"Unser Preissystem lässt keine Wünsche offen: Vom spontan Reisenden bis zum Frühbucher kann jeder an allen Ecken und Enden Geld einsparen. Sogar nachts im Schlaf." Ungewollt ironisch klingt diese Eigenwerbung der Deutschen Bahn (DB) AG wenige Tage vor einer abermals anstehenden Fahrpreiserhöhung. Zum dritten Mal innerhalb von zwei Jahren werden am 11. Dezember pünktlich zur Weihnachtssaison die Preise für Fernverkehrstickets um 2,9 Prozent steigen, im Nahverkehr erwarten die Bahnkunden Preisaufschläge von bis zu drei Prozent. Dabei hatte das selbsternannte "Unternehmen Zukunft", das sich womöglich bald einen Umzug nach Hamburg leistet, erst vor knapp einem Jahr die Tarife in vergleichbarer Größenordnung erhöht: insgesamt steigen die Bahnpreise damit binnen eineinhalb Jahren um ganze zehn Prozent.
Die besondere Brisanz der jetzigen Tariferhöhung liegt darin, dass auch die Bahncard als einstiges Rückgrat des DB-Tarifsystems teurer wird: In der zweiten Klasse wird man künftig 51,50 Euro für die Bahncard 25 zahlen, stattliche 3.300 Euro für die Netzkarte (Bahncard 100) und 206 Euro für die Bahncard 50. Nachdem diese "Mutter der Bahncards" im Dezember 2002 mit dem Preissystem PEP (Preis- und Erlösmanagement Personenverkehr) abgeschafft worden war, wurde sie nur wenig später nach regem Protest der Fahrgastverbände wieder eingeführt. Das einhellige Medienecho damals: "Ein Klassiker kommt zurück!" Unter den Aspekten Kundenbindung und Tariftransparenz nicht nachvollziehbar ist ferner die Abschaffung des Mitfahrer-Rabatts, der - ehemals auf sämtliche Fahrkarten anwendbar - demnächst auch für Bahncardbesitzer nur noch in Kombination mit den aufwändig beworbenen "Sparpreisen" Gültigkeit haben wird. Kaum Trost spenden kann in Anbetracht dieser doppelten Preissteigerung für Stammkunden die Tatsache, dass eine Bahncard 25 für Jugendliche eingeführt wird: für einmalig zehn Euro, gültig bis zum 19. Geburtstag.
Dabei ist das Image der Bahn bereits schwer beschädigt - auch aufgrund seines Preissystems: Fahrgäste wie Bedienstete müssen zeitraubende Recherchekünste aufbieten, um die preiswerteste Verbindung zu ermitteln. Nach wie vor weist die Bahn für eine Fahrt zwischen zwei Orten wenigstens ein halbes Dutzend unterschiedlicher Fahrpreise aus. Das Austüfteln des maximalen Rabatts zwischen den Sparpreisen mit und ohne Wochenendbindung unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Sommer- und Herbstangebote schreckt selbst leidenschaftliche Bahnfahrer ab. Warum wird die ausladende Vielfalt des Angebots nicht durch zwei klar definierte Preise ersetzt? Einen für die preiswerteste und einen für die schnellste Verbindung.
Rat holen könnten sich Karl-Friedrich Rausch und Hartmut Mehdorn, die als ehemalige Manager der Luftfahrtindustrie im Bahnvorstand maßgeblich für die Preispolitik verantwortlich zeichnen, bei ihren Schweizer Kollegen. Nach dem Zeitpunkt der Buchung gestaffelte Tarife, wie sie die DB-Führung mit den Frühbucherrabatten Sparpreis 25 und Sparpreis 50 eingeführt hat, sind in der Alpenrepublik unbekannt. Weshalb dies auf absehbare Zeit so bleiben wird, erklärt der Leiter des Bereichs Personenverkehr bei der Schweizer Bundesbahn (SBB) Paul Blumenthal: "Einen Kunden zu zwingen, einen bestimmten Zug zu buchen, wäre eine Pervertierung des Systems." In der Schweiz ist jeder dritte Bürger im Besitz einer sogenannten Halbtax, die grundsätzlich 50 Prozent Ermäßigung auf den Einheitspreis gewährt und zudem nur halb so teuer ist wie die hierzulande vertriebene Bahncard 50. In der Folge leisten die Züge der SBB 87 Prozent der gefahrenen Personenkilometer. Mit durchschnittlich fast 2.000 Kilometern pro Kopf zählen die Schweizer zu den weltweit eifrigsten Bahnfahrern - nicht zuletzt dank des transparenten Preissystems.
Tatsächlich liegt die Schuld für die verfehlte Tarifentwicklung jedoch nicht ausschließlich bei den Bahnverantwortlichen, sondern in erster Linie bei ihrem (Noch-)Alleineigentümer, dem Bund. Auf geschätzte 3,1 Milliarden Euro, das heißt um mehr als die Hälfte, will die neue Bundesregierung ihre Zuwendungen für Regionalzüge, S-Bahnen und Busse bis 2009 insgesamt zusammenstreichen. Die aus dem berüchtigten Koch/Steinbrück-Papier fast buchstabengetreu in den Koalitionsvertrag übernommene Forderung nach einer Senkung der Ausgaben für den Nahverkehr lässt befürchten, dass an zentraler Stelle die Weichen falsch gestellt werden. Denn Bundesländer und Verkehrsverbünde benötigen die Regionalisierungsmittel dringender denn je: hauptsächlich für den Einkauf von Zugverbindungen bei der Deutschen Bahn oder konkurrierenden Eisenbahngesellschaften. Leider scheint bei Ministern und Bundestagsabgeordneten während der Freiflüge mit der Deutschen Lufthansa und der Fahrten im Dienstwagen in Vergessenheit geraten zu sein, dass Millionen von Berufspendlern auf einen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind. Warum bleibt der grenzüberschreitende Flugverkehr von der Umsatzsteuer befreit, weshalb wird nach wie vor keine Kerosinsteuer erhoben? Mehreinnahmen aus diesen Steuerquellen würden ohne weiteres eine höhere Vertaktung des regionalen Schienenverkehrs erlauben - nicht nur der Umwelt, sondern auch dem defizitären Fernverkehr der Bahn zuliebe. Überdies sind die Länder auf die Bundeszuschüsse angewiesen, um Bus- und Bahnstationen zu modernisieren, bröckelt doch in zahlreichen kleinen und mittleren Bahnhöfen spätestens seit ihrem Verkauf durch die DB AG der Putz von den Wänden.
Angesichts der DB-Nettoschulden in Höhe von 38,6 Milliarden Euro scheinen Befürchtungen der Verbraucherschützer realistisch, wonach für den Fall der Mittelkürzungen in den kommenden vier Jahren mit Preissteigerungen von bis zu zehn Prozent zu rechnen sein wird. Die Zukunft der Bahn liegt indes nicht im Hochpreissegment, sondern im Tages- und Massengeschäft. Nicht zuletzt weil die große Koalition die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Kürzung der Pendlerpauschale sowie die Streichung der Ausgleichzahlungen an Verkehrsbetriebe für ermäßigte beziehungsweise kostenlose Schüler- und Schwerbehindertentickets angekündigt hat, muss die Einsicht lauten: Der Markt lässt keinen Spielraum für eine abermalige Anhebung der Bahnpreise - jedenfalls dann nicht, wenn mehr Verkehr auf die Schiene verlagert werden soll.
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