Risiko-Kredite als Lebenselixier

AUSSTIEG ODER EINSTIEG Die Regionalbanken in Afrika, Asien und Lateinamerika zwischen der Aussicht auf ein Nischendasein und den harten Bandagen des Wettbewerbs

Im Vorfeld der anstehenden gemeinsamen Tagung von IWF und Weltbank Ende September in Prag wird auch über die künftige Rolle der regionalen Entwicklungsbanken in Afrika, Asien und Lateinamerika debattiert, die sich mit neuen Herausforderung konfrontiert sehen: veränderten Konditionen der Entwicklungszusammenarbeit beispielsweise, aber auch der fortschreitenden Liberalisierung des Welthandels oder wachsenden privaten Kapitalzuflüssen. Dies alles wird für die Regionalbanken hauptsächlich durch ein Problem überlagert: die Parallelstrukturen mit der Weltbank. Um dem zu begegnen, tauchen teilweise radikale Lösungsansätze auf, die sogar bis zu einem möglichen Ausstieg der Weltbank erst aus Asien und Lateinamerika und später auch aus Afrika reichen.

Niemand denkt daran, die Regionalbanken ernsthaft in Frage stellen. Das ist sowohl ihrer »institutionellen Schwerkraft« als auch einer auf mehreren Säulen ruhenden »politischen Bestandsgarantie« zu danken. Letztere ergibt sich maßgeblich aus dem hohen Interesse an der entwicklungspolitischen Hebelwirkung von regionaler »ownership«, die unter anderem auf den regionalen Mehrheiten in den Führungsgremien der Institute und im Mitarbeiterstab basiert. Die Bestandsgarantie resultiert ebenso aus dem absehbaren außenpolitischen Schaden im Falle radikaler Einschnitte. Dies würde als Signal der Entsolidarisierung verstanden. Widerstand gegen derartige Zäsuren dürften sich auch aus den geo strategischen Partikularinteressen wichtiger G-7-Länder wie Japan, Frankreich und den USA ergeben.

Wenn also die Parallelstrukturen von Weltbank und Regionalbanken nicht angetastet werden können, ist es um so wichtiger, den allseits als unzureichend empfundenen entwicklungspolitischen Mehrwert des derzeitigen Neben- und Miteinanders zu erhöhen. In der Debatte haben sich im wesentlichen drei Optionen herauskristallisiert: Von der Weltbank und den Regionalbanken wird eine De-Facto-Fusion durch umfassende Harmonisierung und Kooperation angestrebt. Eine zweite Option plädiert für Entflechtung durch den weitgehenden Rückzug der Regionalbanken auf komplementäre Nischenfunktionen. Die dritte ist der im »Meltzer-Report« vom März 2000 vorgesehene Ausstieg der Weltbank zunächst aus Lateinamerika und Asien, später aus Afrika.

Obwohl die skizzierten Varianten im Detail jeweils eine Reihe von Vorzügen aufweisen, stellen sie insgesamt keine optimale Lösung dar. Im Kern laufen sie darauf hinaus, die Kosten der Parallel- durch die Kosten von Monopolstrukturen zu ersetzen. Viel zukunfts trächtiger erscheint im Unterschied dazu eine Strategie, die darauf abzielt, die problematischen Strukturen nicht um jeden Preis zu bereinigen, sondern in Sinne des Wettbewerbsgedankens furchtbar zu machen. Denn innerhalb einer leistungsfähigen Wettbewerbsordnung sind nicht so sehr die Kosten von Parallelstrukturen maßgeblich als vielmehr die ökonomisch relevanteren Kosten-Nutzen-Relationen, die sich aus einer verbesserten Ressourcenallokation ergeben. Hier können Parallelstrukturen wie ein »Motor der Innovation« wirken.

