Bernd das Brot, das hat sich mittlerweile herumgesprochen, ist kein Mensch und kein Brot, sondern die Gallionsfigur eines Kinderkanals Ki.ka. Kurz: Er ist ein Gegenstand, eine Sache. Deshalb lässt er sich auch so vortrefflich instrumentalisieren.
Bernd das Brot, das als zwei Meter hohe Statue monatelang auf dem Erfurter Fischmarkt neben dem Rathaus stand, ist entführt. Von Hausbesetzern, die in einer alten Erfurter Fabrik residieren und ein Kulturprogramm anbieten. Nun erklärt das griesgrämige Brot mit seinen kurzen Ärmchen in einem Bekennervideo, für das sich ein „129A-Team“ verantwortlich zeichnet, seine Symathie mit seinen Entführern: „Das besetzte Haus muss unbedingt erhalten werden. Ich bin durchaus bereit mich weiter in der Öffentlichkeit sehen zu lassen, aber mein Gewissen kann ich dabei nicht vernachlässigen“, sagt das Brot.
Er richtet sich dabei an die Stadt Erfurt, die die Verhandlungen mit den Besetzern um das „Topf Söhne“-Gelände hatte platzen lassen.
Kaum haben die Besetzer die Lacher – vielleicht gar die Sympathie, bestimmt aber die Aufmerksamkeit – der Öffentlichkeit auf ihre Seite gebracht, wendet sich das Blatt gleich wieder: Der Kinderkanal bemächtigt sich wiederum seiner Figur und erklärt im Namen des Brotes: Bernd will nicht entführt werden. Er findet Entführungen 'Mist' und ganz besonders seine eigene. Alles, was er verlange ist, wieder an seinen angestammten Platz zurückgebracht zu werden.
Virtueller Kuh-Handel...
Entführungen von Menschen mag niemand. Zu gefährlich, zu blutig. Zu gemein. Die Entführung von Unbeseeltem als sympathische Alternative ist nicht neu. Jopie Heesters kam im letzten Januar diesen Jahres sein Bambi abhanden? Entführt? Greift da jemand zum letzten Mittel, um zu verdeutlichen, dass Jopi sein Bambi ganz und gar nicht verdient hätte? In diesem Falle: nein. Der Bambi-Entführer ein Einbrecher – ganz ohne Message. Ganz anders liegen die Dinge, als etwa im Jahr 2005 anlässlich des Schweizer Gedenkjahrs "60 Jahre Zweiter Weltkrieg" von der Grazer Belvedere eine virtuelle Kuh verschwindet. Sie heißt Rosa und ist laut einem Bekennerschreiben von einer Gruppe Public Netbase entführt. Der Landwirt, dem die Kühe gehören, besteht darauf, ihm fehle keine Kuh. Die Gruppe Netbase zeigt sich unbeeindruckt, fordert nachdrücklich, die Österreicher möchten endlich aufhören, die eigene Verstrickung in den zweiten Weltkrieg zu verleugnen, andernfalls geschehe schreckliches. Die Kuh Rosa, beteuert der Landwirt, stehe in seinem Stall. „Es geht ihr schlecht!“, lässt Netbase verlauten. Im Übrigen: Die Welt sei virtuell und Rosa, die Kuh, eine virtuelle Kuh. Sie sei explodiert. Dies solle der Welt eine Warnung sein.
Moralisch sind auch die Bewegründe derer, die immer wieder Teile der Kopenhagener Meerjungfrau entwenden. Die kleine Dame, die nur 175 Kilogramm wiegt und einen Meter 25 groß ist, wird immer wieder von Unbekannten verschiedener Körperteile beraubt, mal von Demonstranten, die für ein freies Christiania kämpfen, mal von Privatpersonen. Die Identität eines Unbekannten, der dem Wahrzeichen 1964 den Kopf absägte, wurde erst Jahrzehnte später bekannt, als der Aktions-Künstler Jørgen Nash in seiner 1997 erschienenen Autobiografie En havfruemorder krydser sit spor (Ein Meerjungfrau-Mörder kreuzte meinen Weg) erklärte, "die Heilige Jungfrau der dänischen Tourismusindustrie" sei von ihm höchstpersönlich geköpft worden, weil er den Rummel um die National-Ikone nicht mehr ertragen konnte.
...und zersägte Meerjungfrauen
Der Däne Jørgen Nash wollte ganz einfach ein Symbol vor seiner Entweihung bewahren – ein ganz ähnliches Motiv trieb eine deutsche Gruppe von Sach-Entführern in den frühen neunziger Jahren. Ein Grüppchen von Berliner Autonomen Linken kidnappte bei Nacht den Redaktionstisch der taz. Dieser Tisch nämlich hatte zuvor der Kommune K Eins als Küchentisch gedient. Die taz-Redaktion hatte sich in den Augen der jungen Aufrührer des Gebrauchs der teuren Ikone unwürdig erwiesen, indem ihre Berichterstattung unhaltbar bürgerlich geworden war.
Und was ist mit dem Raub der Schweizer Unspunnensteine? Wer nicht wissen sollte, was Unspunnensteine sind – es sind Nationalsymbole der Schweizer Eidgenossen. Gewaltige Steine von der Form eines Kiesels, die etwa 80 Kilogramm wiegen und in grauen Vorzeiten von den kräftigsten Schweizer Hirten bei Volksfesten auf den so genannten Unspunnenmatten weit ins sattgrüne Land katapultiert wurden. Entsprechend viel Kraft kostet der Raub der Steine, die mittlerweile an wechselnden Orten ausgestellt werden, zuletzt in einem Museum in Interlaken. Die Entführer der Riesenkiesel sollen diese in einer Sporttasche weggetragen haben – wurden vom Personal noch gesehen, sollen aber trotz der schweren Last nicht aufzuhalten gewesen sein. Es muss ihnen die Sache Wert gewesen sein. Den „jurassischen Separatisten Beliérs“ ging es darum, der Welt mitzuteilen, dass der Schweizer Südjura von der Vormundschaft Berns befreit werden will.
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