Es ist gar nicht so einfach, Jochen Distelmeyer auf den Zahn zu fühlen. Stets höflich, etwas steif und dezent reserviert, sehr norddeutsch eben, spricht er langsam, mit länglichen Denkpausen, damit die verschachtelten Sätze auch ihren semantisch korrekten Abschluss finden. Den Seitenscheitel, den er seit Jahren trägt, das weiße Hemd, über das sonst ein Pullunder gezogen ist, signalisieren einerseits, da sind einem Moden egal, da bleibt sich einer treu. Andererseits wirken sie aber auch wie eine Rüstung, hinter der sich Distelmeyer verstecken kann, bei Bedarf süffisant grinsend.
Der Freitag: Herr Distelmeyer, Ihr erstes Solo-Album heißt nicht nur Heavy, sondern ist, verglichen mit den letzten Veröffentlichungen ihrer ehemaligen Band Blumfeld, ziemlich rockig geraten.
Jochen Distelmeyer: Ich hatte Bock auf primitive Musik für primitive Verhältnisse. Ich hatte gedacht, zu einer Spielart von Rock vordringen zu können, die einem schamanistischen Gehalt von Vor-Rock entspricht. Eine Qualität, die Popmusik durch einen Grad von Eruiertheit und Können zeitgenössischer Musiker verloren gegangen ist. Auch weil der Glaube daran, vielleicht zu Recht, verloren gegangen ist.
Jetzt reden wir sogar über Musik. Sonst geht es meist ja nur um Ihre Texte. Haben Sie sich jemals verfolgt gefühlt von dem allgemein grassierenden Wahn der Kritiker, Ihre Texte zu deuten?
Nein, dafür bin ich erstmal dankbar. Verfolgt hab ich mich nie gefühlt. Das heißt doch zunächst, dass meine Texte den Leuten eine Auseinandersetzung wert sind. Ob das jetzt alles richtig ist oder in meinem Sinne, das sei mal dahin gestellt.
Ist das aber als Musiker nicht frustrierend, wenn in der Rezeption die Beschäftigung mit der Musik selbst eine völlig untergeordnete Rolle spielt?
Ja, stimmt, das ist wahr. Aber die Gigs, die Blumfeld außerhalb des deutschsprachigen Raums gemacht haben, die haben mich geimpft. In Europa, den USA oder Südamerika haben die Leute nicht verstanden, was da erzählt wird, aber sie haben es durch die Musikalität genauso geschnallt wie Leute in Hannover oder Regensburg. Und ich sehe mich auch nicht als Autor, sondern als Musiker, als Songwriter, Gitarrist und Sänger.
Trotzdem sind Sie wahrscheinlich der am intensivsten analysierte und interpretierte Songschreiber deutscher Sprache der letzten Jahrzehnte. Da haben sich ganze Heerscharen an Kritikern angearbeitet…
Das ist mir gar nicht bewusst. Ich hab mir einfach Mühe gegeben. Ich hab mich immer als Sänger gesehen, der seine eigenen Sachen schreiben muss. Und die sollten halt gut sein.
Haben Sie jemals heimlich gelacht über die Textexegeten?
Nein. Ich sehe mich zwar schon eher als Sänger. Aber es nützt ja auch nichts, wenn ich mich beschwere, dass der musikalische Gehalt nicht in dem Maße gewürdigt wird. Dafür wird das anerkannt, was mir auch wichtig ist. Und ich bin schon stolz darauf, dass mir meine Texte hin und wieder so gelungen sind, dass sie immer noch spielbar sind.
Soll das heißen, Sie haben hauptsächlich deshalb diese Texte geschrieben, an denen ganze Generation herumgerätselt haben, um was Schönes zum Singen zu haben?
Ja. Zugegeben, das ist jetzt kokett.
Sind Sie einmalig?
Ja klar, das ist doch jeder.
Das war jetzt gut ausgekontert.
Auskontern. Was für eine Vorstellung haben Sie von dem, was wir hier machen? Ich finde: Niemand kann so Songs schreiben wie ich. Aber das habe ich immer vor allem deshalb gemacht, weil ich solche Songs hören wollte. Und weil es Spaß macht natürlich.
Trotzdem hatten Sie einigen Einfluss darauf, dass wir heute in der populären Musik einen so entspannten Umgang mit der deutschen Sprache pflegen können. Wie groß war dieser Einfluss?
Ziemlich groß, glaube ich. Ich glaube, durch die Art, wie ich das gemacht habe, und dank des Interesses des Publikums und der Medien, hat sich da eine andere Form von Selbstverständlichkeit ergeben. Aber da würde ich mich nicht nur allein sehen: Es gibt viele andere Musiker und Künstler, die genauso bedeutend sind. Ich glaube, dass durch die Qualität meiner Arbeiten, ein gewisser Freiraum geschaffen worden ist für andere, dass nun mehr möglich ist. Genauso ja wie ich durch andere ermutigt worden bin, die vor mir kamen.
Gibt es auf Heavy ein anderes Schreiben, einen neuen Distelmeyer?
Meine Art zu schreiben hat sich nicht geändert. Aber meine Position oder Haltung zu bestimmten Fragen, die mich speziell bei den letzten drei Blumfeld-Alben beschäftigt hatten, die hat sich geändert. Ich habe gemerkt: Um diese oder jene Frage muss ich mich nun nicht mehr kümmern.
Welche Fragen?
Fragen spiritueller oder vielleicht auch politischer Art. Da schien einiges geklärt und abgeschlossen. An dem Punkt realisierte ich, dass es angezeigt war, mit der Auflösung der Band auch diesen Werkkörper abzuschließen – und mich auf neue Wege oder andere Richtungen zu begeben.
