An den Augen kannst du sie erkennen. Aber wie willst du das machen? Kauf dir ein Bild. Catch the next show from backstage - join the official fan club - activate your membership today. Zum Beispiel. Oder geh hin in den Massen, lass dich mal treiben, nimm jemanden mit, der noch unschuldig ist in den Dingen, zum Beispiel dein eigenes Kind. Das ist vierzehn Jahre alt, das stellt in der Richtung vielleicht keine Fragen. Warum soll einer überhaupt dahin? Wäre so eine der falschen, überflüssigen Art, so eine kann dir mitunter alles zerstören. Die und andere grundsätzliche verbieten sich von selbst, eigentlich.
Heute aber ist nicht eigentlich. Und jetzt sind wir schon da. Und los geht es, da kannst du schon hören: The band´s on stage and it´s one of those nights / Oh yeah und so weiter. Ein Glück, dass es so laut ist, unmöglich, auf Fragen Antwort zu geben bei dem Pegel ringsum. Wenn er mal sinkt, zwischen den Liedern, hörst du ein Brummen, das ist das Murmeln von 50.000 Kehlen miteinander, die sich was zu sagen haben. Dann der Atem, der Schweiß und der Durst, Energie, die hier umgeht, wenn sie ihre kleinen Telefone zücken, um sich ein Bild zu machen, um ihren Lieben zuhause ein Stückchen vom live rüberzuspielen, damit kannst du ein Atomkraftwerk speisen. Und sieh die hunderttausend Lampen, die Flutscheinwerfer, Lichtkanonen, die Fackeln oben über der Bühne: So Lichtspiele hat es hier schon gegeben vor nicht mal siebzig Jahren, als die Nazis ihren Zirkus abgehalten haben. Und wie damals fliegt heute der Zeppelin über allem, von dort hätten wir Eindrücke, dass die Musik heute Nacht, in concert, wie es heißt, ein Spektakel ist wie Fußballspiele oder Manifestationen unterm Hakenkreuz. Von fern besehen; damals Krieg und heute Freizeit (aber Lärm laut wie Krieg). Hear me knockin´ I´m around your town.
Und dass es nicht aufhört! Ich meine nicht, was die da machen, das müssen sie, können nicht anders - dass es nicht aufhört, das Gerede darüber, dass es nicht aufhört. Wer einmal totgeredet ist, von dem kann schon gesagt werden, dass er unsterblich sei oder untot, und vielleicht deshalb drängt die Welt an die Rampe, um herauszufinden, wo das Leben, das du im Fehler erkennst, steckt in den Untoten dort oben, die rocken. Denn über die glaubst du alles zu wissen; dass die steinalt sind, dass die das immer noch machen (immer noch), dass sie phänomenal sind, ein Phänomen von Kultur überhaupt. Es gibt Leute, die haben Wissenschaften abgeleitet daraus. Zum Beispiel: "Wir grüßen euch in den Vereinigten Staaten von Amerika, Vorkämpfer gegen das imperialistische System in der gemeinsamen Sache des Kommunismus!" War im Herbst 1969 auf studentischen Flugblättern in Nordamerika zu lesen, als die Band dort gespielt hat, kannst du glauben. Jetzt sieh dir die Vorkämpfer an, das, was die machen. Mit dem Arsch wackeln, die Faust in die Luft, und guck, wie der die Wasserflasche über die Bühne befördert mit einem Tritt, die Zunge raus und der Krach. Das hätte einmal (fast) ein System zum Einsturz gebracht, dachte man, und tatsächlich, Tote gab es auch. Welches System? Als die Welt in zwei Teilen war, Gut und Böse überschaubar wie die Felder beim Schach. Mehr für dich führt jetzt zu weit, ist auch zu laut hier, sieh lieber hin, was die machen. (Dass die das immer noch tun!) Erstaunlich.
Erstaunlicher nur ist das Lachen. Sieh denen in die Monitorgesichter auf der Bühne dort oben hinten weit, siehst du, Lachen immerfort, frag mich warum. Weil es ein Spaß ist, was sonst, die könnten genau so gut die Köpfe schütteln über das, was sie tun, dass noch (nach vierzig Jahren) Menschen zu Zehntausenden zu zählen sich vor ihnen versammeln und sie hören mit Geschrei. Jetzt sieh dir die Leute an um uns, was die hier wollen. Viele wie auf der Jagd mit Ferngläsern, wie in der Kneipe mit Bier in der Hand. Erwachsen werden kannst du hier studieren. Der da singt, zum Beispiel, kann dir Ratschläge geben, da vergisst du den Preis für den Eintritt.
Das war einmal eine Jugendbewegung, hieß Rock´n Roll und Beat und Pop und später Rock, und Disco kennst du auch und was noch alles kam bis Crossover in unbekannten Varianten. Das war, bald fünfzig Jahre her, eine zornige Bewegung, war auch Protest gegen Eltern, Ältere und gegen die Schlechtigkeit der Welt. Das war einmal. Heute ist es - siehst du, auf der kleinen Bühne da, heb den Kopf, direkt über dir - ein mit lachendem Widerwillen gespielter Protest gegen den Tod, der auf sie zukommt. So gesehen sind sie ja immer noch Jugendbewegung, genau zu nehmen, zeigen sie dir eine Haltung des Protestierens für das Recht auf Altern. Ein Ansingen gegen das Bleiben. (Was bedeutet eigentlich: in Würde altern, Pappa?)
Did you hear about the midnight rambler? Nee, hast du nicht gehört? Da kommt er, das soll er sein, zum Anfassen ist er jetzt nah, Nachtschwärmer nennt er sich selbst, er tanzt dir was vor vor der Band, die kannst du an einer Hand abzählen, ihnen auf die Fingerkuppen gucken, auf die Füße. 1:1 sozusagen. Bist nicht begeistert? Ich bin es auch nicht. Nicht dass die falsch spielten, sich zu auffällig verstellen - aber wie kann eine kleine Kapelle kleiner Altmänner derart Krach machen, dass dir jetzt schlecht wird im Bauch, ich seh´s am Gesicht. Unwirklicher nie als aus der Nähe, komm jetzt, wir zieh´n uns zurück. Nachbar, euer Fläschchen!
Was die bieten, ungeheuer, kannst du noch mal staunen zum Abschied. Siehst die Härchen auf den Fingern, die Gitarre spielen, ihre zwanzig Meter auf der großen Leinwand lang; sieh den Schlagzeuger lächeln wie einen Hungerkünstler von Adel; den Sänger, der sein Maul aufreißt wie ein Stadiontor, und fallen immer dieselben Worte raus, von denen du in den Zeitungen gelesen hast, und die du deswegen bejubeln kannst, weil du sie hier und jetzt wiedererkennst: Ihr seid ein geiles Publikum. Tatsache, der hat dich gemeint. Und was meint er jetzt? I can´t get no Satisfaction / Hey hey hey. Jetzt regnet´s Rosenblätter aus Papier, jetzt müssen wir weg. Gehört hast du das alles, das waren bis eben zum Feuerwerk die - sie sind ja mit nichts zu vergleichen - die Rolling Stones oder doch?
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