstattung 1983 herausbrachte. Gegenüber der ersten Ausgabe von 1966, die bei Der zerrissene Vorhang endet, ist dieses Werk um eine neue Einleitung und ein zusätzlich langes Kapitel über Hitchcocks Filme Topaz, Frenzy, und Family Plot komplettiert. So wie es nun erstmals vollständig in deutscher Sprache vorliegt, wollte es Truffaut ein Jahr vor seinem Tod. Es erinnert uns noch einmal an einen Satz aus Das grüne Zimmer (1978): "Widmen Sie den Toten all ihre Gedanken, alles, was Sie tun, Ihre ganze Liebe, und Sie werden sehen, dass sie uns gehören, wenn wir bereit sind, ihnen zu gehören." Wir sind bereit, Monsieur Truffaut!Antoine de Baecque / Serge Toubiana: Francois Truffaut. Biographie. Köln: vgs Verlag 1999, 720 Seiten, 78 MarkFrancois Truffaut: Hitchcock. Hrsg. von Robert Fischer, München: Diana 1999, 323 Seiten, 68 Mark
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