Im Dschungel drängt alles nach oben

Guatemala Inmitten tätiger Vulkane - eine Erkundung im Land der Mayas

Die Währung ist Quetzal. Auf dem Fünferschein Justo Rufino Barrios, Guatemalas Präsident von 1871 bis 1885. Er machte Klöster zu Schulen, baute eine Eisenbahn. Ein großer Mann, sagen die Leute. Er hätte den Hunderter verdient.

An die Waffen habe ich mich gewöhnt, an die Pumpguns, die Uzis, die Pistolen im Hosenbund der Farmer. Sie gehören dazu, zum Land. Wie Che Guevaras Porträt an Hauswänden, der schwarze Tabak in den Zigaretten, die stillen Gesichter der Frauen. Auch an Leopold habe ich mich gewöhnt. Ich mag es, wenn er in meiner Nähe ist, keucht und sagt, wenn man nur nicht aufgibt, dann wird der Schmerz irgendwann aufgeben. An Elfriede habe ich mich nicht gewöhnt. Ein Land, sagt sie, in dem die Klobrillen wackeln, ist kein Land. Und hier wackeln die Klobrillen, alle. Es ist bestimmt nicht leicht, Elfriede zu sein.

Beide sind sie von Guatemala-Stadt aus an die Ostküste gekommen, mit dem Bus, sechs Stunden lang. Beide über 60. Auf dem Flug von Miami nach Guatemala-Stadt haben sie nebeneinander gesessen und beschlossen, gemeinsam weiterzureisen. Leopold, bayerisch, wuchtig, 120 Kilo. Hinkt schwer, aber er gibt nicht auf, er will nicht aufgeben, er war Marathonläufer, 60 Kilo, früher, vor dem Autounfall, der ihm fast das rechte Bein abgerissen hat.

Elfriede, Norddeutsche, in Ballerinas, Top und kurzem Rock. Sie hält die Arme abgespreizt, tänzelt durch den Staub der Straßen, über den glitschigen Dschungelboden. Ein Paradiesvogel, wie gerupft. Seit ihr Mann tot ist, reist Elfriede, seit zehn Jahren. Und redet und schimpft. Leopold nimmt manchmal ihren Arm, lächelt und schweigt. Leopold, der Held. Ich begegne ihnen in Puerto Barrios, der Hafenstadt am karibischen Meer, die den Namen des großen Präsidenten trägt. Kuba gegenüber, zwei Flugstunden entfernt, Fidel Castro schickt Ärzte rüber, seit Ewigkeiten schon, kostenlos. Auf der anderen Seite des Golfs das Ufer von Belize und am südlichen Horizont die Urwaldspitzen von Honduras.

Ein Schweinekrieg, sagen die Leute.
Nichts ist vergessen

Zwei Piers, Wohnhäuser, Lagerhallen, 60.000 Einwohner. Dole, del Monte, Chiquita, alle schlagen sie in Puerto Barrios ihre Bananen um. Auf denselben Plantagen gewachsen, von denselben Männern und Frauen geerntet, gereinigt, portioniert und verpackt. Nur die Etiketten am Ende haben unterschiedliche Namen.

Die Guatemalteken leben vom Tourismus, dann von dem, was ihnen jene schicken, die weggegangen sind. Eine halbe Million ist im Ausland, vor allem in Nordamerika. Erst als Drittes kommen die Bananen. Drei Dollar kriegt der Bananenpflücker am Tag, der Kaffee-, der Kakaoarbeiter, der Zuckerrohrtagelöhner. Und die Mädchen kriegen mit 13 das erste Kind.

Ich kann die Stadt riechen. Heiß, feucht, nach Petroleum und dem Wind, der von See kommt. In der Dunkelheit, wenn der Tag zur Ruhe findet, soll sie außerdem noch nach was anderem riechen: nach bunten Kleidern, Rauch und kühler Luft. Karibischer Frohsinn. Flüchtig, schäumend, atemlos. Sagen die, die hier wohnen. Es ist Montag, halb neun abends, es ist dunkel, seit einer Stunde. Am Montag legt selbst ein Huhn kein Ei. Auch das sagen sie hier. Stimmt. Nichts passiert. Kein Rauch, keine bunten Kleider, keine kühle Luft.

Ich gehe die 9. Calle rauf, die Hauptstraße. Der Mond ist blass und rund. Um zehn, um elf schließen sie, die Restaurants, die Bars, immer montags, immer dienstags, hatte Leopold gesagt. Am Nachmittag, als wir am Hafen waren, Bananenschiffe anschauen und wie sie nach Europa dampfen. Elfriede hatte genickt. Ich soll mich beeilen. Hin zum Medellin, wo sie sein würden, abends, ab acht, nur so, zum Schnuppern. Das Medellin, eine Bar in einer Nebenstraße.

