Endstation Levinsky-Park

Grünfläche Für afrikanische Flüchtlinge ist Israel ein Sehnsuchtsland. An der Grenze bekommen sie ein Busticket - und landen in einem Park im ärmlichen Süden Tel Avivs
Der Levinsky-Park im Süden Tel Avivs ist die erste Anlaufstelle für viele Flüchtlinge
Der Levinsky-Park im Süden Tel Avivs ist die erste Anlaufstelle für viele Flüchtlinge

Foto: Toby Binder

Der Fokus meiner Arbeit gilt schon länger den Randgestalten der Globalisierung, die den politischen und ökonomischen Verwerfungen meist schutzlos ausgesetzt sind und täglich um ihr Überleben kämpfen.

Die sozialen Verlierer und politisch Verfolgten machen sich in immer größerer Zahl auf den Weg in die Wohlstandsländer. Das UN-Flüchtlingshilfswerk geht von 45 Millionen Flüchtlingen weltweit aus. Von der schieren Masse der Migrationsströme bekam ich erstmals in Mexiko einen Eindruck, als ich Flüchtlinge aus Mittelamerika porträtierte, die auf Cargozügen Richtung USA reisen. Seine Familie zurückzulassen und sich nur mit einem kleinen Rucksack auf eine Tausende Kilometer lange Reise zu machen, ohne zu wissen, ob man das Ziel je erreicht oder was einen dort erwartet, ist eine Erfahrung, die wir in saturierten Ländern Aufgewachsene kaum nachvollziehen können.

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Morgens und abends stehen die Flüchtlinge vor der Hilfsorganisation an (alle Fotos: Toby Binder)

Israel stellt wegen seiner geografischen Lage für Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern ein ähnliches Sehnsuchtsland dar wie die USA für Lateinamerikaner. Es ist auf dem Landweg zu erreichen und erscheint vielen greifbarer als die europäischen Küsten. Doch die Fahrt auf überfüllten Ladeflächen oder versteckt im Kofferraum durch sudanesische und ägyptische Wüsten ist nicht minder gefährlich.

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Die begehrtesten Schlafplätze sind die Röhren der Kinderrutsche

Die meisten Flüchtlinge mussten in ihrer Heimat vierstellige Dollarbeträge zahlen, um sich in einen Konvoi einzukaufen, der sie in mehreren Etappen in den Sinai führt. Zum Teil nutzen die Beduinen der Halbinsel die Hilflosigkeit der Flüchtlinge aus und halten sie dort über Wochen und Monate fest, um von ihren Angehörigen zusätzlich Geld zu erpressen. Wie viele dort festgehalten werden, ist nicht bekannt.

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Gil ist seit 20 Jahren in Israel. Er unterrichtet im Park Hebräisch

Momentan gelingt aber vielen noch der Grenzübertritt nach Israel. Jede Nacht sammeln Grenzsoldaten Dutzende Umherirrende in der Negev-Wüste auf. Die israelische Regierung forciert jedoch den Ausbau eines mehrere Meter hohen Grenzzaunes zu Ägypten, der das Land hermetisch abriegeln soll. Bisher fahren aber noch Nacht für Nacht Linienbusse den Levinsky-Park im ärmlichen Süden Tel Avivs an und spucken dort Dutzende junge Sudanesen und Eritreer aus, denen Armeeangehörige wenige Stunden zuvor ein Busticket und eine Plastiktüte mit Klamotten in die Hand gedrückt haben. Unsicher stehen die Neuankömmlinge zwischen Grasflächen und Spielplatzgeräten herum, bevor sie sich unter die bereits Schlafenden mischen.

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Abdelrahman (24) aus Darfur lebt seit vier Monaten auf dem Spielplatz

Geduldet, aber nicht erwünscht

Flüchtlinge begegnen einem in Tel Aviv häufig. Sie warten morgens in Gruppen an den Straßenrändern der Südstadt auf Gelegenheitsjobs und halten sich abends und einen Großteil der Nacht über im Levinsky-Park auf. NGOs wie Amnesty International haben sich ihrer Situation angenommen. Die NGOs versuchen beharrlich, den unerwünschten Personen, die im bürokratischen Terminus zwar als „asylsuchend“ geführt, von Regierungsseite aber als „Eindringlinge“ diffamiert werden, mehr Rechte zu verschaffen. Nur 17 Personen wurden seit 2008 von Israel als „Flüchtlinge“ anerkannt. Die etwa 60.000 faktischen Flüchtlinge dürfen zwar bleiben, haben aber weder eine Arbeitserlaubnis noch Zugang zu Gesundheitsversorgung oder Bildung. Hilfsorganisationen schicken Sprachlehrer in den Park, um Hebräisch zu unterrichten. Sie geben Frühstück aus und unterhalten in der Altstadt auch ein kleines Hospital.

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Am Wochenende öffnet die mehrsprachige Park-Bücherei

Wenn man im Levinsky-Park erst mal bekannt ist, findet man schnell neue Gesprächspartner. Die eritreischen Parkbewohner wollen zwar auch ihr Schicksal schildern, weigern sich aber beharrlich, sich fotografieren zu lassen. Sie fürchten sich vor Repressalien für ihre Angehörigen. Sie wissen, dass die Mitarbeiter des eritreischen Machtapparates auch westliche Publikationen auswerten.

Aber auch in Tel Aviv leben viele Flüchtlinge nicht ungefährlich. Die zunehmende soziale Spaltung der israelischen Gesellschaft drückt sich nicht nur in verbaler, sondern auch in handfester Gewalt aus. Die israelische Unterschicht im Stadtteil Shapira gibt den Neuankömmlingen die Schuld am Abstieg des Viertels. In der Nacht zum Nationalfeiertag flogen Molotow-Cocktails in eine sudanesische Kindertagesstätte. Die oberen Einkommensschichten im Norden Tel Avivs bekommen davon nichts mit. Dort picknicken abends Pärchen in den Parks. Afrikaner findet man da keine.

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Die Bewohner des Stadtteils fühlen sich von der Regierung alleingelassen

Die Flüchtlinge sind nach Israel gekommen, um ihre aussichtslose Lage zu verbessern. Doch die meisten Bewohner des Levinsky-Parks sind ihrer Illusionen beraubt worden. Sie träumen jetzt von einem besseren Leben in der EU oder den USA. Ab und an leiht sich auch einer ein Handy und wählt die Nummer einer UN-Organisation. Diese kümmert sich um die Rückführung von Flüchtlingen in ihre Heimatländer.

Toby Binder lebt als freier Fotograf in München. Mehr Infos zu ihm und seiner Arbeit finden Sie hier

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Mitarbeit am Text: Florian Mayer
Geschrieben von

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