Drohende Massenentlassungen in den Opel-Werken Bochum und Rüsselsheim - zweifellos wäre die jüngste Entwicklung zu anderen Zeiten die ideale Gelegenheit für zwei prominente Grünen-Politiker gewesen, politisch Agitation zu betreiben, um den seinerzeit gängigen Jargon zu bemühen. Denn in den siebziger Jahren propagierten Joseph Fischer, Daniel Cohn-Bendit und weitere Aktivisten der in Frankfurt am Main seinerzeit für Furore sorgenden Organisation "Revolutionärer Kampf" (RK) die Betriebsarbeit bei Opel und praktizierten sie auch. Seite an Seite mit den Arbeitern am Band sollten die Vorstellungen von einer anderen, nicht-kapitalistischen Gesellschaft auch und gerade in die Betriebe getragen werden. Opel galt als Pilotprojekt.
Heute reist Fischer als deutscher Außenminister im feinen Zwirn um die Welt, Daniel Cohn-Bendit ist Europaparlamentarier. Die anderen, einst bei Opel Rüsselsheim arbeitenden "RK-Genossen", haben zwar weniger spektakulär Karriere gemacht, aber auch sie sind zumeist weit weg von den aktuellen Sorgen der Opelianer.
Seit in der vergangenen Woche der US-amerikanische Autokonzern General Motors (GM) sein Sparpaket vorgestellt hat, mit dem das Unternehmen beim Europa-Geschäft wieder schwarzen Zahlen schreiben will, drücken viele Beschäftigte in den Opel-Werken große Existenzsorgen. Zur Verringerung der jährlichen Fixkosten um 500 Millionen Euro kündigte GM für die nächsten zwei Jahre den Abbau von 12.000, der insgesamt 63.000 Stellen bei Opel, Saab und Vauxhall an.
Während die Belegschaft des schwedischen Saab-Werks in Trollhätten nach den bisherigen Planungen den Verlust von etwa 500 Arbeitsplätzen verkraften muss, trifft es voraussichtlich zwei der insgesamt vier deutschen Werke besonders hart. In Bochum und dem Opel-Stammwerk Rüsselsheim stehen rund 10.000 Stellen zur Disposition.
In Bochum, wo fast die halbe Belegschaft um den Arbeitsplatz bangen muss, reagierten die Beschäftigten spontan mit Arbeitsniederlegungen. Sie ignorierten alle Aufforderungen von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) und der Betriebsleitung, diese Form der Proteste zu beenden. Man werde erst aufhören, so Erklärungen aus Bochum, wenn die Ankündigung von Arbeitsplatzabbau oder gar Drohungen einer Komplettschließung des Werkes vom Tisch seien.
Anders als in Bochum war in Rüsselsheim die Bereitschaft, beim Ringen um den Erhalt der Arbeitsplätze mehr auf die seit Montag laufenden Verhandlungen zwischen Vorstand und Gesamtbetriebsrat zu setzen, klar erkennbar. Die Stimmung schwankte zwischen Resignation und Hoffnung, dass der Stellenabbau weniger dramatisch ausfallen würde, als von der GM-Spitze angekündigt.
Die bereits seit Wochen durch die Medien gehenden Berichte, nach denen in der 60.000-Einwohner-Stadt südwestlich von Frankfurt am Main viele der rund 20.000 Arbeitsplätze auf der Kippe stehen, hatten die Stimmung nachhaltig gedrückt: Doch Kampfbereitschaft war wenig zu spüren, es dominierte ein diffuses Gefühl der Ohnmacht und Niedergeschlagenheit.
Für Wolfgang Schaumberg, IG Metall-Mitglied und aktiv in der Bochumer Betriebsgruppe "Gegenwehr ohne Grenzen (GoG)", offenbaren die unterschiedlichen Positionen der Belegschaften eine Schwachstelle im Kampf um die Arbeitsplätze: Nur wenn Belegschaften sich nicht daran orientierten, was Gewerkschafts- und Betriebsratsspitzen verkündeten, seien solche Aktionen wie in Bochum möglich.
Statt die bei DaimlerChrysler, VW oder eben bei Opel zu 80 bis 90 Prozent in der IG Metall organisierten Beschäftigten in einen gemeinsamen Kampf zu führen, werde auch von der Gewerkschaftsführung das Ziel ausgegeben, Deutschland müsse Exportweltmeister bleiben. Damit rette man Profite, aber nicht die von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen. Schaumberg beklagt ebenso, dass viele Kollegen eine von der Gewerkschaftsführung vertretene Standortlogik weitgehend verinnerlicht hätten: Viele glaubten tatsächlich, dass lediglich bessere Manager nötig seien.
Ein kleiner Trost für Gewerkschaftslinke wie den GoG-Aktivisten dürfte sein, dass in den vergangenen Tagen die Einsicht in die Notwendigkeit, beim Standort-Poker international agierender Konzerne den nationalen Bezugsrahmen hinter sich zu lassen, offenbar gewachsen ist. Am Dienstag fanden Protestaktionen in allen europäischen Werken des Opel-Mutterkonzerns General Motors statt.
Schon zuvor hatten sich mehrfach die Betriebsräte aller europäischen Werke zur Koordinierung getroffen. Ziel müsse es sein, so die gleichlautenden Erklärungen nach diesen Begegnungen, sich von der GM-Spitze nicht gegeneinander ausspielen zu lassen.
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