Schmutzige Schneebälle

WAS IST EIN GEN? Gerhard Staguhn erklärt Wissenschaft verständlich

Schlagworte wie Gentechnik, Stammzellen und Klonen begegnen einem in den Medien fast so oft wie die eigenen Familienmitglieder am Frühstückstisch. Sie sind Gegenstand politischer Diskussionen, füllen Zeitungsseiten und Nachrichtensendungen. Doch bleiben sie für die meisten Menschen nur geheimnisvolle Begriffe, deren Bedeutung nur Wissenschaftler zu kennen scheinen. Trotzdem will natürlich jeder mitreden. Gerade Jugendliche geraten dabei oft in ein Dilemma: wenn alle ihren Senf dazugeben, wer hat dann Recht? Was läuft tatsächlich ab in der Biologie und der Medizin? Wie nützlich - oder auch gefährlich - sind die neuen Entdeckungen wirklich?

In seinem Jugendbuch Die Suche nach dem Bauplan des Lebens greift Gerhard Staguhn viele dieser Fragen auf. Geschickt genug, die jugendlichen Leser nicht mit einem Mal ins kalte Wasser zu stoßen, beginnt er vorsichtig mit den Grundlagen des Lebens: Warum ist es auf der Erde entstanden und nirgendwo sonst? Wo ist es entstanden und wie? Wie sehen die Bausteine aus? Von Anfang an achtet Staguhn darauf, verständlich zu bleiben. Er konstruiert aus Worten Bilder, beschreibt Kometen als "riesige schmutzige Schneebälle" und Aminosäuren in einem Eiweiß als "Perlen" an einer Kette, spart dagegen mit Fachbegriffen - der Text soll lesbar bleiben. Er wird durch Illustrationen ergänzt, die, übersichtlich und klar beschriftet, zum besseren Verständnis beitragen.

Diese Regeln hält Staguhn im gesamten Buch ein. Fragen und Antworten bilden das Grundschema. So fragen schon die Überschriften, zum Beispiel "Was ist ein Gen?", die Antwort folgt auf dem Fuße. In Beispielrechnungen zeigt der Autor die schwindelerregenden Dimensionen, die sich auftun. Zum Beispiel die ungeheure Menge an Informationen, die das menschliche Genom trägt. Gedruckt wäre es 1,5 Millionen Seiten lang und ergäbe ein Buch von 150 Metern Dicke! Dabei steht die unausgesprochene Frage des Autors deutlich lesbar zwischen den Zeilen: Ist das nicht erstaunlich? Was für eine irrsinnige Vorstellung!

Staguhn schneidet auch Fragen der Entwicklungsbiologie an und findet hier ver neue Wunder. Wie ist es möglich, aus einer einzigen Zelle einen funktionierenden Menschen zu machen? Woher wissen die Zellen des Embryos, dass sie zum Beispiel zur linken Hand gehören? Die Begeisterung des Autors überträgt sich auf den Leser. Plötzlich nimmt man neue Blickwinkel ein, beginnt über Sexualität nachzudenken. Was eben noch völlig selbstverständlich aussah, wird auf einmal zu einer "der härtesten Nüsse der biologischen Forschung".

Die Evolutionstheorie, einst mit Staunen und Ungläubigkeit aufgenommen, hat sich zu einer vollends akzeptierten Tatsache gewandelt. Staguhn ist hier auf der Höhe der wissenschaftlichen Diskussion. Er schickt den Leser durch die Biologie, vorbei an Urzeitwesen und den Siegeszügen großer Landwirbeltiere, von den verschiedenen Menschenarten, die einmal gelebt haben bis hin zur Gentechnik. Sie bereitet nicht nur dem Autor Kopfschmerzen. Er befürchtet eine "zweite Schöpfung", erklärt, wozu Forscher heute imstande sind und was theoretisch bereits möglich ist. Klonen ist da nicht das einzige Stichwort.

Das Staunen zwischen den Zeilen ist fürs erste verschwunden, deutlich zu erkennen dagegen sind Sorgenfalten. Doch bemüht sich der Autor, Vorteile wie Nachteile darzustellen. Er will nicht die Meinung der Leser bestimmen, sondern aufklären und die naive Einstellung zur Forschung in einen kritischen Blick verwandeln.

In der zweiten Hälfte des Buches fallen dann die Fragen an, die in aller Öffentlichkeit diskutiert werden. Wie weit darf Forschung gehen? Zukunftsvisionen vom "Design-Menschen" tauchen auf, der intelligenter, schöner, gesünder und friedlicher sein soll als die meisten Menschen heute. Ist mit dem "besseren Menschen" nicht doch bloß der "besser funktionierende Mensch" gemeint? Welche sozialen Folgen ergeben sich aus der Möglichkeit, Menschen genetisch "designen" zu können?

Ähnliche Fragen kommen bei einer näheren Betrachtung des menschlichen Gehirns auf. Hier steht der Leser vor dem nächsten ethischen Problem: Ist das Gehirn nichts anderes als ein höchst komplexer Computer? Und wenn es das ist - wird die Wissenschaft es dann nicht eines Tages einfach nachbauen können?

Staguhn wirft in seinem Buch keine alltäglichen Fragen auf. Er appelliert damit an die Jugendlichen, der Wissenschaft nicht gleichgültig zu begegnen. Wie wichtig es ist, sich über viele Entwicklungen selbst Gedanken zu machen, weiß der Autor plausibel darzulegen. Dabei beantwortet er nicht nur Fragen, sondern wirft auch wieder neue auf, deren Antwort noch niemand kennt.

Gerhard Staguhn: Suche nach dem Bauplan des Lebens. Evolutionstheorien, Gentechnik, Gehirnforschung. Hanser-Verlag, München 2001, 213 S., 35,- DM

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