Einige Jahre ist es her, da hatte Rod Stewart ein Konzert in der Berliner Waldbühne abgesagt - angeblich wegen Fischvergiftung. Nach stundenlangem irritiertem Warten kam diese Erklärung dem Publikum ziemlich lachhaft vor, und gnadenlos wurde der abwesende Star ausgebuht. Mit verwöhnten Millionärsentertainern, die im Ruf stehen, gern und öfter mal einen über den Durst zu trinken, ging man da nicht fein um. Aber was machte es olle Rod aus? Eine Show mehr oder weniger on the road, darauf kam es wohl nicht an.
Was immer das Rock´n´Roll-Dasein an zerstörerischer, dekadenter Kraft entwickelt haben mag, einen Reinfall wie in Berlin hätte sich Mr. Stewart samt großer musikalischer Entourage am Ende seiner diesjährigen viermonatigen Nordam
rmonatigen Nordamerikatour nicht leisten können. Zu viel stand auf dem Spiel. Nicht nur wegen des heimischen Publikums - Rod Stewart lebt in Los Angeles -, auch wegen des spektakulären Zusammentreffens mit seinem alten Kumpanen Ron Wood auf der Bühne und vor allem wegen des magischen Auftrittsortes: der Hollywood Bowl.Hollywood ist eben nicht Berlin, und das angekündigte Konzert Ende August fand natürlich statt. Bei ausverkauftem Haus konnte man Karten zwischen 50 und 500 Dollar erstehen - eine Preisgestaltung, bei der sich in Amerika niemand aufregt. Wer Geld hat, der hat eben Geld, und John Lennons sarkastische Worte sind bis heute der schönste Kommentar auf die ungerechten Verteilungsverhältnisse: "Die in den hinteren Reihen sollen mit den Händen klatschen, die vorn mit ihren Juwelen klimpern." John hatte das in England im Angesicht der Queen gesagt, aber er hätte es genauso gut in der Hollywood Bowl ausrufen können, wo die Beatles in den sechziger Jahren zweimal spielten. Die Bowl inspirierte Paul McCartney später sogar zu einem Lied-Refrain: "Rock Show! Hollywood Bowl!", als sei der Ort gleichermaßen der Tempel der Rockmusik. Ein bisschen ist ja auch was dran an der Legende. Endlos wäre die Liste der Beat- und Rockgruppen, die seit den Sechzigern hier auftraten. Eingeprägt haben sich die Kult-Auftritte der Doors und von Jefferson Airplane, und selbst Monty Python´s Flying Circus gastierte hier, was einen abendfüllenden Spielfilm nach sich zog. Aber nicht nur der Jugendwahn hat hier seinen Ort. Von Dave Brubeck bis Pavarotti, von der Oper Carmen bis zu den Philharmonikern aus St. Petersburg reicht die Palette des in der Bowl angebotenen Amusements.Bei 350 Sonnentagen im Jahr am südlichen Ende Kaliforniens lässt sich allerdings auch leicht eine funktionierende Planwirtschaft organisieren. Hinzu kommt die ideale Lage der Bowl, die als ein Amphitheater angelegt ist und in die hügelige, mit Bäumen und dornigen Sträuchern bewachsene Landschaft wie hineingemeißelt wirkt. 1922 wurde sie erbaut und bis in die fünfziger Jahre konnte man sich einfach in die Pampa, in die Prärie setzen und für einen Buck sozusagen basisdemokratisch Musik aller Art genießen. Ein ganzes Orchester für einen Dollar, das gab es tatsächlich einmal! Heute ist es mit der alten Cowboy- und Wildwest-Romantik vorbei, die Bühne ist perfekt, die Bowl zählt 18.000 fest installierte Sitzplätze für zahlende Gäste. Geblieben ist die Kulisse als idealer Ort für eine gewisse uramerikanische Lässigkeit. An die alten Zeiten erinnernd, werden im Souvenir-Shop ganze Picknick-Ausrüstungen feilgeboten, mit mehreren Besteckvarianten im "Outdoor style". Die Besucher pilgern auch heute mit riesigen Fresspakten zur