In Lüneburg ist der Glaube an die Allmacht des privatwirtschaftlich organisierten Marktes in der Abfalltonne gelandet. Seit Anfang 2008 wird der Restmüll in der Hansestadt nicht mehr von der Remondis AG, sondern wieder durch eine kommunale Gesellschaft entsorgt. Die hatte sich in einer Ausschreibung gegen dieÊprivate Konkurrenz durchgesetzt, die Stadt rechnet nun mit Kosteneinsparungen von bis zu 20 Prozent. Diese sollen als Gebührensenkung weitergegeben werden.
Der Landkreis Lüneburg steht in einer länger werdenden Reihe von Städten und Gemeinden, die das Rad der Marktgläubigkeit zurückgedreht und bereits privatisierte Dienstleistungen rekommunalisiert haben. Für die Haushaltskassen lässt sich damit sogar sparen - ohne den Spielraum für eine tarifkonforme Bezahlung aufzugeben.
Das alte Klischee von der effektiven Privatwirtschaft und der Unwirtschaftlichkeit der öffentlichen Verwaltung hat man auch in Brandenburg widerlegt: In der Uckermark wurden die Verträge mit den westdeutschen Müllentsorgungsfirmen gekündigt, um nicht länger mitanzusehen, "dass ein privater Investor mit einer öffentlichen Aufgabe zweistellige Renditen erzielt". Nachdem bei einer öffentlichen Ausschreibung im Spätsommer 2005 keine passenden Angebote für den Entsorgungsauftrag eingingen, entschloss sich der Kreis, die Aufgaben wieder in staatliche Hände zu legen. "UDG - Uckermärkische Dienstleistungsgesellschaft" prangt nun in blau-gelber Schrift auf den silberfarbenen Lastkraftwagen, die täglich vom Betriebshof in Prenzlau rollen. Obwohl neue Mitarbeiter eingestellt wurden und diese nach Tarif bezahlt werden, kommt der Kreis günstiger weg, als zuvor. So konnten die Gebühren um 6,5 Prozent gesenkt werden - eine spürbare Entlastung für die Menschen in einer Gegend, die zu den ärmsten Deutschlands zählt.
Lassen Beispiele wie diese den Schluss zu, dass die seit mehr als zwei Jahrzehnten rollende Privatisierungswelle allmählich abebbt? Die Frage ist (noch) schwer zu beantworten. Jedenfalls lässt sich der neuerdings als "orange Revolution" apostrophierte Trend auch in den nordrhein-westfälischen Städten Bergkamen, Fröndenberg und Leichlingen verfolgen, im Rhein-Sieg-Kreis, den Kreisen Aachen und Hannover, dem Landkreis Neckar-Odenwald, dem Rhein-Hunsrück-Kreis und anderswo. Zwar werden nach wie vor 60 Prozent des Abfalls bundesweit von Privatfirmen eingesammelt. Doch Schlagzeilen wie diese häufen sich: "Die Kommunen entdecken den Charme des Hausmülls."
Zu beträchtlich waren die Gewinne, die Großfirmen durch die Ausnutzung monopolartiger Strukturen abschöpfen konnten. Die Branchenriesen Sulo und Remondis erwirtschaften Jahresumsätze von mehr als zwei Milliarden Euro - auch, weil viele Kommunen mit der Einführung des Dualen Systems in den 90er Jahren nicht nur das Einsammeln der Verpackungen mit dem "Grünen Punkt" ausgliederten, sondern auch den Abtransport des Restmülls privaten Anbietern überließen.
