Zetteln die Frauen eine stille Revolution an?

WANDEL IM SCHNECKENTEMPO Volljuristinnen bekommen Jobs als Sekretärinnen - und man erwartet, dass sie spätestens mit 26 Jahren heiraten und die Firma verlassen

Immerhin vor dem Millennium, am 1. April 1999, sind die japanischen Frauen der Gleichberechtigung ein Stück näher gekommen. Das Arbeitsrecht wurde geändert und das bereits existierende Gleichstellungsgesetz verschärft. Erstmals dürfen Firmen frisch verheirateten Frauen nicht mehr das Ausscheiden aus dem Berufsleben nahelegen. Bislang mussten sich die meisten Frauen, die Karriere machen wollten, entscheiden: entweder eine Firma zu gründen oder ledig zu bleiben. Viele Firmen stellten bis dato für eine qualifizierte Laufbahn nur Männer ein. Und in den Betrieben, die gleiche Einstiegskonditionen für Männer und Frauen boten, wurden die männlichen Angestellten schneller befördert und deshalb auch besser bezahlt. Von den Frauen, die in der "einfachen Laufbahn" für Büroaufgaben beschäftigt sind, erwarteten die Firmen, dass sie spätestens mit 26 Jahren heiraten und dann die Firma verlassen. Dies wird sich aufgrund des neuen Gesetzes nun langsam ändern.

Trotzdem werden Frauen, die sich für Kinder und Karriere entscheiden, nach wie vor eine extreme Dreifachbelastung aushalten müssen: Lange Arbeitszeiten und die Zuständigkeit für Kindererziehung und Haushalt. Denn japanische Männer beteiligen sich noch weniger als deutsche an den Familienaufgaben. Vor allem die Generation zwischen 40 und 60 gehört überwiegend zum Typ "Meshi! Furo! Nero!". Frei übersetzt soviel wie: "Essen her! Mach die Badewanne fertig! Lass mich schlafen!" Zwar gibt es in Japan Ganztagsschulen und Ganztagsbetreuungsplätze für die Kleinsten. Dennoch stehen die berufstätigen Mütter enorm unter Druck. Zumal die Versorgung plegebedürftiger älterer Familienmitglieder allein als Aufgabe der Frauen gesehen wird. Die Regierung hat das Problem immerhin erkannt: "Die niedrige Geburtenrate veranlasst uns, die Frauen zu ermutigen, zu arbeiten und Kinder zu haben", sagt Yuki Kobukuro, Expertin für Frauenfragen im Arbeitsstab des Premierministers.

Das neue Arbeitsrecht bringt den Frauen auch finanzielle Vorteile. Es erlaubt ihnen, während der Nachtschichten zu arbeiten. Damit kann eine Facharbeiterin in der Produktion ihr Einkommen um etwa 300 Mark im Monat erhöhen. Trotz der Schwierigkeit, Beruf und Familie zu vereinbaren, sind 51 Prozent der japanischen Frauen berufstätig. Die meisten von ihnen haben keine andere Wahl, denn die Familien sind auf zwei Einkommen angewiesen. 70 Prozent aller Teilzeitkräfte sind Frauen. Sie verdienen weniger und sind schlechter versichert als die männliche Belegschaft.

Obwohl Japan ein hochentwickeltes Industrieland ist, sind nur 9,3 Prozent der höheren Verwaltungs- und Managerposten mit Frauen besetzt - dreimal weniger als in Deutschland und fünfmal weniger als in den USA. Die Zahlen stehen in krassem Widerspruch zur Tatsache, dass die japanischen Frauen weltweit die Bestausgebildeten sind. In Japan kommt es vor, dass Juristinnen und Volkswirtinnen als Sekretärinnen und Verkäuferinnen arbeiten. Soziologen gehen jedoch davon aus, dass es auch in Japan bald mehr weibliche Führungskräfte geben wird. Die jüngste Wirtschaftskrise hat zwar dazu geführt, dass viele weibliche Teilzeitkräfte entlassen wurden, aber auch Männer mussten ihre bislang lebenslang garantierten Arbeitsplätze räumen. Durch die Einführung eines freieren Arbeitsmarktes haben Frauen heute bessere Karrierechancen, als vor einigen Jahren. Die Wochenzeitschrift AERA veröffentlichte kürzlich 45 Portraits von Frauen, die es auf der Karriereleiter nach oben schaffen könnten. In sämtlichen Industriezweigen würden bald Direktorinnen die männliche Alleinherrschaft in den Führungsetagen ins Wanken bringen, hoffen Optimistinnen.