Die 9. Calle. Männer vor ihren Steinhütten, Cowboyhut, die Hände an der Gürtelschnalle. Die Sonne, die Arbeit haben ihre Gesichter hart gemacht und interessant. Männer am Straßenrand, in Gruppen. Alle so, als warteten sie auf was. Dazwischen eine Armeestreife, mit schusssicheren Westen und großen Gewehren. Vier Mann, ein Offizier. Sie stehen sich gegenüber, die Leute auf der 9. Calle und die Soldaten, feindselig. 36 Jahre Bürgerkrieg, 200.000 Tote, eine Million Flüchtlinge. Diktatoren und Putschisten, die das Land an den Rand der Katastrophe trieben. Bombardements, Erschießungen, 1996 die letzte, im Chique, im Indianergebiet, als der Bürgerkrieg schon zu Ende war. Ein Schweinekrieg, sagen die Leute. Nichts ist vergessen. 20 Millionen Dollar zusätzlich wird die Regierung dieses Jahr für Polizei und Armee ausgeben, zusätzlich zum obligatorischen Budget.

Mano dura, die harte Hand. Nur die Reichen wollen sie. Die Armen wollen essen, eine Wohnung, die Neugeborenen über die ersten drei Monate kriegen. Ruhig schlafen wollen sie. Jacobo Arbenz ist nicht vergessen. Auch ein Präsident, ein großer, sagen die Leute. Er gab den Bauern Land und verstaatlichte die Bananen. 1951 bis 1954 war das. Arbenz hat keinen Quetzalschein abgekriegt.

Sie sind da. Beide, Leopold, Elfriede, im Medellin. Und mehrere Männer mit gegelten Haaren. Sie sitzen an den Tischen, am Tresen. Die an den Tischen haben Mädchen auf dem Schoss und Flaschen mit Gallo-Bier in der Hand. Eine Disco-Kugel an der Decke, Musik von Daddy Yankee, Pitbull, Ivy Queen. Reggaetón, ein stampfender Rhythmus, aggressiv, vierviertel Takt. Um Sex geht es, um Gewalt, Frauen, unverblümt. Musik, nach der man Salsa tanzen kann, Merengue, Hip-Hop, Dancehall, alles. Keiner tanzt.

Sie sitzen am Eingang. Leopold hat ein Bein ausgestreckt, das schlimme. Elfriede hat eine Telefonkarte, 15 Dollar wert. Sie will telefonieren, egal, wo, wie, nur schnell. Mit ihrem Freund in Deutschland. Er ist fast 20 Jahre älter als sie, erzählt sie, er macht sich Sorgen. Wie immer, wenn sie verreist ist.

Elfriede redet, sie schimpft. Auf die Indianer, die ihr verschlagen vorkommen. Weil ihre Mienen keine Regung zeigen. Auf die Schwarzen, die Garifuna, deren Blicke ihr bedrohlich sind, zweideutig. Wäre sie doch nie hierher gekommen. Wäre sie doch zu Hause geblieben, bei ihrem Freund. Oder woanders hingefahren. Elfriede will Party, Ibiza, Mallorca, wer weiß, was noch. Sie sagt, dass sie eine sexy Frau ist und daher so was fordern kann. Hier ist nicht Mallorca. Hier ist Guatemala, die Seele der Erde, die Mitte Amerikas, hier ist Natur, wirft Leopold ein und will vom Essen reden.

Elfriede hält eine Zeitung hoch, Nuestro Diario, ein Boulevardblatt. Sie liest vor, im Dämmerlicht des Medellin, die Musik ist laut, Elfriede beugt sich vor, sie übersetzt, sie schreit: Schießerei in einem Stadtbus. Zwei Tote. Massaker in Petén. Vier Insassen eines Pick up starben, als sie mit Sturmgewehren beschossen wurden. Tamoris e Boios, sagt Leopold. Rindfleisch, Pflaumen, Oliven. Tomaten, Paprika, Chili. In einem Maisfladen mit Bohnen, in Palmenblätter eingewickelt, gedämpft, drei Stunden lang, in einem großen Topf. Leopold schwärmt.

Guatemala, sagt er, so groß wie die neuen Bundesländer, grün, überall, betäubend grün. Nahe am Äquator, viel Sonne, viel Wasser. Wasser für alle und alles. Flachland gibt es, auf null Meter, und Berge über 4.000 Meter hoch, unglaublich. Vulkane, Guatemala-Stadt, vier Millionen Menschen, liegt inmitten eines Rings aus tätigen Vulkanen. Die Städte, die jeden Morgen langsam aus dem Nebel erwachen, der Regenwald, das Hochland, die See- und Flusslandschaften.

