Die Frage, was ein Hochschulabschluss wert ist, lässt sich in Zahlen bemessen. Das akademische Kürzel zum Namen steht nicht nur bei Personalchefs gut im Kurs. Eine wachsende Dienstleistungssparte partizipiert daran durch den Handel mit wissenschaftlichen Arbeiten. Doch so mancher Käufer könnte für die fremde Feder einen hohen Preis zahlen.
Ein Klick auf die Internetsuchmaschine zeigt für Deutschland über 330.000 Einträge im Begriffsfeld Ghostwriter an. Die Anbieter dieser Leistungen versuchen dabei mit plakativen Namen ihre Kunden zu erreichen. Vom nüchtern-sachlichen "Ghostwriterdienst", der schon Funken schlagenden "Textschmiede" bis hin zum Notfallservice "UNI-SOS" oder "schreibenlesenabgeben" wird im Web die Metaphorik ausgeschöpft. Zielschicht sind Menschen, denen Verschriftlichungen zum persönlichen GAU geraten, weil Zeit, Lust oder Know-how fehlen.
Ghostbuster fahndet nach Ghostwriter
Wo der anonyme Redenschreiber zum guten Ton in Wirtschaft und Politik gehört, steht der nicht minder unsichtbare Wortfabrikant für die akademischen Bereiche im Fadenkreuz der Kritik. Von ethischen Fragen abgesehen, setzt sich, wer eine Fremdarbeit als Eigenleistung deklariert, dem Vorwurf des Betruges aus. Das nordrheinwestfälische Hochschulgesetz etwa sieht bei Verstößen in Form von unselbstständigen Prüfungsleistungen die Möglichkeit der Exmatrikulation sowie Geldbußen bis zu 50.000 Euro vor (HG NRW, v. 30. 11. 2004, §92,7).
Sebastião Iken, Leiter des Prüfungsamtes an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln, gesteht eine gewisse Hilflosigkeit ein: "Wir kennen diese Problematik, die im System leider nicht ausgeschlossen werden kann". Ein konkreter Fall von Ghostwriting ist dem Amtsleiter in seiner Zeit nicht bekannt geworden. Ob man dies im negativen Sinne als eine "Erfolgsrate" deuten könnte, bleibt dahingestellt. Immerhin handelt es sich pro Semester um bis zu 300 Examensarbeiten, die dem Magister- und Diplomprüfungsamt vorgelegt werden. Mittlerweile hätten es sich die Dozenten angewöhnt, verdächtige Arbeiten mit Hilfe des Internets auf Plagiate zu überprüfen, so Iken. Auch eine unerklärliche Leistungsabweichung in folgenden Prüfungen böte "Anlass zum Verdacht".
Aktivitäten wie einst an der Freien Universität Berlin, wo ein "Ghostbuster" durch das Annoncenstudium an den schwarzen Brettern und innerhalb der Medien dubiosen Leistungsanbietern nachforschte, kann man sich in Köln nicht vorstellen. "Wir leiden unter einem chronischen Personalmangel und haben für derartige Überprüfungsmaßnahmen keine Möglichkeiten", so die Feststellung des Amtsleiters. Die Quote der Täuschungsversuche hält man in Köln für gering. "Die Bereitschaft zum Studium an sich steht in keinem logischen Verhältnis zu einer solchen Verhaltensweise, und ich kann mir auch nur schwer vorstellen, beispielsweise für das Fach Ägyptologie einen guten Ghostwriter zu finden", meint Iken.
