Schönfärbers Abgang

Kelly-Affäre in Grossbritannien Alastair Campbell ist zum Opfer seiner eigenen Strategie geworden

Der Rücktritt des "Direktors für Kommunikation und Strategie" beim britischen Premierminister ist der erste erzwungene Rückzug aus dem Regierungslager in der Kontroverse um die Irakkriegs-Euphorie Tony Blairs und den Tod des Waffenexperten David Kelly. Natürlich bestreitet Downing Street eine solche Deutung der Vorgänge: Alastair Campbell habe schon seit längerem zu verstehen gegeben, er sei amtsmüde.

Nicht nur der Independent bemerkte am vergangenen Wochenende süffisant, Campbells Rücktritt sei "das letzte Stück Spin, das er selbst gemanagt hat". Spin - oder zu deutsch: Schönfärberei - das war genau die Mission, derentwegen Campbell einst vor einer unbedeutenden Boulevardzeitungskarriere weg in das Team des aufstrebenden neuen Labourchefs geholt wurde. Seit 1997 verkaufte Campbell die anfänglichen Erfolge, dann die Misserfolge, schließlich die Missetaten des New-Labour-Kabinetts.

Warum konnte ein Pressesprecher zu einer solch beherrschenden Figur des Systems Blair werden, dass man ihn nicht eben selten den "eigentlichen Stellvertreter" nannte? Die Antwort ergibt sich aus dem Selbstverständnis New Labours: Blairs Credo lautete stets, die Partei müsse vollkommen rücksichtslos sein, wenn es gelte, Kompromisse einzugehen, die Sympathien der konservativen Presse zu gewinnen und an die Macht zu kommen. Einmal am Regieren, müsse New Labour jene Reformen durchziehen, die durchsetzbar seien. Und für tatsächlich durchsetzbar hielt Blair nicht übermäßig viel. Die Tatsache, dass seine Regierung dank ihrer makroökonomischen Strategie keinen Hauch von sozialdemokratischer Politik mehr verströmte, führte zu einer gewissen Kluft zwischen den Erwartungen der Wähler und der selbst auferlegten, für unverzichtbar gehaltenen Moderation einer neoliberalen Reformagenda. Folglich brauchte Blair einen so fähigen wie skrupellosen Propagandisten. Und so erklärte Campbell den Wählern bis jetzt alles, was erklärt werden musste - von der Notwendigkeit, das Erziehungsgeld für Alleinstehende zu kürzen (1997), bis zur Einführung des Gewinnprinzips im Nationalen Gesundheitswesen durch die Etablierung von Stiftungskrankenhäusern (2003). Auch die Bombardierung serbischer Städte während des Kosovo-Krieges 1999 rechtfertigte er als Teil einer neuen "ethischen Außenpolitik". Seit mehr als einem Jahr war er federführend an der Präsentation einer harten Linie gegenüber dem Irak und den europäischen EU-Partnern beteiligt, indem er die Redewendung vom "unvernünftigen Veto" erfand. Sie sollte Frankreich den schwarzen Peter für die Niederlage Britanniens und der USA im UN-Sicherheitsrat zuschieben und den unilateralen Angriffskrieg begründen.

New Labours Schwierigkeiten mit der Wahrheit waren schon immer ein Grund für Unzufriedenheit und Skepsis in der britischen Öffentlichkeit - aber erst der Irak-Politik Blairs ist es zu verdanken, dass fast schon so etwas wie instinktives Misstrauen grassiert. Was die Hutton-Kommission bisher über die Umstände des Todes von David Kelly vorgelegt und zu hören bekam, ist von solcher Brisanz, dass einzelne Kabinettsmitglieder der vorsätzlichen Lüge und Irreführung überführt werden könnten. Er habe "keinen Input, keinen Output, nichts zu tun" gehabt mit den Inhalten des Regierungs-Dossiers über Saddams Massenvernichtungswaffen, beteuerte Campbell erst vor zwei Wochen, als ihn Lordrichter Hutton befragte. Sein e-Mail-Verkehr vom September 2002 zeigt aber, dass er in nicht weniger als elf Fällen eine substanzielle Änderung des Dossiers verlangte: Die Aussage des Geheimdienstentwurfs, Saddam Hussein "könnte in der Lage sein" innerhalb von 45 Minuten Massenvernichtungswaffen einzusetzen, wurde durch Campbells Intervention eine Woche vor Veröffentlichung in den Satz verwandelt: "Das irakische Militär ist in der Lage, diese Waffen innerhalb von 45 Minuten einzusetzen". Auch Blairs viel strapaziertes Argument, man müsse jetzt intervenieren, weil Saddam Hussein innerhalb von zwei Jahren die Produktion von Atomwaffen aufnehmen könnte, mag von Campbells Manipulationen gestützt worden sein. Ein Wechsel von e-Mails zwischen dem Spin-Meister und dem Chef des Geheimdienstkomitees, John Scarlett, weist nach, dass Campbell selbst die konkrete Zeitspanne ersann, und deren Einfügung vorschlug - "zwecks Klarheit".

Für den Premierminister ist der Abgang Alastair Campbells ein Akt vorbeugender Schadensbegrenzung - wer weiß, was die Vorladungen von Zeugen zum Kreuzverhör in der zweiten Septemberhälfte noch alles zu Tage fördern. Die Vernehmung von Kellys Witwe zeigte jedenfalls, welchen emotionalen Sprengstoff die Affäre weiterhin hat - die Art und Weise der Behandlung Kellys durch seine Vorgesetzten, wie das Janice Kelly vor der Kommission nicht nur andeutete, dürfte besonders in der englischen Mittelklasse Zorn und Abscheu hervorrufen. Beamte und Staatsangestellte bilden eine nicht unbeträchtliche Gruppe im Wählerspektrum New Labours. Campbell ist so gesehen durchaus zum Opfer seiner eigenen, der Labour-Party verordneten Strategie geworden: Fassade, Image und Manipulation als Substanz verkaufen. Nun - so scheint es - meldet sich die Substanz recht unangenehm zurück.

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