Rechte Täter, aber keine rechte Tat?

Skinheads in Schleswig-Holstein Nach dem Urteil in einem Obdachlosenmord-Prozess in Flensburg werden Fragen laut, ob das Problem überhaupt ausreichend erkannt ist

»Von einem rechtsradikalen Hintergrund der Tat wird nicht ausgegangen.« - Dieser Satz ist seit Jahren in dieser oder anderer Form oftmals das beschwichtigende Standard-Ende von Polizeimeldungen, wenn Kriminalabteilungen nach offensichtlich rassistischen oder rechtsextrem motivierten Tathergängen zu ermitteln beginnen. Wie beschwichtigend es sein kann, zeigt ein Urteil, das vorige Woche am Landgericht Flensburg gegen zwei junge Skinheads ergangen ist, die vor gut einem Jahr in Schleswig einen 45-Jährigen Kölner zu Tode getreten hatten. Ermittler wie Richter sind nämlich trotz gegenteiliger Anhaltspunkte niemals von rechtsradikalen Motiven der Täter ausgegangen. Das Urteil hat inzwischen ein politisches Nachspiel in Kiel. Es wirft Licht auf eine rechtsextreme Szene, die sich bislang offenbar ziemlich unbehelligt im Land zwischen den Meeren festsetzen konnte.

Königswiesen - so heißt in Schleswig das Schleiufer mitten in der Stadt. Es ist ein beliebter Jugendtreff und inzwischen über die Landesgrenzen hinaus bekannt, nicht nur wegen der Wikingertage, die hier alle zwei Jahre über die Bühne gehen, sondern auch wegen eines rechtsradikalen Mordes am 12. September des vorigen Jahres. Das Opfer: Malte L., ein 45-jähriger Kölner, in der Stadt zu Unrecht als Obdachloser verschrien. Er hatte sich einer Gruppe von alkoholisierten Rechtsradikalen zugesellt und kritisch zu den rechten Auffassungen der Skinheads geäußert. Schließlich eskalierte die Auseinandersetzung, Torsten W. (23) und Michael K. (24) malträtierten den Kölner mit Schlägen und Tritten, an deren Folgen Malte L. schließlich starb.

Schnell nach der Tat diskutierte Schleswig-Holstein, ob es sich bei Verbrechen von Rechtsradikalen auch um eine rechtsradikale Tat gehandelt habe. Während der Sprecher der Stadt, Thorsten Dahl (CDU), erklärte: »Wir haben keine rechte Szene in Schleswig«, forderte der Generalstaatsanwalt Erhard Rex von seinem Berufsstand im Umgang mit Rechts: »Es muss ein klares Signal gesetzt werden.« Und im Verfassungsschutzbericht 2000 wurden die tödlichen Schläge von Königswiesen als Gewalttat mit rechtsextremistischem Hintergrund aufgeführt.

Die ermittelnde Staatsanwaltschaft dagegen lehnte von Beginn der Ermittlungen an bis zum Urteil am vorigen Mittwoch jeden rechtsradikalen Hintergrund der Tat ab. Und das, obwohl sich die beiden Männer schon während der ersten Vernehmungen als Rechtsradikale bezeichnet hatten und bei ihrer Festnahme ein »Arsenal« von NS-Propaganda gefunden wurde. Im Prozess dann traten ein Dutzend Zeugen aus dem Umfeld der Angeklagten auf, viele davon mit Kleidung und Insignien der rechten Szene. Mehrere machten deutlich, dass es in der Clique von Thorsten und Michael Gewalt als legitimes Mittel der Auseinandersetzung gepflegt wird. Doch alle waren sehr bemüht, ihre beiden »Kameraden« zu entlasten. Der 20-jährige Tim S. beschrieb es so: »... der eine sagt dies, der andere sagt das, dann geht´s los, bis einer am Boden liegt.« Sabrina K. gab zu, dass der Hitlergruß nicht selten zur Begrüßung dient.

