Wahlkampf 1979 Gegen den CDU-Konkurrenten Ernst Albrecht setzte sich Franz Josef Strauß als Kanzlerkandidat der Union durch. Doch mit seinem polarisierenden Stil hatte der CSU-Chef keine Chance
Franz Josef Strauß wollte Kanzler werden. Unbedingt und immer wieder. Seinen Drang in dieses Amt nahmen Parteifreunde und Gegner schon wahr, als er von 1953 bis 1962 im Kabinett von Konrad Adenauer (CDU) als Minister ohne Geschäftsbereich, Minister für Atomfragen und als Verteidigungsminister saß und sich rühmte, dass er die eigentlich wichtigen Sicherheitsfragen für Deutschland und die Welt entscheide. Nach dem Sturz in der Spiegel-Affäre, die – wie Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) einmal anmerkte – eigentlich Strauß-Affäre hätte heißen müssen, wollte er sich unbedingt rehabilitiert wissen, indem er wieder an die Macht kam. Er wurde Finanzminister in der Koalition mit der SPD und glaubte, das sei wie das Amt des Ver
Amt des Verteidigungsministers unter Adenauer ein Schritt ins Kanzleramt. Aber die Jahre vergingen, und statt der CDU/CSU regierten SPD und FDP. Statt auf der Regierungsbank saß Strauß im Parlament in der Opposition, als hätte er sich dort eingerichtet.Die Wahl im Oktober 1980 war wohl die letzte Chance für Strauß, das Amt des Bundeskanzlers zu erringen. Schließlich saß der 1915 geborene Metzgersohn schon seit 1949 im Bundestag. Als Affront wertete er, dass der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) als Unionskandidat gegen Kanzler Helmut Schmidt antreten sollte, obwohl er nur drei Jahre Regierungserfahrung hatte. Strauß fühlte sich nach 1976 ein zweites Mal übergangen.„Wann, wenn nicht jetzt?“, hielt ihm sein Parteifreund Friedrich Zimmermann vor, der selbst ein Ministeramt anstrebte. Strauß ließ sich von Zimmermann zu einer eigenen Kandidatur überreden. Im Juli 1979 setzte sich Strauß auf einem Unions-Parteitag gegen Albrecht durch. Bis heute kursiert in der CSU die Legende, Zimmermann habe Strauß zum eigenen Vorteil in eine Wahl gedrängt, die Strauß nicht gewinnen konnte. Vermutlich ist Strauß selbst der Urheber dieser Legende, die seine Berater seit 30 Jahren verbreiten. Aber hatte nicht Strauß sich immer wieder als der bessere Kandidat ins Gespräch gebracht? Außerdem hatte er Zimmermann jahrelang als Tarnung und Gehilfen zum eigenen politischen und privaten Vorteil missbraucht, etwa in der Korruptionsaffäre um die Bau-Union. Zimmermann hatte dabei seine Karriere riskiert und daher jedes Recht, Strauß auf dessen Zögern hinzuweisen. Aber je älter Strauß wurde, desto zögerlicher wurde er. Er sah sich immer als der bessere Kanzler – zumindest theoretisch.„Rabauken- und Raffke-Image“Die Unterstützung der CDU hatte Strauß nur halbherzig, die Abstimmung der beiden Generalsekretäre Edmund Stoiber (CSU) und Heiner Geißler (CDU) funktionierte nicht. Es half auch nichts, daß Strauß Geißler neben die CDU-Politiker Alfred Dregger, Manfred Wörner, Gerhard Stoltenberg und Helmut Kohl in seine geplante Regierungsmannschaft holte. Stoltenberg sollte seine Chancen bei evangelischen Wählern im Norden verbessern. Doch das Strauß-Bild außerhalb Bayerns blieb an seinem „Rabauken- und Raffke-Image“ hängen, wie es der Journalist Michael Stiller formulierte. Um seine Chancen zu erhöhen, gab sich Strauß lange Zeit zurückhaltend und griff Helmut Schmidt erst in der Endphase an – als „Generaldirektor der Bundesrepublik“. Strauß brüllte: „Dieser leitende Angestellte der marxistischen Führungsgruppe der SPD ist reif für die Nervenheilanstalt.“ Der Filmemacher Volker Schlöndorff drehte einen 129-minütigen Dokumentarfilm über Strauß, der nur die eine Botschaft hatte: Dieser Mann darf nicht Kanzler werden. Seine Gegner schmierten Lösungen wie „Stoppt Strauß! Hitler war genug!