Alle Menschen werden dafür bezahlt, dass sie einfach: leben. Sie bekommen genug Geld, ohne Zwang oder Bedingungen. Mit einem garantierten Einkommen in der Tasche müsste niemand mehr um die Existenz bangen, keiner aus ökonomischer Not heraus prekäre Jobs annehmen. Menschen wären nicht mehr dem auf Sanktionierung und Stigmatisierung beruhenden Hartz-System unterworfen. Es klingt wie ein Traum. Oder?
Obwohl die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) immer wieder auftaucht, wurde sie bisher stets ins Reich der Utopien verbannt. Das soll nun anders werden. Als erstes Land der Welt stimmt die Schweiz am 5. Juni über die Einführung des Grundeinkommens ab. Allein diese Tatsache hat ein riesiges Medienecho hervorgerufen – und auch andere Länder denken darüber nach: In Finnland will die Regierung nächstes Jahr ein Pilotprojekt starten, ähnliche Vorhaben gibt es in der kanadischen Provinz Ontario sowie im holländischen Utrecht. Und in Kenia plant eine Spendenorganisation das bislang größte Experiment dazu.
Kurzum: Das Interesse am Grundeinkommen war noch nie so groß – obwohl die Idee schon sehr alt ist. Bereits 1516 formulierte der Humanist Thomas Morus in seinem Werk Utopia einen ähnlichen Vorschlag. Und seit mehr als 100 Jahren werden nun immer wieder Debatten geführt, die ihren bisherigen Höhepunkt im Nordamerika der 1960er und 1970er hatten. Sogar einige Feldversuche gab es, etwa in Namibia oder in Kanada. Der Gedanke, dass alle ohne Wenn und Aber versorgt werden, polarisiert die Menschen wie wenige andere Ideen – quer durch alle politischen Lager.
Nicht nur Teile der Linken sind dafür, Anhänger findet das Grundeinkommen seit jeher ebenso in liberalen Kreisen. Auch aus dem Silicon Valley wird der Ruf danach lauter. Doch während es für die einen ein Heilsversprechen gegen Armut, Arbeitszwang und Ausbeutung ist, gilt es den anderen als suspekt oder gar gefährlich. Konservative warnen vor sozialen Folgen, Gewerkschaften halten das BGE für eine Lohnsubvention, Radikallinke für ein Zuckerbrot zur Stabilisierung des kapitalistischen Systems. Und Neoliberale sagen, es mache faul.
Bruch mit dem Bekannten
„Die vielen Vorurteile kommen daher, dass gerade die Bedingungslosigkeit mit allem uns Bekannten bricht“, sagt Daniel Häni. Er ist Mitinitiator der Schweizer Volksabstimmung. Und mit Widerständen kennt sich der 50-Jährige aus. Als Häni 1999 in der Innenstadt von Basel ein Café eröffnete, ohne dort einen Konsumzwang einzuführen, „da erklärten mich selbst Freunde für verrückt“. Inzwischen ist sein „unternehmen mitte“ das größte Kaffeehaus der Schweiz – und das Epizentrum einer weit über die Landesgrenzen hinaus beachteten Politkampagne. Hier hat Häni gemeinsam mit dem Künstler Enno Schmidt am Silvesterabend 2005 den Plan gefasst: Die Bevölkerung selbst soll über die Einführung des Grundeinkommens abstimmen.
Häni, Dreitagebart und blaue Turnschuhe, sitzt auf einer Couch in seinem „Kampagnenlabor“ – einem lichtdurchfluteten Raum, der nur durch eine Glasfront von der Eingangshalle des Kaffeehauses getrennt ist. Trotz vieler Bedenken haben er und sein Team es geschafft, die 100.000 Unterschriften für eine Volksabstimmung zu sammeln. „Die Schweiz ist wegen der direkten Demokratie der ideale Ort, um das Grundeinkommen einzuführen“, sagt er und lächelt. „Man muss keine Angst haben, dass das von heute auf morgen passiert. Die Schweiz ist konservativ.“ Laut Umfragen hat das BGE 25 Prozent Zustimmung, die Volksinitiative gilt als chancenlos.
