Im August dieses Jahres kam es in Norditalien zu einem heftigen Ausbruch des so genannten Chikunguya-Fiebers. Es handelt sich um eine Virus-Erkrankung; der Erreger wird durch eine Mücke, die asiatische Tigermücke Aedes albopictus, übertragen. Eine andere Aedes-Art, Aedes agyptii, ist der Überträger des Gelbfiebers (die Überträgertiere werden auch als "Vektoren" bezeichnet). Die in Europa nicht heimische Mücke wurde 1979 erstmals in Albanien beobachtet, 1990 erstmals in Italien. Der heiße Sommer 2007 bot ihr offenbar ideale Ausbreitungsbedingungen, zumal in der feuchten Gegend von Ravenna, das in der Nähe des Po-Deltas liegt. So kam es dazu, dass in Italien rund 160 Menschen an dieser Infektion erkrankten, deren Symptome hohes Fieber, Kopf- und Gelenkschmerzen sind. Todesfälle wurden bisher nicht registriert. Übrigens gibt es auch in Deutschland Fälle von Chikunguya-Fieber - bisher 16 Erkrankungen 2007, insgesamt 53 im Vorjahr; hier wurde das Virus meist durch Fernreisen, insbesondere aus Indien, eingeschleppt.
39 unbekannte epidemische Krankheiten
Diese Ereignisse wirken wie eine Illustration zu dem ebenfalls im August veröffentlichten Bericht A Safer Future der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Ansteckende Erkrankungen - ob durch Viren, Bakterien oder Parasiten bedingt - breiten sich, wie der Bericht registriert, heute schneller über den Erdball aus als jemals zuvor. Die Häufigkeit neuer Epidemien sei auf eine "historische Höchstrate" gestiegen. Die Hoffnung, die Welt werde von neuen Seuchen verschont bleiben, nennt die WHO "extrem naiv" - und verweist auf bedrückende Zahlen. Denn seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden weltweit 39 zuvor unbekannte Erkrankungen registriert, die sich epidemisch verbreitet hätten. So etwa das West-Nile-Virus, im Jahr 2000 in die USA eingeschleppt - es fordert seither jeden Sommer mehrere Hundert Menschenleben.
Eine der ersten - und durch verschiedene Darstellungen in Fernsehen und Film (Outbreak) auch populärsten - neuen Seuchen ist das viral verursachte hämorrhagische Fieber, das 1976 in Zaire (so der damalige Landesname) beobachtet wurde und das auf einen Vorschlag des damaligen Gesundheitsministers von Zaire, Kikhela Ngwété, nach einem kleinen Fluss dieser Region benannt worden ist: Ebola. Der erste Tote war Mabolo Lokela, er starb am 8. September 1976 im belgischen Missionshospital von Yambuku. Die Behörden in der Hauptstadt Kinshasa wurden allerdings erst nach dem Tod einer belgischen Krankenschwester am 19. September alarmiert. Das Virus wurde im Oktober durch den 27-jährigen Virologen Peter Piot in Antwerpen isoliert (Piot wurde später Medizinscher Direktor des AIDS-Programms der Vereinten Nationen.)
Nach den offiziellen Zahlen forderte die Seuche in Zaire 325 Tote bei 358 Krankheitsfällen; auf der anderen Seite der Landesgrenze, im benachbarten Sudan, zählte man 284 Erkrankungen, von denen 151 tödlich endeten. Der Vektor des Ebola-Virus ist bis heute unbekannt; er wurde auch nicht entdeckt, als es im Herbst 2000 im Norden Ugandas zu einem neuen Ebola-Ausbruch kam; als die WHO ihn am 27. Februar 2001 für beendet erklärte, zählte man 425 Krankheitsfälle mit 224 Toten.
Allerdings ist ein überregionaler Ebola-Ausbruch, selbst nach Einschleppung des Virus aus Übersee, in Europa eher unwahrscheinlich: Die Krankheit tötet sehr schnell, meist binnen einer Woche, lässt also - so makaber dies auch klingen mag - den Erkrankten wenig Zeit zur Aufstellung anderer. "Ideal" für die globale Verbreitung ist eine Erkrankung mit langer Inkubationszeit wie etwa AIDS.