Skeptikerinnen gehen jedoch davon aus, dass dieser Prozess nur langsam vorangehen wird. "Die Geschäftswelt ist noch sehr rückständig. Es wird lange dauern, bis sich diese Mentalität ändert" sagt die erfolgreiche Kauffrau Reiko Okutani. Sie gehört zu den wenigen, die es ins "keizai doykai" geschafft haben, den Kreis der japanischen Top-Manager. Ihre Firma vermittelt Teilzeitkräfte - ausschließlich Frauen. Ihrem Pool gehören 2.000 jederzeit abrufbare Arbeitskräfte an. "Geschäft ist Krieg" sagt die resolute Karrierefrau. Darüber redet sie gerne. Weniger gerne spricht sie über sich selbst. Darüber zum Beispiel, dass ihre Ehe in die Brüche ging. Ihrem Gatten, einem hochrangigen Politiker, war sie zu selbstständig.

Auch in der Politik sind Frauen auf der nationalen Ebene weit untervertreten. Im 500köpfigen Unterhaus des Parlaments sitzen nur 23 weibliche Abgeordnete. Damit rangiert Japan im internationalen Vergleich auf dem Niveau der südamerikanischen Staaten. Frauen haben häufig nicht die Beziehungen und das Netzwerk, um genügend Geld für den Wahlkampf aufzutreiben. Nur auf lokaler Ebene besetzen sie inzwischen ein Viertel aller Mandate. Internationale Organisationen mahnen Japan schon seit Jahrzehnten, mehr für die Förderung von Frauen in der Politik zu tun. Besonders peinlich fanden es auch viele Japanerinnen, dass 1995 ein Mann die japanische Delegation bei der UN-Frauenkonferenz in Peking anführte. Eine neue Initiative mit dem Namen "Win Win" sammelt inzwischen Geld von Frauen ein und will damit Kandidatinnen, die sonst keine Chance hätten, unterstützen. "Die Frauen zetteln eine stille Revolution an", sagt die bekannte Journalistin Mitsuko Shimomura, eine der Organisatorinnen von "Win Win".

Die berühmteste japanische Politikerin ist die ehemalige Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Takako Doi. Als erste Frau an der Spitze einer Partei verhalf sie der Opposition 1989 zur Mehrheit im Oberhaus - mit ihr wurden soviele Frauen ins Parlament gewählt wie nie zuvor. Ihr Credo lautete: "Japans Frauen kennen nur die Unterwürfigkeit gegenüber den Vätern und Ehemännern, sie sind stets einige Schritte hinter ihnen gegangen. Es ist Zeit, dass wir Frauen aufstehen und den Männern empfehlen, uns zu folgen." Die 67 Jahre alte Verfassungsrechtlerin ist ledig, wie viele erfolgreiche Japanerinnen. Sie gehört zur Riege der feministisch engagierten Professorinnen. Die meisten dieser Akademikerinnen zählen zur 68er Generation, die auch in Japan links und rebellisch war. Viele Feministinnen unterrichten an den sogenannten Frauenuniverstäten. Dort absolvieren Frauen ein zweijähriges Kurzstudium, das ihnen kaum Karrierechancen in ihrem Beruf eröffnet. Obwohl mehr Mädchen als Jungen die Oberschule erfolgreich beenden (96 Prozent aller Schülerinnen und 93 Prozent der Schüler machen den Oberschul- Abschluss), studieren an den angesehenen Universitäten deutlich mehr Männer als Frauen.