Bowl, und der normale Hollywooder platziert sich um die Eingänge herum und genießt die Vorfreude auf´s eigentliche Event bei schwerem kalifornischem Rotwein und in Plastik abgepackter Retortenkost. Drinnen, nach dem Kartenabriss, wird´s eh nur teurer.Die Frage, welches nun als das größte Konzertereignis des Jahres eingestuft werden sollte, stand im Raum. Simon und Garfunkel gastierten hier in diesem Jahr schon vor einem überschwänglichen Publikum, The Who spielten hier nach dem Tod von John Entwistle mit neuem Bassisten, und demnächst wird Seal zweifellos für ein ebenso ausverkauftes Haus sorgen. Das Besondere an dem Ereignis des vorletzten Augustabends aber war die Ankündigung, dass Rod Stewart und Ron Wood seit 30 Jahren zum ersten Mal wieder für ein ganzes Konzert zusammen auf der Bühne stehen würden. Ja, was war daran so extravagant? Wer die Geschichte der Rockmusik nicht kennt, musste die Achseln zucken, aber wer sich noch an die Faces erinnert, der wusste, wie hochkarätig dieses Zusammentreffen war.Ein kurzer Beat-beladener Rückblick: Bevor der Punk in England aufkam, gab es die Faces mit Rod Stewart, Ron Wood, Ian McLagan, Ronnie Lane und Schlagzeuger Kenny Jones. Jeder von ihnen ist heute eine Legende, aber die Band selbst landete nie einen Hit, weil sie an Anarchie das auslebte, was die Rockmusik essenziell ausmacht. Sich an keine Regeln haltend, ging man zum Beispiel mitten im Konzert auf ein Bier in die nächste Kneipe und spielte nach einer Stunde erst weiter. Oder man nietete mit dem Tourbus und im Vollrausch gleich die ganze Toreinfahrt des Anwesens eines reichen Landadligen nieder, der zu einer privaten Konzertparty geladen hatte. Unendlich viele Anekdoten ranken sich um diese Rabaukencombo, die aus dem sozialen Milieu des britischen Proletariats hervorgegangen war. Man war arm, jung - und tobte sich eben aus. Die Geschichte endet allerdings traurig. Ronnie Lane starb 1996 an multipler Sklerose, Ian McLagan schaffte als Solokünstler nie den großen Durchbruch, Kenny Jones konnte beim besten Willen den toten Keith Moon von The Who nicht ersetzen, und Ron Wood wurde von den Rolling Stones abgeworben. Von Rod Stewart hieß es, dass er eh seine besten Songs für seine Solokarriere zurückgehalten habe. Das konnte nur das klägliche Ende einer Band sein.Unter solchen Vorzeichen stand also das Auferstehungsfest von Zweien aus Fünf. Kamen sie nun als alte Kumpel zusammen oder als egomanische Soloartisten? Die Hollywood Bowl fieberte dem Ereignis seit Monaten entgegen, das Konzert war Wochen zuvor schon restlos ausverkauft. Doch die Ankündigung war ein Euphemismus gewesen. Natürlich zog Rod Stewart sein ganz normales Showprogramm durch, bestehend aus einer Ansammlung seiner großen Hits von Forever young bis zu Tonight´s the night, mit Videoleinwand und allem modischen Schnickschnack, samt ständigem Klamottenwechsel des Stars. Zwischendurch machte er Familienwerbung und ließ seine 17-jährige Tochter Ruby zwei Coverversionen bekannter Schlager singen. Ron Wood war in diesem Kontext wirklich special guest, wie es auf dem Ticket stand. Als er dann kam, lässig, im grünen T-Shirt, Jeans und mit schulterlangem Haar, da war das Seichte des Programms wie weggefegt. Für einen kurzen Moment flackerte das musikalische Vermächtnis der Faces auf - ihr Titel Stay with me entfachte ein Gitarrenfeuerwerk wie aus alten Tagen. Zu Maggie May gesellte sich der grauhaarige Ian McLagan an die Keyboards, und als Ronnie