Die zunehmende Konvergenz von Paradigmen, Ideen und »best practics« ist kein Indiz dafür, dass Wettbewerb in der Entwicklungspolitik nun wegen fehlender Alternativen überflüssig wäre. Zum einen reflektiert diese Konvergenz in erheblichem Maße ein Quasi-Monopol angelsächsischer Politikmuster, zum anderen gibt es auf der Ebene entwicklungspolitischer Leitbilder unverändert große Herausforderungen. Man vergegenwärtige sich nur die Folgen der neuen Kommunikations- und Informationstechnologien. Schließlich ist Wettbewerb noch immer die wirksamste Prävention gegen politische Instrumentalisierung und Korrumpierung der Banken als einer eben auch drohenden Konsequenz ihrer ansonsten erwünschten regionalen Tuchfühlung. Eine leistungsfähige Wettbewerbsordnung für das Entwicklungsbankensystem müsste folgende Voraussetzungen erfüllen:

Sie sollte zunächst einmal Wettbewerb überall dort ermöglichen, wo Entwicklungsbanken beziehungsweise Geber ihre komparativen Vorteile in neue Ideen, die Erschließung neuer Geschäftsfelder und »bankfähige« Produkte umsetzen können. Sie sollte ihn dort wirksam unterbinden, wo es im Interesse der Entwicklungsländer (an geringen Transaktionskosten) auf Harmonisierung und Koordination ankommt.

Zugleich muss eine entsprechende Wettbewerbsordnung selbstverständlich einen Rahmen von Standards und Normen liefern. Das heißt, es müssen Umwelt- und Sozialstandards wie auch technische Normen existieren und beachtet werden, die verhindern, dass es zu einem »race to the bottom« (Wettlauf bis zum bitteren Ende) zwischen den Entwicklungsbanken im besonderen und den Gebern im allgemeinen kommt.

Schließlich - Wettbewerb innerhalb dieses Systems steigert nur dann die Effizienz von Anlagen, wenn die Banken auf der einen und die Entwicklungsländer auf der anderen die Verantwortung für die mit der Darlehensvergabe verbundenen Risiken übernehmen. Die Banken sollten für ihre Ausleihungen künftig das volle Risiko tragen - sie sollten Zahlungsausfälle folglich aus Gewinnen oder dem haftenden Kapital decken und insoweit auf einen privilegierten Gläubigerstatus verzichten. Dies sollte allerdings dann nicht gelten, wenn Vorhaben finanziert werden, die sich auf Aids-Hilfe, den Klimaschutz oder die Armutsbekämpfung in den am meisten unterentwickelten Staaten (HIPC-Länder) beziehen.

Die Übernahme der Kreditrisiken auch auf Seiten der Partnerländer würde zu erheblich mehr »Selektivität« bei der Nachfrage nach Mitteln der Entwicklungsbanken beitragen. Sie würde damit das Argument entkräften, das Wettbewerbsprinzip greife unter den Bedingungen einer im Grunde unbegrenzten Nachfrage der Entwicklungsländer nicht.

Eine Wettbewerbsordnung muss zu guter Letzt das Verhältnis zu privaten Kapitalanbietern regeln. Grundsätzlich gilt hierfür das »Subsidiaritätsprinzip«, nach dem Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit nicht öffentlich finanziert werden sollen, wenn dafür private Mittel verfügbar sind. Eine »dynamische« Interpretation dieses Prinzips besagt folgerichtig: die Entwicklungsbanken sollten als Katalysatoren privater Finanzierungen fungieren. Sie könnten dadurch helfen, neue Geschäftsfelder - etwa bei der Krisenprävention - zu erschließen. Zum anderen geht es darum, einen Beitrag zur erhöhten Kreditwürdigkeit der Partnerländer zu leisten, beispielsweise durch eine sukzessive Anpassung der Konditionen für Kreditvergaben an eine wachsende Schuldendienstfähigkeit. Ebenso wichtig scheint es, die Schnittstelle zwischen öffentlichen und Kapitalmarktmitteln nicht willkürlich an bestimmten Einkommensschwellen der Empfängerländer festzumachen, sondern im Wettbewerb zu ermitteln, indem zum Beispiel in Schwellenländern die Regionalbanken für ihre Finanzierungs- wie Beratungsleistungen die vollen Kosten in Rechnung stellen und dann den Markt darüber entscheiden lassen, ob etwa eine kommerzielle Bank die geforderte Leistung günstiger anbieten kann.