Geht’s etwas genauer?
Äh. (lange Pause) Ich versuche das mal an einem Beispiel klar zu machen. Eine Frage, die mich bei Verbotene Früchte beschäftigt hat: Ist es nicht noch viel wundervollerer und schöner, dass es die Erde, die Menschen und alles, was hier an Leben existiert, auch ohne eine initiierende Kraft gibt? Manche nennen das Gott. Mittlerweile habe ich mich davon frei machen können. Am Morgen des letzten Konzerts von Blumfeld in der Hamburger Fabrik gab es ein halbstündiges, tosendes Gewitter und ich wachte von diesem infernalischen Lärm auf. Wenige Wochen zuvor hätte ich das noch als Teil meiner Weltwahrnehmung, meines Zeichensystems wahrgenommen, als etwas Sprechendes, Bedeutendes, Vieldeutiges. Aber in dem Moment dachte ich: Ne, das ist einfach nur ein Gewitter. That’s it.
Also weg vom Naturalismus?
Neineinein, das hat nichts mit Naturalismus zu tun. Darum geht es auf Heavy: Wer sagt warum Naturalismus? Wer sagt warum Naturlyrik?
Aber was sind nun die neuen Fragen, die Sie zu beantwortet versuchen?
Ich weiß nicht, ob das zu pathetisch rüber kommt: Bei den letzten Blumfeld-Produktionen hatte ich das Gefühl, an die inneren Grenzen der Kunst zu gelangen. Das hat mich beim Schreiben der Songs von Heavy konsequenter als je zuvor beschäftigt. Ich fühle mich in der Art, wie ich das mache, was ich mache, ziemlich alleine. Und habe feststellen müssen, dass es für das, was ich glaube machen zu müssen, keine Vorbilder gibt: Wie es sich für mich anfühlt Musik zu machen; zu versuchen, die Kunst nicht für das Leben und das Leben nicht für die Kunst zu opfern. Die Künstlerfiguren, die Charaktere, die bis vor wenigen Jahren noch bedeutend für mich waren, um mir zu zeigen, wie man das hinkriegen kann, die gibt es nicht mehr. Ich finde die meisten Ansätze dieser Leute, die ich bewundert habe und immer noch bewundere, nicht konsequent genug und an den entscheidenden Stellen… feige, aber das ist vielleicht zu hart gesagt. Ich bin beim Verständnis meines Blicks zu unabhängigen Orientierungspunkten gelangt. Nach dem Tod von Ingmar Bergmann hab ich ein Interview mit ihm gesehen, in dem er nach seinen Dämonen gefragt wird. Da holt er dann aus seiner Hosentasche eine mit Kugelschreiber geschriebene Liste seiner Dämonen raus. Und da dachte ich: Mein Gott, wie armselig. Dass er sich bis zum Ende nicht freimachen konnte davon, dass er das gelebte Leben für diese Dämonen geopfert hat. Einer der größten Regisseure der Filmgeschichte, aber wie ein Junkie konnte er nicht loslassen von diesem Negativland.
Sie können loslassen mittlerweile?
Ich bin auf dem Weg. Indem ich mich zu mir und meinem Eigennamen bekenne. Ich mach einfach nur Musik. Und fühl mich gut, wenn ich das mache.
Andererseits aber gibt es eine Kunstfigur Distelmeyer, die sich verselbstständigt hat.
Vielleicht hat sich da was verselbstständigt, das entzieht sich meiner Kenntnis und meiner Kontrolle. Ich habe das Gefühl, dass ich schon länger kein Bedürfnis mehr habe, das in irgendeiner Form zu manipulieren. Aber ich weiß spätestens seit dieser Platte Heavy, dass Jochen Distelmeyer kein Pseudonym ist. Das macht es auf beiden Seiten der Wahrnehmung nicht einfacher, aber was ist schon einfach. Es ist ziemlich einfach Bob Dylan zu sein, aber es ist nicht so einfach Robert Zimmermann zu sein. Und ich bin Jochen Distelmeyer.
Jochen Distelmeyer, 42, war als Kopf seiner Band Blumfeld die zentrale Figur der Hamburger Schule. Die mit popkulturellen Anspielungen und literarischen Querverweisen gespickten Texte der frühen Blumfeld dürften die am ausführlichsten interpretierten und intensivsten analysierten hierzulande sein. Daran änderte sich auch nichts, als Blumfeld eine radikale Wendung vollführten hin zu naiven, fast schlagerhaften Melodien und Texten am Abgrund zur Naturlyrik.
Seit der Auflösung von Blumfeld vor zwei Jahren haben die Exegeten nun die Bleistifte gespitzt in Erwartung von Distelmeyers erstem Solo-Album, das am 25. September erscheint. Und der liefert auf Heavy (Columbia/ SonyBMG) - neben bisweilen überraschend heftiger Rockmusik - zuverlässig neuen Stoff: Nämlich wieder mal jederzeit Zitierfähiges, poetisch, hintergründig und geheimnisumwittert. Zeilen wie: Hinter der Musik totes Kapital. Oder: Der letzte Troubadour mutiert im Wahn zum Rattenfänger. Aber geht es wirklich um die Finanzkrise, wenn es in Regen heißt: Ich gehe durch die Straßen ohne Gott und ohne Geld? Reagiert der Dichter im Distelmeyer wirklich auf tagesaktuelle Begebenheiten, wenn er singt vom Komasaufen unterm schlechten Stern?
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.