Der Beginn ist das Ziel

Bekenntnisse eines Ruhelosen Thomas Dörschel, der Guitarrist, Keyboarder und Liedschreiber der Berliner Band Virginia Jetzt! erklärt, wohin er unterwegs ist, wenn er unterwegs ist

Sehnsucht ist vielleicht das Wort, das unsere Musik am besten beschreibt. Da ist ein Gefühl des Aufbrechens, des Neuanfangens, das wir seit jeher in unseren Liedern haben. Ich finde, ein Aufbruch um des Aufbruchs Willen ist eine lohnende und völlig ausreichende Sache. Man muss nicht immer ein Ziel haben. Mein Ziel ist jedenfalls nicht, irgendwo anzukommen, sondern mich immer neu auf den Weg zu machen. Wenn ich zum Beispiel verreise, tue ich das oftmals ohne zu wissen, wo ich ankomme. Deshalb ist Reisen auch viel spannender als auf Tour sein.

Wenn man als Band auf Tour ist, hat man immer ein festes Ziel, an dem man zu einer bestimmten Zeit sein muss. Außerdem sieht irgendwann jede Stadt gleich aus. Von dem Slampoeten Marc-Uwe Kling gibt es einen Text, der geht so: „Bahnhof, einsteigen, losfahren, ankommen, Schlecker, Esprit, H, Schlecker, Rossmann, Karstadt, Schlecker, Aldi, Schlecker“. Und so weiter. Genauso ist es. Im Stadtkern sind deutsche Städte unglaublich gleich und hässlich und voller Schlecker-Märkte.

Raus, einfach nur raus

Als wir für’s Goethe-Institut in Russland waren, hatten wir zwar auch feste Ziele, aber es war trotzdem meine aufregendste Reise. Ein Konzert hatten wir in Rostoff am Donn, im tiefsten Wolgasüden. Und der ganze Club war komplett mit Mafia abgefüllt! Da waren ganz viele junge Frauen, die zu unserer Musik getanzt haben, aber nach dem Konzert hat unser Manager uns gesagt, dass wir bloß mit keiner sprechen sollen. Das waren nämlich alles Prostituierte, und die gehörten zu den Männern, die mit Sonnenbrille und Bodyguards an der Bar saßen.

Einen wirklich tollen Aufbruch haben wir letzten Sommer hingelegt. Da sind wir mit der Band durch Frankreich gereist und haben Straßenmusik gemacht. Wir dachten, wir müssten mal raus aus dem Proberaum, raus aus dem, was wir normalerweise machen. Wir haben nicht unsere eigenen Lieder gespielt, sondern Stücke von den Beatles und Simon and Garfunkel und so. Das war aufregend, denn normalerweise spielt man ja vor Fans, vor Menschen also, die einen kennen und verstehen. Aber dort mussten wir unser Publikum erobern. Das ist es, was mich reizt: sich ausliefern, und nicht wissen, was passiert. Das weiß man als Straßenmusiker echt nie. Kriegt man Ärger mit den Behörden, hält das Wetter, bleiben Leute stehen? Dafür muss man richtig kämpfen.

Dass wir gemeinsam zu etwas Ungewissem aufgebrochen sind, hat uns zusammengeschweißt. Als Band sind wir ständig zu etwas Ungewissem unterwegs, und zwar zum perfekten Song. Aber das ist etwas, was sich ständig ändert. Für Musiker ändern sich die Ziele von Platte zu Platte, weil man ja oft das Gegenteil von dem machen will, was man davor gemacht hat. Es geht dabei nicht um Fortschritt, ich glaube, den gibt es in der Musik nicht, sondern um Veränderung. Mit dem neuen Album haben wir an ein paar Stellen recht viel gewagt. So was wird vom Zuhörer nicht immer erkannt. Die Veränderungen, die man an sich feststellt, sind für andere nie so deutlich, wie man sie selbst einschätzt. Damit muss man leben. Früher hat es uns getroffen, wenn Kritiker uns vorgeworfen haben, dass wir immer nur dasselbe machen würden: optimistische Gute-Laune-Musik. Als wären wir irgendwo angekommen, von wo aus wir uns jetzt nicht mehr vom Fleck rühren würden.Als würden wir es uns leicht machen, als wären wir schon angekommen.

