Zu den Politikern, die selten Konfrontationen aus dem Weg gehen, gehört zweifellos Polens Außenminister Radosław Sikorski. Von 1986 bis 1989, nach einem abgeschlossenen Studium der Philosophie, Politik und Wirtschaft, war er als Kriegsreporter für britische Zeitungen in Angola und Afghanistan. Ein Einsatz, für den er 1988 mit dem World Press Award ausgezeichnet wurde und der zugleich für die Legende sorgte, Sikorski habe am Hindukusch nicht nur mit der Kamera scharf geschossen.
Von beinharten Konflikten bleibt der heutige Diplomat auch in der polnischen Politik nicht verschont. Bekanntlich bescherte der Wahlsieg vom Oktober 2007 Donald Tusk nicht nur das Amt des Premierministers, sondern auch einen bis heute währenden Machtkampf mit Präsident Kaczy
n auch einen bis heute währenden Machtkampf mit Präsident Kaczyński, bei dem Radosław Sikorski des öfteren zwischen die Fronten gerät. Als Tusk im Herbst 2007 seine Regierung vorstellte, sprach sich der Präsident gegen den Oxford-Absolventen als Außenminister aus. Bis heute haben die Kaczyńskis ihrem ehemaligen Verteidigungsminister nicht verziehen, dass der kurz vor der Sejm-Wahl zur Bürgerplattform von Tusk überlief.All diese Verwerfungen scheinen in den Hintergrund gerückt, seit Sikorski zu den aussichtsreichsten Anwärtern für das Amt des NATO-Generalsekretärs gehört, denn die Amtszeit des Niederländers Jaap de Hoop Scheffer endet am 31. Juli. Aus fast allen politischen Lagern – angefangen beim ehemaligen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski, dem dieses Amt ebenfalls offeriert wurde, bis zu Donald Tusk, der eine mögliche Kandidatur seines Chefdiplomaten als eine der „wichtigsten Herausforderungen“ für die Regierung bezeichnet – erfährt Sikorski Zustimmung. „Hauptsache, ein Pole“, wie Kwaśniewski es formuliert.Antirussische Reflexe Ob jedoch bei dem in Straßburg und Kehl am 3./4. April stattfindenden NATO-Gipfel die Bündnispartner tatsächlich Gefallen an Radosław Sikorski finden und den ersten Ostmitteleuropäer an der Spitze der transatlantischen Allianz setzen, ist fraglich. Die Stimmen aus den osteuropäischen NATO-Staaten dürfte dem Aspiranten sicher sein, weniger jedoch die solcher Mitgliedsländer wie Deutschland und Frankreich, die Sikorskis Politik gegenüber Russland nicht sonderlich viel abgewinnen können.Obwohl Sikorski kaum die gleichen antirussischen Reflexe pflegt wie etwa die Brüder Kaczyński, fordert auch er eine kompromisslose Haltung gegenüber Moskau: „Jeder weitere Versuch, die Grenzen in Europa gewaltsam oder durch Subversion zu verändern, sollte von Europa als Bedrohung seiner Sicherheit wahrgenommen werden und eine proportionale Antwort der atlantischen Gemeinschaft nach sich ziehen“, meinte Sikorski Ende November in Washington, als Präsident Medwedjew angekündigt hatte, russische Bürger auch jenseits der russischen Grenzen schützen zu wollen.Und wie ernst es Sikorski mit seiner Doktrin meint, davon konnte sich Frank-Walter Steinmeier im Dezember überzeugen. Beim Deutsch-Polnischen Forum plädierte „Radek“, wie Sikorski freundschaftlich von Steinmeier genannt wird, für eine rasche Integration der Ukraine in die EU, „da sie zur Erweiterung der Stabilitätszone in ihrer Umgebung beiträgt“. Eine Sicherheitspolitik, wie Sikorski betonte, die nur „im Rahmen der atlantischen Zusammenarbeit“ vorstellbar ist. In Berlin, wo mehr auf Dialog als Dissens mit Moskau gesetzt wird, vorerst kein akzeptabler Gedanke. Und wie letzte Signale aus dem Weißen Haus zeigen, setzt auch Barack Obama auf Verständigung mit dem Kreml, weshalb man dort die antirussischen Positionen des polnischen Außenministers derzeit eher als störend empfindet.Dem Taktiker Sikorski sind diese Vorbehalte bekannt. Seit Wochen nutzt er so gut wie jede Gelegenheit, für sich die Werbetrommel zu rühren, auch wenn er immer wieder erklärt, nicht an dem Posten des Generalsekretärs interessiert zu sein. Beim Treffen der NATO-Verteidigungsminister vor kurzem in Krakau referierte er beispielsweise an der Seite von Jaap de Hoop Scheffer über die künftigen Strategiekonzeptionen der Allianz.Präsidiale AmbitionenBei einer Tagung des Council on Foreign Policy sprach der Außenminister vom egoistischen „russischen Bären“, der „die NATO immer noch als eine Bedrohung“ sieht. Dass mit ihm aber nicht nur ein Ostmitteleuropäer, sondern auch ein überzeugter Transatlantiker auf den Posten des NATO-Generalsekretärs gelangen würde, machte Sikorski deutlich, als er vor seinen Zuhörern mehr Solidarität von den Bündnispartnern in Afghanistan forderte. Eine Forderung, wie sie gleichermaßen von Barack Obama kommen könnte.Ob dies freilich ausreicht, um das Weiße Haus zu überzeugen, bleibt abzuwarten. Aber selbst wenn Sikorski nicht NATO-Generalsekretär werden sollte, eine Welt dürfte dadurch für ihn nicht zusammenbrechen. In Polen wird der 45-Jährige neuerdings auch als Kandidat für einige wichtige Ämter in der EU gehandelt. Zudem finden in einem Jahr Präsidentschaftswahlen in Polen statt. Dann könnte der mit Abstand beliebteste polnische Politiker Donald Tusk in das Amt des Premierministers folgen oder gleich auch selber antreten. Die Ambitionen dazu hat er.