Deutschland forscht
Den beschwichtigenden Aussagen von offizieller Seite entgegen steht die wachsende Schar von Dienstleistungsanbietern, die mitunter reichlich unverhohlen ihre Versprechungen via Web verlautbaren lassen: "Wissenschaftliche Arbeiten - schnell und zuverlässig", "... Magisterarbeiten ... Doktorarbeiten in allen Fächern ...", "... kann nicht schief gehen!", "Kein Problem! Das erledigen wir!", - so lauten die frohen Botschaften, die dem gestressten Studenten wie ein Waschmittel für jeden Härtefall angeboten werden. Eventuelle Rechtsverstöße umgehen die Problemlöser rechtskundig mit dem Verweis in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Dort findet sich in der Regel ein Passus, der die Dienstleistungen als reine Denkorientierung für den Kunden definiert. Gesetzeslücken werden verbraucherfreundlich als Ratgeber genutzt : "Bei Arbeiten, die Sie später nur mit einer gewöhnlichen Versicherung (... ich versichere, dass ...) versehen müssen, wäre die Nutzung unserer Gutachten weniger bedenklich, weil die textgleiche Verwendung nur eine (straflose) Lüge bedeuten würde" (aus den Geschäftsbedingungen eines Berliner Unternehmens). Der akademische Ghostwriter geht kein Risiko ein. Neben dem nicht vorhandenen Anspruch auf Erfolgsgarantie findet sich auch in den Statuten des Hochschulgesetzes keine Vorsehung gegen Titelträger, die etwaige Dienste wohlwissend ihres Missbrauchs anbieten. Keinem Magister oder Doktor droht die Aberkennung seines Grades für die Unterstützung eines Schwindels. Angesichts eines ausgeprägten Potenzials an Talenten sollte dem Forschungsstandort Deutschland nicht bange um Fachkräfte sein - wenn man die Leute doch nur ins Licht der Wissenschaft locken könnte.
Katharina Busch ist Mitarbeiterin bei der Ghostwriting-Agentur "Akademische Texte" in Halle. Sie verwaltet einen Autorenpool von 50 Schreibern, die bis zur Dissertation alle Arten wissenschaftlicher Ausführungen anbieten. Mittels eines vielversprechenden Internetauftritts erreicht man potenzielle Kunden. "Insgesamt ist die Resonanz so groß, dass das Unternehmen sich trägt und überleben kann", so Busch. Vor allem in den Ferien laufen die Drähte bei der Agentur heiß. Die obligatorische Hausarbeit im Sommer passt oftmals nicht in den Terminkalender der Studenten. "Diese Ausarbeitungen kosten bei einer normalen Erstellungszeit 26,50 Euro pro Seite. Für eine gewünschte Bearbeitung unter acht Tagen berechnen wir 34,50 Euro", informiert die Angestellte. Diplom- oder Magisterarbeiten müssen den Auftraggebern 50 Euro pro Seite wert sein - alles inklusive Mehrwertsteuer.
Jeder Autor der Agentur verfügt über einen Hochschulabschluss. Eine spezielle Software untersucht die fertig gestellten Arbeiten auf Plagiate - eine Abschreckung gegen regelwidrige Verschriftlichungen (!).
Den Vorwurf an der Teilhabe eines Betruges lässt man in Halle nicht gelten. "Wir weisen explizit darauf hin, dass es strafbar ist, eine von uns verfasste Arbeit als eigenständige Leistung auszugeben. Im Prinzip erstellen wir Vorlagen für wissenschaftliche Arbeiten, die als Anregung für die eigene Leistung dienen sollen", rechtfertigt man sich. Ob sich ein Kunde, der beispielsweise 3.000 Euro für eine Magisterarbeit zahlt, diese Mühe noch macht, darf zweifelhaft erscheinen.
Die beteiligten Autoren hinterfragen ihren Job wohl nicht. Sie verdienen bei der Agentur zwischen 15 bis 40 Euro an einer Seite geballten Wissens. Wenn von den ausgesuchten Schreibern das O.K. für eine Auftragsannahme kommt, ist der Lohn gesichert. Branchenüblich sind Vorauszahlungen für die Werke. Zur gängigen Geschäftspraxis vieler Dienstleister gehören außerdem Teillieferungen an die Kunden, die über den Stand und Fortschritt des Arbeitsprozesses informieren. "Grundsätzlich befindet sich vor Ausgabe eines fertigen Manuskripts der Gesamtbetrag auf unserem Konto", berichtet eine gutgelaunte Mitarbeiterin über die Zahlungsmoral der Käufer. Dass man mit den Leistungen aus Halle zufrieden ist, belegen die Stammkunden, die im Laufe ihres Uni-Lebens gleich mehrmals die Firmendienste in Anspruch nehmen.