Nicht wenige Studentinnen verzichten nach dem Abschluss aufs Arbeiten und gründen eine Familie. Dies erklärt, warum es in Japan relativ viele politisch interessierte und engagierte Hausfrauen gibt. Sie schließen sich Verbraucherverbänden an, gründen Umweltinitiativen und engagieren sich in der Kommunalpolitik. Diejenigen Absolventinnen der Frauenunis, die sich fürs Arbeiten entscheiden, jobben nach dem Kurzstudium einige Jahre als Sekretärinnen. Sie bleiben während dieser Zeit oft bei ihren Eltern wohnen und haben daher relativ viel Geld zur freien Verfügung. Für die Konsumgüterindustrie sind diese sogenannten "Office Ladies" oder "Büroblumen" eine wichtige Zielgruppe, denn sie können sich teure Markenartikel, Reisen und Mitgliedschaften in Sportklubs leisten.

Am 1. April 1999 wurde auch der Artikel über den Schutz vor sexuellen Übergriffen verschärft. Bereits in den vergangenen Jahren hatten einige Frauen vor Gericht wegen "seku hara" (die japanische Abkürzung für den englischen Begriff sexual harassment, sexuelle Belästigung) geklagt. Im August verklagte eine 21-jährige Wahlhelferin den Bürgermeister von Osaka. Er habe sie im Wahlkampfbus begrabscht. Früher wurden solche Fälle unter den Teppich gekehrt. Die Feministin und ehemalige Stadträtin von Tokio, Mariko Mitsui, berichtet, sie sei selbst schon von männlichen Kollegen belästigt worden. Wenn sie das Thema im Stadtrat angesprochen habe, seien ihre männlichen Kollegen in grölendes Gelächter ausgebrochen. Die Politikerin konnte dennoch durchsetzen, dass die Tokioter Stadtverwaltung ein Beratungstelefon für sexuell belästigte Frauen einrichtete. Gemeinsam mit anderen Abgeordneten organisierte sie auch Aktionen "gegen die Pflicht der Frauen, im Büro Tee zu servieren". Denn auch diese Dienstleistung, die von Lehrerinnen ebenso erwartet wird, wie von Sekretärinnen, bringe die Missachtung der Männer gegenüber ihren Kolleginnnen zum Ausdruck.

Die Verschärfung des Gesetzes hat dazu geführt, dass einige Firmen aus Angst vor Prozessen ihren Mitarbeitern Anweisungen erteilen. Darin heißt es zum Beispiel: "Zwingen Sie ihre Kollegin nicht, mit ihnen Karaoke zu singen. Schauen Sie nicht in ihren Umkleideraum". Auch Zeitschriften bieten der verunsicherten Männerwelt ihre Hilfe an: "Wie spreche ich mit einer Sekretärin, ohne sie sexuell zu belästigen?" lautete jüngst die Überschrift einer Kolumne in einem Wirtschaftsmagazin.

Die Zukunft der Frauen hängt in Japan - wie überall - nicht nur von neuen Gesetzen ab, sondern auch davon, ob die Männer bereit sind, weniger zu arbeiten und sich mehr um ihre Familien zu kümmern. In einer Gesellschaft, in der jahrhundertelang das konfuzianische Prinzip des "dansonjohi" - noble Männer, demütige Frauen - galt, ist der Wandel schwierig. Noch heute wird in Schulbüchern die traditionelle Rollenverteilung vermittelt: Die Ehefrau muss ihrem Mann Respekt zollen. Aber auch in Japan gibt es inzwischen "neue Väter", die früher nach Hause kommen, weil sie mit ihrer Familie zusammen sein wollen. Von einer gerechten Arbeitsteilung kann jedoch auch in diesen Familien keine Rede sein. Die Väter spielen zwar mit ihren Kindern - Haushalt und Hausaufgabenbetreuung bleiben trotzdem an den Frauen hängen. Berufstätige Japanerinnen bringen pro Tag dreieinhalb Stunden mit Haushalt und Kindererziehung zu, berufstätige Männer gerade mal acht Minuten. Die Emanzipation ist ein Schnecke - auch in Japan.

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