Doch immer, wenn es politisch relevant wurde, wenn vom politischen Hinterzimmer im Szenetreff »Trödels«, einer Gastwirtschaft in Schleswig, die Rede war und Organisationsstrukturen wie die geplante Gründung eines Aktionsforums angedeutet wurden, zeigten Gericht und Staatsanwältin kein Interesse nachzuhaken. Zentrale Frage war, wer wann wie viel Alkohol in welchen Dosen gekauft, getragen und getrunken hatte.

Eine Stunde habe man über Politik diskutiert, schilderten die Angeklagten das Geschehen in der Tatnacht. Dann fühlte sich Torsten W. »bedroht« und streckte Malte L. zu Boden. »Als ich auf den am Boden liegenden Mann eintrat, wollte ich ihn lediglich verletzen«. »Mindestens zehn Tritte an den Kopf und zahlreiche weitere in den Rücken« zählte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer auf. Laut Obduktionsbericht muss, was auf den Königswiesen geschah, ein Gewaltexzess gewesen sein. Die Pathologen fanden Weichteilblutungen, Lungenquetschungen und diverse Knochenbrüche an der Leiche. Malte L. erlag letztendlich starken inneren Blutungen, schließt der Bericht ab. Die Täterversion klingt dagegen absurd: Direkt nach der Attacke habe sich Malte L. auf die Seite gelegt und zu schnarchen begonnen.

Wegen der Schwere der Tat beantragte die Staatsanwältin zwölf Jahre Haft für gemeinschaftlichen Totschlag. Dem folgte das Gericht nicht, sondern zeigte für die Schilderungen der Angeklagten Verständnis. Das Urteil lautet auf sieben Jahre Freiheitsentzug für Körperverletzung mit Todesfolge. Ein rechtsextremistischer Hintergrund konnte nicht festgestellt werden, hieß es in der mündlichen Begründung des Urteils, und: Dass es sich bei den Tätern um Rechtsradikale handelte, sei ausdrücklich nicht berücksichtigt worden.

»Wir teilen die Einschätzung, dass es sich um keine rechte Tat handelt«, so Horst Eger vom Kieler Innenministerium. Dennoch stellen sich Innenminister Klaus Buß (SPD) und Justizministerin Anne Lütkes (Bündnis 90/ Die Grünen) auf eine Nachbereitung des Skinheadprozesses ein. Auch weil Schleswig-Holstein inzwischen einen 56-prozentigen Anstieg rechter Straftaten verzeichnet. Es ist unübersehbar, dass im »Kampf um die Straße« die NPD und »Freie Kameradschaften« weiter an braunen Boden gewonnen haben. Dem wohl radikalsten Landesverband der NPD steht der einschlägig vorbestrafte Neumünsteraner Peter Borchert vor. Sein Ziel: Die »flächendeckende kommunale Verankerung«, für die die NPD-Kader auf »revolutionäre Dynamik« setzen und Kampagnen, bei denen der »Volkszorn auf die Straße« getragen werden soll.

»Keinen Fußbreit den Faschisten!« verkündete Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) noch im vorigen Sommer lautstark. Doch entgegen dieser und vieler anderer Ankündigungen verfügt das Land über kein Aussteigerprogramm für Rechte. Anrufern beim Lagezentrum der Landespolizei wird die Nummer das Bundesamt für Verfassungsschutz gegeben. Das Land versucht mit Aufklärungskampagnen an den Schulen Herr der Lage zu werden.

»Wir tun niemanden aus diesen Kreisen einen Gefallen, wenn wir ihn mit einem Kuschelkurs bedienen«, hat Generalstaatsanwalt Rex noch vor einem Jahr betont. »Wir sind kein Nachtwächterstaat und müssen Flagge zeigen. Dazu bekenne ich mich.« Zur Flensburger Staatsanwaltschaft sind diese Töne wohl noch nicht vorgedrungen.

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