“ auf Fahrzeuge, hielten bei seinen Auftritten minutenlange Pfeifkonzerte und ließen ihn kaum zu Wort kommen. Sie warfen mit faulen Eiern.Strauß beschimpfte die Angreifer und schien solche Auftritte zu genießen. Zum Medium Fernsehen dagegen hatte er „ein ambivalentes Verhältnis“, wie es sein Sohn Franz Georg ausdrückt. Er redete gerne und wusste, dass er die Massen in Bann ziehen konnte. Seine Auftritte waren ein Ereignis, selbst oder gerade für Leute, die ihn ablehnten. Aber Strauß brauchte das Publikum. Für seine Reden erstellte er Bausteine, die er dann je nach Stimmung und Resonanz mischte. Dazu brauchte er Reaktionen. Er musste sie sehen. Ihr Lachen oder ihre Buhrufe hören. Dann konnte er sich in Rage reden und den Leuten geben, was sie wollten.Am Ende war Strauß nassgeschwitzt. War niemand dabei, der ihn kontrollierte, war es schnell passiert, dass Strauß von Begeisterung und Ablehnung des Publikums rauschhaft mitgenommen wurde, Alkohol trank, viel aß – bevor er mit Flieger, Hubschrauber oder dem Wagen dann zum nächsten Termin eilte, wo sich alles wiederholte, auch der Alkohol. Fernsehtermine nahm er dagegen nie so ernst wie seine Referenten und Wahlkampfberater. So kam es, dass er – nach drei Reden irgendwo im Lande – am Abend in einem Fernsehstudio schwitzend im Kameralicht saß, einen abgekämpften Eindruck hinterließ und alle Vorurteile bestätigte. Das zumindest beklagen bis heute seine Mitstreiter wie Friedrich Voss und seine Kinder, die ihn manchmal begleiteten. Seine Frau saß bei solchen Auftritten zu Hause vor dem Fernseher und sagte nur: „Ach du meine Güte.“ Für eine Elefantenrunde im Fernsehen wurden deshalb alle Termine gestrichen. Strauß blieb in seiner Bonner Wohnung, sein Sohn Franz Georg wimmelte Anrufer ab und Strauß bereitete sich den ganzen Tag vor. Doch es half nichts. Er verlor die Wahl.Was hat sich seitdem geändert? Strauß polarisierte sein ganzes politisches Leben lang, viel stärker als heute üblich. Heute drängen Politiker in die Mitte, weil sie dort Mehrheiten vermuten. Strauß dagegen suchte seine Stimmen in der Provokation. Dabei hatte er es damals schwer, denn sein Gegner Helmut Schmidt wurde von seiner eigenen Partei als nicht links genug eingeschätzt. Dazu kam, dass Strauß sich als Sicherheitspolitiker definierte. Mit diesem Thema hatte er einst seine erste große Rede im Bundestag bestritten, die ihn über Nacht im Land bekannt gemacht hatte. Sein Leben lang suchte er die große Bühne der Sicherheitspolitik, traf sich mit Politikern in aller Welt, ob China, Sowjetunion oder USA. Im Grunde war Strauß stets Außenpolitiker, der vor der roten Gefahr warnte, die er seit seiner Kindheit fürchtete – mehr noch als den Nationalsozialismus. 1980 lautete seine Wahlkampfparole: „Freiheit statt Sozialismus.“ Doch in vielen Positionen, besonders, was die Sicherheitspolitik betraf, lagen Strauß und Schmidt nicht weit auseinander. Sie waren sich ähnlich, was ihre Erfahrungen in Krieg und Regierung betraf – Schmidt war wie Strauß Verteidigungs- und Finanzminister gewesen. Seine Strategie schlug fehl. Seine Anhänger beklagten, Strauß sei von einem Medienkartell, vor allem von Spiegel, Stern und ARD, verhindert worden und wollten nicht sehen, dass er sich selbst im Wege stand.Strauß verlor die Wahl, doch seine Berater beharrten, er habe eigentlich gewonnen, denn die SPD habe sich doch nur mit den Stimmen der FDP an der Regierung halten können. Eigentlich. Es war ein verzweifelter Versuch, die Niederlage schönzureden. Der eigentliche Gewinner war die FDP, und das war bitter für Strauß, denn das Kabinett von Adenauer hatte er einst verlassen müssen, weil der damalige Koalitionspartner FDP ihn nach seinen Lügen vor dem Parlament für untragbar hielt.Zwar hatte die SPD kaum vom Kanzlerbonus profitiert. Aber CDU und CSU erzielten mit 44,5 Prozent der Stimmen ihr schwächstes Ergebnis seit der ersten Bundestagswahl 1949, wie der spätere Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) in seinen Erinnerungen nüchtern festhielt. Kohl hatte vier Jahre zuvor 4,1 Prozentpunkte mehr erzielt als Strauß und schreibt von dessen „verheerenden Wahlniederlage“. Kohls Position war damit gefestigt. Die stärksten Einbußen mit 5,9 Punkten erlitt die Union übrigens in Niedersachsen, wo Ernst Albrecht als Ministerpräsident amtierte und sich besonders viele CDU-Wähler nicht mit Strauß anfreunden konnten.
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