Um sich in einem solchen Entwicklungsbankensystem behaupten zu können, müssen die Regionalbanken ihre Kernkompetenzen dort gezielt ausbauen, wo sie über komparative Vorteile verfügen. Mit anderen Worten: sie müssen »regionale Führungsvorteile« ausschöpfen. Nur so sind die angestrebte »Afrikanisierung« der AfDB, die »Asiatisierung« der AsDB und die »Lateinamerikanisierung« der IDB zu erreichen. Eine potenziell größere regionale Fühlungsnähe der Banken wird allerdings nur dann Vorteile bringen, wenn regionale Netzwerke gepflegt und das entsprechende regionale »know how« systematisch erfasst, aufbereitet, vorgehalten, ausgewertet und in Politikberatungs- und Finanzdienstleistungen umgesetzt wird. Die wichtigsten Schwerpunkte, die alle drei Banken ausbauen können und sollten, sind regionale Kooperation und Integration, der gesamte Governance-Sektor sowie das regionale Krisenmanagement.

Obwohl es in Lateinamerika - teilweise auch in Asien - Ansätze dazu gibt, ist das Potenzial an wohlfahrts- und friedensstiftenden Effekten bisher kaum ausgeschöpft. Sollten sich die Banken jedoch entschließen, eine Führungsrolle bei der Finanzierung grenzüberschreitender Projekte und Programme zu übernehmen, so könnte das ihre Katalysatorfunktion entscheidend stärken. Sie wären so auch als Integrationsbank von MERCOSUR (*), ASEAN (**) und SADC (***) denkbar.

Besonders relevant sind Führungsvorteile in Governance-bezogenen Geschäftsfeldern - etwa bei der Staatsmodernisierung und Förderung der Zivilgesellschaft (s. Übersicht). Damit ergeben sich erweiterte Möglichkeiten für sensitive Politikbereiche - auch im Sinne eine größere Vertrautheit mit autochthonen Besonderheiten, um kulturelle, ethnische und tribale Traditionen und Potenziale berücksichtigen zu können.

Der Aufbau von Kernkompetenzen im Governance-Bereich ist nicht zuletzt auch deshalb erforderlich, weil ohne Schlüsselrolle der Regionalbanken im regionalen Konfliktmanagement die Gefahr besteht, dass aufgrund akuter Krisen die Grundlagen des Bankengeschäfts erodieren und Projekterfolge in großem Stil vernichtet werden. Dies gilt ebenso für die von nationalen oder globalen Finanzkrisen betroffenen Staaten (siehe Mexiko 1995/Asienkrise 1998) wie die von Bürgerkriegen heimgesuchten (Kongo/Sierra Leona/Angola/Liberia). Es ist nicht zuviel verlangt, wenn hier von den Regionalbanken ein breit gefächertes Leistungsangebot zur Förderung »struktureller Stabilität« erwartet wird. Es sollte sich auf Krisenprävention ebenso konzentrieren wie darauf, Konflikte einzudämmen und Friedensprozesse zu stabilisieren.

(*) Wirtschaftsverbund in Südamerika, bestehend aus den Mitgliedern Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. Assoziierte Mitglieder: Chile und Bolivien.

(**) Südostasiatische Staatenassoziation bestehend aus Thailand, Malaysia, Indonesien, Singapur, den Philippinen, Brunei, Vietnam, Laos und Kambodscha.

(***) Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft mit 14 Mitgliedsstaaten: Südafrika, Angola, Botswana, Lesotho, Malawi, Mauritius, Mocambique, Namibia, Sambia, Sim babwe, Südafrika, Swasiland, Tansania, Kongo (Kinshasa) und den Seychellen.

Unser Autor ist Mitarbeiter des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, Abteilung Internationale Wirtschaftsbeziehungen, Währungspolitik und Entwicklungsfinanzierung.

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