Als 300 Kämpfer im Sommer 1999 über die Berge an der tadshikischen Grenze in den Südwesten Kirgistans einsickerten und mehrere Dörfer besetzten, war die kleine Armee der ärmsten aller GUS-Republiken dieser Attacke zunächst kaum gewachsen. Erst nach mehreren Wochen konnten die Bewaffneten zurückgedrängt werden - die Kämpfer der Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU), die in diesem zentralasiatischen Staat einen Guerillakrieg gegen den von ihnen als säkular verachteten Präsidenten Islam Karimow führen und ein islamisches Kalifat errichten wollten, hatten einen Achtungserfolg errungen.
Inzwischen soll die IBU über 5.000 Bewaffnete rekrutieren, denen die Sympathie, wenn nicht gar aktive Assistenz der afghanischen Taliban sicher is
sicher ist. Die Bewegung zur Wiedererweckung eines "reinen Islam" fristet alles andere als ein Schattendasein. Russische Vorwürfe, man würde die usbekischen Gralshüter der reinen Lehre in eigenen Camps ausbilden, weist man in Kabul allerdings entrüstet zurück: Es handele sich um reine Flüchtlingslager für Usbeken, die ein Refugium angesichts der Verfolgung durch Präsident Karimow suchten.Dennoch besteht kein Zweifel, dass Einheiten unter dem Kommando von IBU-Chef Dschuma Boi Namangani an der Seite der Taliban im Norden Afghanistans kämpfen. Namangani selbst soll sein Hauptquartier in der nordostafghanischen Provinzmetropole Kunduz aufgeschlagen haben und von dort aus jene kleinen Kommandos von 20 bis 40 Mann dirigieren, die längst nicht mehr den Umweg über Kirgistan nehmen, sondern in Usbekistan inzwischen sogar nahe der Hauptstadt Taschkent auftauchen."Nummer 29" beim Terroristen-RankingWas auf den ersten Blick wie ein regionaler Kleinkrieg im Schatten der WeltPolitik ausschaut, beunruhigt Washington, Moskau und Peking fast gleichermaßen. Dort wurde nach dem Ende der Blockpolarität der militante Islam (nach chinesischer Lesart: "separatistischer Terrorismus") zum Hauptfeind erkoren. Die international geächteten Taliban und das supranationale wie labile Netzwerk al-Qaida des früheren saudischen Bürgers und nun staatenlosen Islamisten-Chefs Osama bin Laden bilden dabei die logistische Basis. Namanganis IBU komplettiert sie weiter: Seit September wird diese Struktur in einer internen Zählung der US-Administration als "Nummer 29" auf der Liste aller terroristischen Bewegungen geführt.Politische und militärische Bemühungen, der "islamistischen Gefahr" zu begegnen, reißen seither nicht ab. Im kirgisischen Cholpon-Ata beschlossen die GUS-Innenminister jüngst ein Dreijahresprogramm zur Bekämpfung von "Terrorismus, religiösem Extremismus, organisiertem Verbrechen und Drogenschmuggel". Die Türkei und China boten Usbekistan gar militärischen Beistand an. Ende September übten russische und tadshikische Truppen gemeinsam an der Grenze zu Afghanistan, kurz zuvor wurde das multilaterale Zentralasien-Bataillon Centrasbat-2000 im Rahmen der NATO-"Partnerschaft für den Frieden" in Zentral-Kasachstan installiert. Anfang Oktober begann Usbekistan zudem, seine Grenze zu Tadshikistan zu verminen, nachdem es schon den visafreien Reiseverkehr abgeschafft hatte.In Washington wiederum standen Teile der US-Administration unter dem Einfluss von Ölfirmen, die Afghanistan als Transitland beim Pipeline-Bau unter Umgehung Russlands einspannen wollen, ursprünglich den Taliban eher wohlwollend gegenüber. "Als sie 1996 die Hauptstadt Kabul übernahmen, sagten wir ihnen, wir würden beobachten, was sie tun und entsprechend reagieren", meinte Vizeaußenminister Karl Inderfurth - zuständig für Südasien - auf einem Kongress-Hearing in diesem Jahr. Dann aber fasste er zusammen, was die USA heute an der Taliban-Herrschaft kritisieren: die Verlängerung des Bürgerkriegs, die Unterdrückung ethnischer und religiöser Minderheiten, die Verletzung der Menschenrechte, den Drogenhandel - "... und sie haben jene andere Geißel der zivilisierten Gesellschaft geduldet, nämlich den Terrorismus, indem sie unter anderem Osama bin Laden und seinem Netzwerk Unterschlupf gewähren", setzte Inderfurth den Hauptvorwurf.Turkestaner im Taliban-CampRusslands Zorn zogen sich die Taliban zu, als sie als einzige Regierung der Welt diplomatische Beziehungen zu Tschetschenien aufnahmen und dessen Exilführung erlaubten, ein Konsulat in Kandahar zu eröffnen. Die viel besprochene tschetschenische "Botschaft" in Kabul ist derzeit nicht aufzufinden. Als die Taliban meinten, den usbekischen Islamisten die gleiche Unterstützung schuldig zu sein wie denen im Kaukasus, gab das Russland die Gelegenheit, sich wieder als Schutzmacht nördlich des Amu-Darja gegen den angeblichen Export der islamischen Taliban-Revolution ins Gespräch zu bringen - eine Region, über die Moskau die Kontrolle zu verlieren drohte. China seinerseits beobachtet mit Besorgnis, dass sich nicht nur Usbeken, sondern auch muslimische Turkestaner aus der Nordwest-Provinz Xinjiang in Afghanistan ausbilden lassen.Dennoch wäre nichts verfehlter, als von einer "anti-islamistischen Allianz" zu reden, sie bleibt bestensfalls eine Zukunftsoption. Während die USA und Russland für November verschärfte Sanktionen gegen die Taliban vorbereiten, schert Usbekistan schon wieder aus. Präsident Karimow hat offenbar begriffen, dass eine offene Konfrontation die Taliban niemals dazu bewegen dürfte, die IBU-Kämpfer aus dem Land zu weisen: "Wir mögen die Taliban-Bewegung, ihre Ideologie und Ziele nicht akzeptieren, aber sie ist eine Strömung, die nicht ignoriert werden kann, weil sie heute nun einmal die dominante Kraft in Afghanistan ist." Kirgistan zog nach, und selbst Russland suchte Mitte Juni in Turkmenistan erstmals den Direktkontakt mit den Taliban. Allerdings war deren Außenminister Mulla Wakil Ahmad Mutawakkil äußerst überrascht, nur auf Abteilungsleiter zu treffen.Ausgelöst hatten diesen Sinneswandel die unerwarteten militärischen Erfolge der Gotteskrieger während der vergangenen Monate. Im September eroberten sie mit Taloqan die letzte Stadt, die ihr Gegenspieler Ahmad Schah Masud noch kontrolliert hatte. Dies bewog sogar westeuropäische Länder wie Frankreich und Italien zur Fühlungnahme mit Kabul. Ende September besuchte mit Roms Vizeaußenminister Ugo Intini (ein ehemaliger Craxi-Sozialist) der ranghöchste westeuropäische Vertreter seit der Machtübernahme durch die Taliban im Jahr 1996 die afghanische Hauptstadt. Selbst die Amerikaner gaben sich konziliant und verweigerten Kabuls Vizeaußenminister Zahed nicht das Visum, als der zur UN-Vollversammlung für sein Regime nach New York wollte. Die "internationale Gemeinschaft" scheint sich zu einem Beschwichtigungskurs gegenüber der radikalislamischen Spezies in Kabul durchringen zu wollen - bis hin zu einer möglichen Anerkennung des Regimes, sollte das beispielsweise seinen usbekischen Juniorpartner fallen lassen. Doch das wäre nur ein Bauernopfer. Erst bei einem Zugeständnis in der Osama-bin-Laden-Frage dürfte die Taliban wirklich salonfähig sein. Dann würde wohl auch keine Regierung mehr ernsthaft über die systematische Verletzung der Menschenrechte unter deren Fuchtel reden wollen.