Dabei ist es viel schwieriger, lebensbejahende Musik zu machen als traurige. Ein Musiker hat mal gesagt, er schreibt keine glücklichen Lieder, weil wenn er glücklich ist, hat er in der einen Hand ein Bier und an der anderen ein Mädchen, und da ist keine mehr frei für die Gitarre. Da ist was dran. Aber wir haben ja auch viele traurige Lieder gemacht. Auf unserem letzten Album gab es zehn Lieder über Niederlagen. Die Radiosender spielen halt lieber die fröhlichen Songs, weil die Hörer sich damit besser wecken lassen als mit irgendeinem Ich-lieb-dich-überhaupt-nicht-mehr-Song.

Dabei geht es mir gar nicht so sehr um fröhlich oder traurig, sondern mehr um eine Lebensauffassung des Immer-weiter-Gehens. Bis vor zwei Jahren hätte ich unsere Entwicklung als gerade Linie beschreiben können, als etwas, das tatsächlich ganz klein angefangen hat, und stetig auf eine angenehme Art steil, aber auch nicht übermäßig steil, nach oben gegangen ist. Wir haben nie zwei Stufen der Treppe auf einmal genommen, sondern sind in langsamen Schritten immer bekannter geworden. Das war ein angenehmer und sympathischer Weg, sympathisch nicht nur für uns, sondern auch für die Beobachter draußen, glaube ich. In den vergangenen zwei Jahren mussten wir allerdings ziemlich viele Rückschläge hinnehmen.

Ich will ja nicht naiv klingen

Das letzte Album hat nicht den Erfolg gehabt wie das Album davor und das wirft einen als Band immer zurück. Auch wenn man davor tausend Mal gesagt hat, wenn uns was zurückhaut, das wird uns nichts anhaben – es ist einfach hart, wenn die Plattenfirma nicht zufrieden ist. Wenn man plötzlich wieder darum kämpfen muss, akzeptiert zu werden. Bisher haben wir immer wahnsinniges Glück auf unserem Weg gehabt. Ich kenne so viele verdammt talentierte, richtig tolle Bands, die im Grunde genommen auch alles richtig machen, aber die eben nicht das Glück hatten, zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle zu sein. Deshalb nenne ich Glück immer an erster Stelle, wenn man uns nach dem Grund für unseren Erfolg fragt. Aber natürlich ist es auch harte Arbeit. Es kommt niemand zu einem und schenkt einem eine Musikkarriere. So etwas lässt sich nicht planen. Gut, dass ich das sowieso nicht mache. Natürlich ist es naiv, wenn man mit Anfang 20 sagt, ich möchte mit 30 mal Berufsmusiker sein und davon leben können. Deshalb würde ich eher sagen, ich habe mich da hintreiben lassen. Mein Unterwegs-Sein im Leben gleicht ja sowieso eher einem Sich-treiben-lassen. Vielleicht reicht das ja: Nirgends ankommen wollen. Und vielleicht ist es im Leben wie in der Musik: Es geht nicht um Fortschritt, sondern um Veränderung. „Weiterziehen“ heißt ein Lied auf unserem ersten Album, und das trifft es eigentlich. Aufbrechen ist ein Anfang und Ankommen ein Ende. Und der Anfang ist doch immer schöner als das Ende, oder?

Protokoll: Eva Simon

Thomas Dörschel ist Gitarrist, Keyboarder und Liedschreiber der Indie-Pop-Band Virginia Jetzt!, deren Album Blühende Landschaften am 28. August 2009 erscheint

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