Knapp drei Monate vor den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen am 2. Februar 2003 stehen die politischen Auseinandersetzungen ganz im Zeichen der Bundespolitik. Der hessische Herausforderer Roland Kochs, Gerhard Bökel (SPD), kündigte an, im Fall eines Sieges eine Initiative für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer zu starten. Regierungschef Roland Koch (CDU) bezeichnete dies während einer hitzigen Landtagsdebatte Ende Oktober als "Klassenkampfgerede". Aus gutem Grund: Sollte der niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel im Amt bestätigt werden und es den hessischen Sozialdemokraten und Grünen gelingen, eine Mehrheit im Wiesbadener Landtag zu erzielen, wäre das auch ein Befreiungsschlag für die Bundesregierung. Der Union ginge die Mehrheit im Bundesrat verloren, Drohungen einer Blockade von Gesetzesvorhaben würden erst einmal der Vergangenheit angehören.
Huckepack in die Staatskanzlei
Der SPD-Landesverband in Hessen ist zuversichtlich, Koch aus dem Amt zu drängen. Mit knapp 40 Prozent lag die SPD in Hessen bei der Bundestagswahl nicht nur vor der CDU. Besonders der Blick auf die Grünen stärkt den Genossen die Hoffnung auf einen Wechsel in Wiesbaden. Mitte Oktober auf dem grünen Landesparteitag präsentierte sich die Partei bereits als Koalitionspartnerin in spe. Grund für den zu Schau gestellten Optimismus ist das mit 10,7 Prozent bisher beste Ergebnis bei einer Bundestagswahl. Der auf Platz sechs der Landesliste gewählte Matthias Wagner von der Grünen Jugend brachte die Stimmung auf den Punkt: "So wie wir Gerhard Schröder huckepack ins Kanzleramt getragen haben, werden wir Gerhard Bökel in die Staatskanzlei tragen."
Genau das wollen die hessischen Liberalen mit einem Zuwachs an Stimmen verhindern. Die FDP-Vorsitzende Ruth Wagner ließ keinen Zweifel daran, dass die Partei in Hessen eine andere Strategie verfolgt als auf Bundesebene. Dazu gehört eine klare Koalitionsaussage zugunsten der CDU - mit der die Liberalen seit knapp vier Jahren in Wiesbaden regieren. Von 18 Prozent ist keine Rede, doch immerhin drittstärkste Kraft will man unbedingt werden. Bei der letzten Landtagswahl kamen die Liberalen jedoch nur mit Ach und Krach in den Landtag. Lediglich 5,1 Prozent holte die FDP 1999. Da es Roland Koch gelang, mit seiner umstrittenen Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft die eigene Anhängerschaft und rechte Protestwähler in besonderer Weise zu mobilisieren, reichte es ganz knapp für eine schwarz-gelbe Mehrheit.
In Niedersachsen übernahm Sigmar Gabriel 1999 das Amt des Ministerpräsidenten von Gerhard Glogowski. Dieser war nach 13 Monaten im Amt wegen Vorwürfen der Vorteilsannahme zurückgetreten. Gabriel gilt aufgrund seines rhetorischen Talents mittlerweile als Star der SPD. Mit 47,8 Prozent der Zweitstimmen hat die SPD in Niedersachsen bei der Bundestagswahl gegenüber der CDU (34,5) den traditionellen Vorsprung fast halten können.
Die FDP hingegen gibt sich zur Zeit auch in Niedersachsen eher bescheiden. Verständlicherweise, denn es ist viele Jahre her, dass die Partei im Landtag vertreten war. 5,5 Prozent erzielte sie 1990. In den beiden Landtagswahlen danach reichte es mit Ergebnissen von unter fünf Prozent nur zur Rolle der ungeliebten außerparlamentarischen Opposition. Gegenwärtig ist die Affäre um Jürgen Möllemann und diverse Mitwisser illegaler Parteispenden ein sicherer Garant für eine erneute Zitterpartie - und reichlich miese Stimmung.