Die Flughäfen als Schwachstelle
Doch auch bei anderen viral bedingten Seuchen ist eine Weiterverbreitung möglich, etwa beim Rift-Valley-Fieber oder beim Lassa-Fieber, benannt nach dem Tod der amerikanischen Missionsschwester Lara Wine in dem nigerianischen Dorf Lassa am 26. Januar 1969. (Man mag daraus schlussfolgern, dass derartige Seuchen wohl vor allem dann zur Kenntnis genommen werden, wenn sie weiße Ausländer töten.) Auch das Dengue-Fieber kann von Aedes albopictus übertragen werden - in Deutschland registrierte man 2005 144, 2006 174 und 2007 bisher 139 Fälle. In die USA, in deren feuchtwarmen Gebieten sie rasch heimisch wurden, gelangten Mücken samt Erreger in asiatischen Autoreifen.
Damit ist ein wichtiger Weg zur Seuchenausbreitung angesprochen: Der weltweite Waren- und Personenverkehr. Die WHO macht in ihrem Bericht zu Recht darauf aufmerksam, welches enorme Verbreitungspotenzial der globale Flugverkehr mit derzeit über zwei Milliarden Passagieren jährlich bietet. Fälle von "Airport-Malaria" sind in der Umgebung der Flughäfen Brüssel und Genf beobachtet worden. Die den Erreger übertragenden Mücken hatten im Frachtraum der Flugzeuge überlebt. Aber selbstverständlich kann auch der Mensch selbst als "Vektor" dienen.
Wie leicht dies möglich ist, zeigt ein Blick zurück auf den Sommer in Berlin 1946, der ungewöhnlich heiß gewesen ist. In einem Kriegsgefangenenlager am Tegeler See, in dem rund 1.000 frühere deutsche Soldaten untergebracht waren, erkrankten plötzlich immer mehr Häftlinge, kurz darauf aber auch etliche Menschen aus der Nachbarschaft. Der Verlauf des Fiebers und andere Symptome - etwa eine geschwollene Milz - ließen vermuten, was die Untersuchung des Blutes bestätigte: Wenige Kilometer vom Zentrum Berlins entfernt war eine Malaria-Epidemie ausgebrochen. Wie das geschehen konnte, ließ sich im Rückblick leicht erklären: Soldaten aus Afrika oder Südosteuropa waren - den Erreger im Blut - in Tegel interniert worden. Zudem hatten sich in der Sommerhitze in den Niederungen von Spree und Havel Mücken der Gattung Anopheles myriadenhaft vermehrt - und aus dem Blut der von ihnen gestochenen Kriegsgefangenen den Erreger in die Umgebung verschleppt. Der Tropenmediziner Hermann Feldmeier, der diese Ereignisse 50 Jahre später in einer Fachzeitschrift bekannt gemacht hat, kommentiert sie mit den folgenden Worten: "Die vergleichsweise glimpflich verlaufene Episode aus dem Nachkriegsdeutschland (es kam zu keinen Todesfällen) bietet einen Vorgeschmack auf das, was uns in Europa erwartet, sollten die Prophezeiungen über die Veränderung des Weltklimas wahr werden."
In Europa, so der Wissenschaftler Walter A. Maier von der Universität Bonn, gibt es noch ein anderes Beispiel für die Ausbreitung tropischer Krankheiten nach Norden, das Blauzungenvirus. Es ist zwar nicht für Menschen gefährlich, wohl aber für Nutztiere, und hat 2005 etwa 2.000 Viehzuchtbetriebe in Holland, Belgien, Luxemburg, Frankreich und Deutschland heimgesucht. "Der Erreger", so Maier, "wurde vermutlich mit afrikanischen Tieren wie Zebras nach Europa importiert. Das Virus mag heiße Sommer ..." Und davon gibt es genug, und es wird noch mehr davon geben. Dies wird deutlich, wenn man sich die "Hitliste" der zehn heißesten Jahre seit Beginn systematischer Wetteraufzeichnungen betrachtet. Nach dem Kenntnisstand Ende 2006 sind dies, in absteigender Folge: 2005, 1998, 2002, 2003, 2004, 2001, 1997, 1995, 1990 und schließlich noch 1999 ...
Eine gesicherte Zukunft - dieses Ziel nennt der neue WHO-Bericht im Titel. Doch es ist zu befürchten, dass alte und neue Seuchen den Menschen, die dieses Ziel im Auge haben, einen dicken Strich durch die Rechnung machen werden.
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