„Die Einführung des Grundeinkommens ist keine Hauruck-Veranstaltung, sondern eher ein Marathon – und wir sind jetzt vielleicht bei Kilometer 25“, sagt Häni und strahlt dabei die Gewissheit eines Läufers aus, der sicher ist, irgendwann am Ziel anzukommen. Hinter ihm hängt ein Plakat, auf dem steht: „Alle guten Ideen finden ihre Umsetzung. Die Frage ist, wann.“ Dazu der Verweis auf das Frauenwahlrecht und die Altersversicherung – zwei einst umstrittene Ideen, die nach langen Debatten doch eine Mehrheit fanden. Häni ist sich auch sicher: „Das Grundeinkommen ist zur Versorgung der Menschen irgendwann alternativlos. Denn durch die Digitalisierung gibt es immer weniger Erwerbsarbeit.“
Bei der Initiative gehe es „um den Dialog und die Bewusstseinsbildung“. Das BGE stelle zwei fundamentale Fragen, sagt er: „Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre? Und bist du bereit, die Existenz deiner Mitmenschen bedingungslos zu gewähren?“ Vergangenes Jahr hat Häni mit dem Philosophen Philip Kovce ein Buch veröffentlicht: Was fehlt, wenn alles da ist? Warum das bedingungslose Grundeinkommen die richtigen Fragen stellt. Es zeigt die Stärke von Häni und seinen Unterstützern: Sie können argumentieren – und sie stoßen althergebrachte Gewissheiten um.
„Geld ist nur das Mittel. Der Zweck des Grundeinkommens sind die Selbstbestimmung und die Emanzipation der Menschen“, sagt Häni. Die Symbolkraft dieses Mittels kennt er aber auch genau. Schon die Übergabe der gesammelten Unterschriften wurde zum Medien-Coup, als die Initianten per Lastwagen auf dem Berner Bundesplatz acht Millionen Fünfrappenstücke ausschütteten – eine Münze für jeden Einwohner der Schweiz. „Wir sprechen von Leistung und Gegenleistung, haben aber kein leistungsgerechtes System“, sagt Häni. „Trotzdem sind wir es nicht gewohnt, Geld zu transferieren, ohne es an eine Bestimmung zu knüpfen.“ Eine Frage beschäftigt Häni seit seiner Jugend: „Was machen Menschen, wenn sie nicht müssen?“
Bei einer repräsentativen Umfrage in allen 28 EU-Mitgliedstaaten gaben kürzlich 64 Prozent an, dass sie die Einführung eines Grundeinkommens befürworten würden. Allein, die EU-Bürger dürfen nicht darüber abstimmen. In Deutschland sind alle im Bundestag vertretenen Parteien offiziell gegen das BGE, nur vereinzelt gibt es Befürworter. Auch in der Schweiz lehnen bis auf die Grünen alle Parteien die Initiative ab. So hält die rechtspopulistische SVP das Grundeinkommen für eine „ruinöse Utopie“. Es würde Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortung unterminieren. Ähnliches befürchten Liberale und Konservative. Für Häni trifft aber das Gegenteil zu: „Eigenverantwortung wird nicht durch Zwang gefördert, sondern durch Freiheit.“
Eine bedingungslose Existenzsicherung, so viele Befürworter, könnte nicht nur die Freiheitsspielräume der Menschen vergrößern, sondern auch die Arbeitswelt grundlegend verändern – weil sich niemand mehr unter Wert verkaufen oder als Bedürftiger abstempeln lassen müsste. Arbeit würde ein Stück weit vom Einkommen entkoppelt. Es ist letztlich ein urliberales Argument, das der neoliberalen Karikatur dieser Denktradition konträr gegenübersteht, nach der Freiheit vor allem Freiheit für diejenigen ist, die es sich leisten können.
Häni versteht sich in diesem Sinne als sozialliberal – und als Humanist, der an das Potenzial der Menschen glaubt: „Die Leute wollen etwas tun. Faulheit tritt nur ein, wenn man Dinge tun muss, die man nicht tun will.“ Weil es noch andere Gründe zu arbeiten gibt als Geld: Anerkennung, soziale Integration, Selbstverwirklichung.