Die macht sich auch im CDU-Lager breit. Schließlich würde nur eine starke FDP Chancen auf einen Regierungswechsel in Hannover eröffnen. Die Schwäche der Liberalen lässt bei den Schwarzen aber wenig Zuversicht aufkommen. Als nahezu sicher gilt somit, dass der 43-jährige CDU-Spitzenkandidat Christian Wulff, von der Generation der sogenannten "Jungen Wilden" in der Union, erneut das Nachsehen haben wird. Auch sein Reformwillen innerhalb der Partei, mit dem er, Merkel nachfolgend, jüngere und liberalere Wählerschichten gewinnen will, wird ihm kaum zum Sieg verhelfen. Er könnte sich aus der Ferne anschauen müssen, wie sein Altersgenosse Koch zu einem von konservativen Kreisen in der Partei hochgejubelten Hoffnungsträger avancieren könnte, während er als "ewiger Herausforderer" weiter die Oppositionsbank drückt.
In Hessen hat unterdessen ein klarer Lagerwahlkampf begonnen. Ministerpräsident Koch, der von seinem Umfeld schon seit einiger Zeit als Mann mit bundespolitischen Ambitionen gehandelt wird, hat auf diesem Feld Erfahrung. Die politische Gewichtung seines nachweislich mit Schwarzgeld finanzierter Wahlkampfes brachte ihm zwar 1999 den Vorwurf ein, auf dem Rücken von Ausländern fremdenfeindliche Stimmungen zu schüren. Die hessische CDU hatte im Ausland Gelder in Millionenhöhe gelagert, die sie als "jüdische Vermächtnisse" ausgegeben hatte und die auch in den hessischen Landtagswahlkampf von 1998 geflossen waren. Doch aus Kochs Sicht hat die schmutzig finanzierte Unterschriften-Kampagne den gewünschten Erfolg gezeitigt.
Bewährte Methoden
Auch aktuell setzt Koch wieder darauf, reaktionäre Kreise ansprechende Themen in den Wahlkampf zu bringen. Vergangenes Wochenende kündigte er an, SPD und Grünen im Bund bei der Wahl am 2. Februar einen Denkzettel verpassen zu wollen. Nach "bewährter" Methode: Unabhängig von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts werde er die Zuwanderung zu einem Thema im Wahlkampf machen. Es bedarf nur wenig Fantasie sich vorzustellen, was diese Ankündigung bedeutet. Gleichzeitig zielt er auch auf einem anderen Politikfeld mit schwerem Geschütz auf die Bundesregierung. Seinem Vorgänger in Wiesbaden, Hans Eichel, inzwischen Bundesfinanzminister, wirft er nicht nur vor, die Staatsverschuldung verschleiert zu haben. Eichel habe auch "wissentlich gelogen" (Koch).
Eine Aussage, die in der Union inzwischen reichlich Widerhall gefunden hat. Sie offenbart, wie nass-forsch Kochs Auftreten ist. Immerhin musste der Ministerpräsident während der Diskussion um schwarze Kassen und geheime CDU-Konten nach Aufdeckung zahlreicher, brisanter Details genau das einräumen: wissentlich gelogen zu haben. Auch andere heikle Einzelheiten wurden zutage gefördert, zum Beispiel dass er von Manipulationen am Rechenschaftsbericht der Partei gewusst und diese sogar gedeckt hat. Einen wirklichen Schaden hat er aber nicht davon getragen. Da es bisher in Hessen noch keinem CDU-Ministerpräsidenten gelungen ist, nach vier Jahren im Amt bestätigt zu werden, wäre Koch im Fall seiner Wiederwahl ein bundespolitisches Schwergewicht. Und direkter Konkurrent von Angela Merkel im Kampf um die Kanzlerkandidatur 2006.
Des Nachrichtenmagazin stern hat die Wahlen in Hessen und Niedersachsen schon mal zum Fernduell der Kanzlerkandidaten für 2006 hoch stilisiert. Ein Fernduell der Hoffnungsträger der jeweiligen Parteien ist es allemal. Koch ist Jahrgang 1958, Gabriel ein Jahr jünger - da bleibt noch viel Zeit für "höhere" bundespolitische Aufgaben. Es sei denn im Februar kommt ein Karriereknick dazwischen.
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