Routine ist alles
Anna Lehmbach (Name geändert) hat zwei Jahre als Ghostwriterin gearbeitet. Eine schlechte Auftragslage in ihrem ursprünglichen Job veranlasste sie dazu. "Ich habe seinerzeit auf eine Anzeige einer Agentur geantwortet und wurde dort so gut beschäftigt, dass ich mich entschloss, dieser Profession weiter nachzugehen", berichtet die Mittdreißigerin. Vor einem Jahr kehrte sie in ein festes Anstellungsverhältnis zurück. Ab und zu nimmt die Absolventin der Volkswirtschaftslehre noch Aufträge an. Sie weiß um die Nachfrage an ihrem Können. "Problematisch ist, dass die Studenten erst in ihrer Abschlussarbeit mit einer derartigen Aufgabenstellung konfrontiert werden", glaubt Lehmbach. Dieser Druck war für sie nie ein Problem. Durchschnittlich 25 Seiten pro Woche umfasste ihr Output. Wie das ging? "Ein guter Ghostwriter schafft das wesentlich schneller als ein Student, weil er eine Routine entwickelt hat", so die Expertin. "Dies hat nichts damit zu tun, dass ich so vertraut mit der Thematik bin; ich weiß aber, wie ich mich in Bibliotheken zurecht finde, wo ich anfangen muss und wo es inhaltlich hinführen soll."
Die Frage nach der Ethik bleibt oftmals nicht mehr als eine Frage. Bei der Agentur aus Sachsen-Anhalt ist man sich sicher: "Wenn wir diese Dienste nicht anbieten, würde dies ein anderes Unternehmen tun", resümiert Katharina Busch knapp. "Wer unsere Dienstleistungen negativ beurteilt, klagt die Bildungspolitik an. Neben Vermittlungsdefiziten sind es die Studiengebühren, weshalb die Leute immer schlechter mit dem Zeitdruck zurecht kommen und auf Alternativen zurück greifen." Recht hat sie, zumindest im juristischen Sinne. Dabei ist Ghostwriting nichts Neues. In den höchsten Etagen der Wissenschaft schätzt man derlei Dienste seit jeher. Dort heißt der Geist "Lehrstuhlassistent". Umfassende Bereiche der Recherche und der Verschriftlichung werden den Professoren häufig erspart, was jene Größen aber nicht davon abhält, selbst ihre Dienste dem freien Markt zur Verfügung zu stellen. Zahlreiche Agenturen werben zugkräftig mit ihrem "Starensemble" und öffnen den Arbeitsmarkt für eine aufkommende Jobbranche, die sich zunehmend an Hochschulabsolventen aller Couleur richtet.
Unabhängig von moralischer Verurteilung und praktischen Sanktionsversuchen ist akademisches Ghostwriting ein Faktum - Angebot und Nachfrage belegen dies. Ob Käufer und Verkäufer langfristig von ihren Honorierungen profitieren, darf jedoch in Frage gestellt werden. Sowohl das Unvermögen zur Eigenleistung als auch der immense Arbeitsaufwand für kompetente Schreiber werden sich langfristig weder verbergen lassen noch rechnen. Anstatt diese Dienstleistungen zu beklagen, gilt es einen Rahmen zu schaffen, der solche Angebote unnötig macht. Es bestehen an den Universitäten offensichtlich Wissensabgründe, für die auch die Ausbildungsseite mitverantwortlich ist. Katharina Busch sucht derweil nach neuen Autoren für ihre Agentur. Sie sagt, die Auftragslage erfordere dies.
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