Arbeiten alle weiter?
Die Frage, ob Menschen mit BGE weiterarbeiten, ist auch deshalb so umstritten, weil sie für die Finanzierung entscheidend ist. Das Mantra der Gegner lautet: Es ist schlicht nicht bezahlbar. Tatsächlich belaufen sich die Kosten für eine bedingungslose Existenzsicherung, in Deutschland rund 1.000 Euro pro Person und Monat, auf knapp ein Drittel des Bruttoinlandsproduktes. Ähnliches gilt für die Schweiz. Bei genauerem Hinsehen wäre das Grundeinkommen aber durchaus finanzierbar durch Steuererhöhungen, Einsparungen und weil einige Sozialleistungen ersetzt würden. Doch die Rechnung geht nur auf, falls die Massen nicht aufhören zu arbeiten.
Bei der Finanzierungsfrage sind sich auch die Befürworter nicht einig. Es kursieren verschiedene Modelle. Häni favorisiert eine Variante mit Kombilohn, in der sich der Staat das Geld durch Konsumbesteuerung zurückholt. Doch nicht alle Mitglieder der Initiative sehen das so. Ihr prominentester Vertreter, der ehemalige Schweizer Vize-Kanzler und langjährige Sozialdemokrat Oswald Sigg, hält Hänis Variante des Kombilohns für „abenteuerlich“ – und die Mehrwertsteuer wie viele linke Kritiker für eine „unsoziale Steuer“, da sie Arme relativ gesehen mehr belastet als Reiche. Deshalb fordert Sigg eine Finanztransaktionssteuer, um so eine Umverteilung nach unten zu bewirken.
Auch über andere Detailfragen sind sich die Initianten nicht immer einig. Viele Einzelheiten im zur Abstimmung stehenden Text haben sie offen gelassen. Dort ist nur festgehalten, dass das BGE das Existenzminimum abdecken soll. „Wir wollen zuerst über die Grundsatzentscheidung abstimmen, dann erst über Details“, sagt Häni.
Das wiederum bringt der Initiative die Kritik vieler Linker ein. Die Schweizer Sozialdemokratische Partei etwa befürchtet, es könne „als Vorwand zum Abbau des Sozialstaats missbraucht werden“, da die konkrete Ausgestaltung dem bürgerlich dominierten Parlament überlassen wird. Diese Bedenken gegen das BGE, die es nicht nur in der Schweiz gibt, sind nicht ganz unbegründet. Denn was es am Ende wirklich bewirkt, hängt von den Details ab.
Schon der wohl bekannteste Befürworter, der Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman, hatte ein neoliberales Grundeinkommen im Sinn. Ebenso der ehemalige CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus mit dem „Solidarischen Bürgergeld“. Diese Modelle propagieren ein nicht existenzsicherndes Grundeinkommen, das praktisch alle Sozialleistungen ersetzen soll und von Deregulierungen flankiert wird. Das Ziel: den Sozialstaat zerpflücken, den Niedriglohnsektor ausbauen. Und selbst wenn in Helsinki noch alle Details des Pilotprojektes offen sind, der wirtschaftsfreundliche Kurs der finnischen Regierungen spricht eher dafür, dass sie ein neoliberales Grundeinkommen anstrebt.
Daniel Häni sieht diese Gefahr. Er nennt das neoliberale Grundeinkommen einen „Missbrauch dieser Idee“. Die Angst davor teilt er aber nicht. Da sind sich der sozialliberale Häni und der Sozialdemokrat Sigg einig: Nur eine echte Diskussion und der Mut, neue Wege zu beschreiten, kann die Welt Stück für Stück verändern. Es ist ein Marathon. Der Kilometer 25 ist dabei ein besonderer – er entfacht nicht nur die Debatte um ein Grundeinkommen neu, sondern auch die darüber, wie emanzipatorisch dieses Projekt am Ende sein kann.
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