Aufgewacht aus den Verkaufs-Träumen ist man auch in Freiburg und Dortmund. Beide Städte holten jüngst die Reinigung der öffentlichen (Hoch-)Schulen, Kindergärten und Sportstätten unter das kommunale Dach zurück. Die öffentlichen Auftragnehmer, da sind sich die Verantwortlichen einig, arbeiten gründlicher, weil sie neben der bloßen Reinigung auch die Substanzerhaltung, das heißt die sorgsame Pflege der Fenster, Fußböden und Möbel, im Blick haben. In beiden Kommunen verzeichnete man nicht nur ein gestiegenes Selbstbewusstsein, mehr Arbeitsfreude und eine höhere Produktivität bei den Reinigungskräften - auch das Stadtsäckel wurde entlastet. Mittlerweile werden die Mitarbeiter des Reinigungsdienstes sogar einbezogen, wenn die Anschaffung eines neuen Bodens beratschlagt wird, weil sich ein vermeintlich preiswerter Belag unter dem Strich als "Geldfresser" erweisen kann, wenn die Reinigung extrem kostspielig ist. Die Einbindung der Mitarbeiter hält man in Freiburg für ganz zentral: "Dies war der Erfolgsfaktor schlechthin", betont Beatus Kamenzin, bis Ende 2006 zuständiger Verwaltungsleiter des Hochbauamtes in der Breisgau-Stadt.
Aber obwohl Hunderte Kommunalverwaltungen sich inzwischen daran erinnert haben, dass auch in öffentlicher Regie effiziente Strukturen geschaffen werden können, ist die Legitimationskrise der Privatwirtschaft in den Sektoren der Daseinsvorsorge längst nicht so tief, wie es die Vielzahl fehlgeschlagener und teilweise rückgängig gemachter Privatisierungen vermuten lässt. Weiterhin plant jede dritte Großstadt Verkäufe. Noch immer verstehen sich die meisten Kommunen einseitig als Wirtschaftsstandorte und nicht auch als Motoren sozialer Integration - die sie mit leistungsfähigen öffentlichen Krankenhäusern, Kindergärten und Bibliotheken sein könnten. Im Gesundheitssektor wird bei fortlaufender Entwicklung schon 2015 jedes zweite Krankenhaus im Besitz von privaten Betreibergesellschaften wie Asklepios, Helios oder Rhön-Klinikum sein.
Vor allem auf dem Wohnungsmarkt ist die Privatisierungseuphorie kaum getrübt, noch immer folgen zahlreiche Städte und Gemeinden dem Beispiel Dresdens, dessen Stadtrat vor anderthalb Jahren mit Linkspartei-Stimmen den Totalverkauf des kommunalen Wohnungsbestands an eine Investorengruppe aus den USA beschloss. Dass das Milliardengeschäft die Elbstadt zur "Avantgarde der deutschen Kommunalpolitik" machte, wie die Zeit einmal jubilierte, lässt sich an einer Zahl ablesen: 2006 wurden im deutschen Immobiliensektor Privatisierungserlöse in Höhe von neun Milliarden Euro erzielt - Tendenz steigend.
Wie Dresden zeigte, kann man vom Parteibuch nicht so ohne weiteres auf die Privatisierungsfreudigkeit schließen. In Hamburg nannte der CDU-Politiker Ole von Beust den seinerzeit vom rot-grünen Senat beschlossenen Verkauf der kommunalen Elektrizitätswerke an den schwedischen Konzern Vattenfall erst einen "Fehler". Die Stadt, so damals von Beust, habe nun "keinen Einfluss mehr auf die Strompreise und nur noch geringen Einfluss auf die Investitionen". Später zeigte sich die Landesregierung mit von Beust an der Spitze dann selbst privatisierungsfreudig. Die städtische Beteiligungsgesellschaft etwa trennte sich von 30 Prozent ihrer Anteile an der Hamburger Hafen und Logistik AG.
Das Kapitalmarktdebüt spülte zwar einen Löwenanteil des Erlöses von 1,17 Milliarden Euro in die Kassen des Stadtstaates. Doch die chronische Unterfinanzierung der Haushalte lässt sich durch einmalige Einnahmen allenfalls vorübergehend lindern. Statt neuer Gestaltungsspielräume erwachsen den Städten und Gemeinden vor allem seit der 2000 initiierten Unternehmenssteuer(spar)reform fortlaufend neue finanzielle Engpässe.
Wenn öffentliches Eigentum dem Markt mitsamt seinen Ausgrenzungsmechanismen unterworfen wird, wächst die Zahl derjenigen, die auf der Strecke bleiben. Wie die Bürgerentscheide in Freiburg, Mülheim an der Ruhr und andernorts zeigen, haben viele Menschen längst realisiert, dass bei jeder Privatisierung durchschlägt, was das lateinische Ursprungswort "privare" bedeutet - nämlich "rauben".
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.