Elfriede blickt zur Seite, sie will bestellen. Bei Eddie, dem Barmann, einem Garifuna, Nachfahre afrikanischer Sklaven und indianischer Ureinwohner, 32 Jahre alt, ein Körper wie eine schwarze Raubkatze, sehnig, muskulös. Was mit Alkohol, sagt Elfriede zu ihm, bitte. Gifiti, wundervoll, sagt Eddie und sucht Elfriedes Blick. Voodoo-Kram, sage ich mir und schreibe die Bestandteile mit. Selbstgezogener Rum aus großen Flaschen, braun, normaler weißer Rum, Ingwer, Erdnüsse, Zimt. Und Urwaldkräuter. und Urwaldwurzeln. Ein Likör. Wegen seiner angeblich aphrodisierenden Wirkung auch Palo de Hombre genannt - Stock des Mannes - wie ich später nachlesen werde. Im Buch Die Medizinpflanzen des Urwaldes von Rosita Arbigo.

Immer wieder Reiher, schneeweiß und mit gebogenen Hälsen

Sieh dir den Himmel an. Leopold redet weiter. Den Sonnenaufgang in Tikal, der alten Mayastadt im Norden, morgens um fünf. Wenn sich die Brüllaffen sammeln, Vogelpaare aus dem Dunst aufsteigen und die Kuppen der Tempelruinen über den Baumwipfeln sichtbar werden, grau, felsig, ewig. Die Gesichter der Mayas im Stein der Stelen, göttergleich erscheinen sie Leopold.

Er hat sich müde geredet. Er will ins Bett, wegen morgen, er will früh raus. Boot fahren, den Rio Dulce runter, vielleicht zum Izabalsee, dem großen Wasser, vielleicht zum Kastell San Felipe, dann ein Stück in den Regenwald, zu Fuß. Nichts als Grün sehen, Natur atmen, endlich. Das will ich auch. Elfriede verfolgt Eddie mit Blicken und bleibt. Palo de Hombre, verstehe.

Den nächsten Morgen das Boot, blauweiß, Heckmotor, Regendach. Und Eddie. Er wird unser Führer sein, über den Fluss, durch den Dschungel, er hat nicht geschlafen. Du musst viel aushalten, wenn du hier lebst, sagt er. Kaum Arbeit, kaum Geld, ein Leben von der Hand in den Mund. Leopold sitzt vorn, Elfriede hinten, bei Eddie, sie schweigt.

Während er das Boot quer über die Amatique-Bucht steuert, zeigt Eddie auf Villen und Yachten am Ufer. Große Villen, große Yachten, weiß, Palmenhaine dahinter. Drogenbosse, Menschenschmuggler, Waffenhändler? Wahrscheinlich von allem was, sagt Eddie. Wir nähern uns der Mündung des Rio Dulce, dem Dschungel. Krokodile, sagt Eddie. Das Boot ist schnell, wir tauchen ein. Leopold und Elfriede fotografieren. Turmhoch die Bäume, ihr Grün eine riesige Wand, den Fluss entlang, auf beiden Seiten, Pelikane und federleichte Wolken überm Tal. Und immer wieder Reiher, schneeweiß, mit gebogenen Hälsen. Am Ufer Mangroven. Wir landen.

Leopold keucht und lacht. Elfriede lässt sich am Arm führen, von Eddie. Sehen aus wie ein Hochzeitspaar, die zwei. Alles drängt nach oben im Dschungel, ins Freie, Lichte, zur Sonne. Unten ist kein Platz, dicht ist es, dunkel und nass. Unten, wo die Wurzeln sind, oberschenkeldicke Luftwurzeln, vom Capokbaum, sie umklammern den Boden. Das Dach sind die Kronen der Guave-Palmen, der Zedern, des Palisanders, des Mahagonis. Still ist es, heiß und still.

Natur ohne Menschen ist nichts, denken Elfriede und ich. Eddie bringt uns zu einem Indianerhaus. Nach allen vier Seiten offen, ein Pfahlhaus, aus Palmenblättern und Holz gebaut, Hängematten, eine Feuerstelle, ein Mann, eine Frau, zwei kleine Kinder. Bohnen und Reis, dreimal am Tag. Kein Strom, kein sauberes Wasser, keine Intimsphäre, keine Hygiene, nicht einmal eine Klobrille, die wackeln könnte. Elfriede staunt. Dass Menschen so leben können.

Als die Sonne den Horizont erreicht hat, sind wir zurück in Puerto Barrios. Leopold ist glücklich, er hat durchgehalten, zum zweiten Mal, und er wird es wieder tun, im nächsten Jahr. Dann im Norden, im Indianergebiet oder im Westen, am Pazifik. Hat er gesagt. Weil: Wenn man nur nicht aufgibt, dann wird der Schmerz irgendwann aufgeben. Elfriede strahlt, sie ist ebenfalls glücklich. Sie ruft Eddies Namen, und Eddie kommt. Soll man es ihr gönnen? Man soll.


Guatemala

Staatsform
Präsidialrepublik
(unabhängig seit dem 15. September 1821)

Religion
60 Prozent Katholiken,
zudem Protestanten und Naturreligionen

Fläche
108.890 Quadratkilometer

Einwohner
12,7 Millionen

BIP / Einwohner
1.898 Dollar (2006)

Alphabetisierungsrate
70 Prozent


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