seinem Bandleader einen Tritt in den Hintern versetzte, hatte man für einen Moment die Ahnung, wie alte Faces-Zeiten gewesen sein mochten. - Nach einer Pause, was früher für ein Rockkonzert wie ein Todesstoß gewesen wäre, spielte Rod Stewart mit gediegener Orchestrierung alte Standards aus den vierziger Jahren; Lieder, die - wie er sagte - geschrieben wurden, "bevor ich zur Welt kam, und die ich als Kind liebte". Das war herzergreifend und von schlichter Schönheit. Vom Smoking des Protagonisten mit Champagnerglas bis zu den elegant gestylten Mitmusikerinnen wurde es zudem allerfeinstes Entertainment. Da erfreute man sich am Ende selbst des letzten Stilbruchs. Als bekennender Fußball- und Celtic-Glasgow-Fan kickte Rod signierte Bälle ins Publikum. Friedlich strömten die Massen unter dem Licht des Vollmondes aus der Hollywood Bowl in die warme Sommernacht hinaus.Fast wäre es das gewesen. Was tut man noch in einer solchen Nacht im Ballungsraum Los Angeles? Ein Freund aus San Francisco, der sich in musikalischen Geheimtipps in diesem Riesendorf gut auskennt, riet mir, ich solle ins "Joint" gehen, dort sei Montagnacht immer was los. Der Laden war irgendwo in Beverly Hills versteckt, und der Taxipreis war üppig. Eigentlich hatte ich mich geärgert. Natürlich wäre es das Größte gewesen, anlässlich des historischen Zusammentreffens von Rod und Ronnie ein Interview zu bekommen, wenigstens mit einem von beiden. Aber alle Anfragen gingen unter. So stand ich etwas verdrossen auf dem Pico-Boulevard und begehrte mit einer Schlange von Wartenden Einlass in den "Joint". Es war schon nach Zwölf, und die Konzerte, die in dem etwas mehr als wohnzimmergroßen Raum stattfinden, beginnen auch für L.A.-Verhältnisse spät. Keith Richards spielte hier vor einigen Wochen als Überraschungsgast, von keiner Millionärsclique groß angekündigt. Der Laden ist authentisch, eine Art Rock´n´Roll-Arche Noah: Die Preise zivil, die Girls gut aussehend, die Kellner ruppig, tätowiert, mit bis zu den Hüften reichenden, zu Pferdeschwänzen zusammengebundenen Haaren. Zu meiner Überraschung stand Blondie Chaplin auf der Bühne, mit Waddy Wachtel und Terry Reid, auch Insiderlegenden. Blondie, hochtalentiert und als Session-Musiker bei den Rolling Stones immer unterfordert, stand hier als Hauptakteur auf der Bühne und er sang anstelle von Mick Jagger diesmal Miss you und weitere Stones-Klassiker. Im "Joint" schien jeder gut Kumpel miteinander zu sein, und vermutlich hätte man dort selbst mit Mao Tse-tung oder dem lieben Gott ein Interview bekommen.Nach dem Konzert sprach ich Blondie am Tresen bei einem Glas Bier an und stellte ihm jene Fragen, die auch die Essenz eines Ron-Wood-Interviews ausgemacht hätten. "Sehen wir uns in Rio?" fragte mich Blondie zum Abschluss. Wieso Rio? "Da sind die Jungs von den Stones am liebsten. Da nimmt das ganze Stadion Mick das Singen ab. Brasilianische Verhältnisse." Nachts um halb drei gingen auch im "Joint" die Lichter aus, und die strengen amerikanischen Anti-Sauferei-Gesetze machten der schönsten Party ein Ende. Die Kneipe spuckte uns regelrecht aus. Ein letztes Mal fluchte ich über den Taxipreis nach downtown. Mr. Chaplin kutschierte in die entgegengesetzte Richtung. Ein dicker Nebel lag in der Luft. Es war dieser typische L. A.-Smog, der jeden Morgen den Tag erst mal diesig macht, bevor die Sonne mit erbarmungslos schönem Wetter auf die Stadt herunter brennt.
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