Bälle (3): Ruck zuck übern Zaun

Sportplatz Unser Autor Tom Mustroph hat ein faible für exotische Freiluftaktivitäten. In loser Folge berichtet er vom Sommer, von Bällen und Ballspielen aller ...

Unser Autor Tom Mustroph hat ein faible für exotische Freiluftaktivitäten. In loser Folge berichtet er vom Sommer, von Bällen und Ballspielen aller Art. In der letzten Folge geht es um Damensport mit harten Regeln.

Über den Maikäferpfad und Eichkatzweg pirscht man sich vor zu den Sportanlagen im Eichkamp. Dort, am nordöstlichen Ende des Grunewalds, gehen jedes Wochenende rot-weiß und blau-gelb gestreifte Herren ihrer weltschönsten Nebenbeschäftigung nach. In der allerfernsten Ecke behaupten sich ein paar Damen, die mit Fußball wenig am Hut haben. Nicht dass sie unsportlich sind; das genaue Gegenteil trifft zu. Stundenlang hetzen sie über den Rasen. Sie versuchen, Bälle ins Firmament zu schleudern oder springen mit geschlossenen Füßen wie gelernte Fallschirmjägerinnen auf einen Zielpunkt zu. Manchmal hechten sie einem Ball hinterher. Damit das besser aussieht, haben sie sich in schicke Trikots gezwängt. Blaugrau sind die einen gekleidet, blaugelb die anderen. Die meisten haben je einen riesigen Lederhandschuh an. Er gleicht der Pranke eines vorzeitlichen Ungeheuers. Die ohne Pranke sind, dürfen einen Helm tragen. Nicht um sich vor Prankenhieben zu schützen, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte. Bevor die Behelmten aufs Spielfeld stürzen, fuchteln sie nämlich mit einer Keule um sich. Sie ähnelt den bekannteren Baseballkeulen, läuft aber anders als diese nicht konisch, sondern zylindrisch aus. Die Keule wird nun beidhändig etwa hüfthoch in einer weiten Kreisbahn geschwungen und soll nach Möglichkeit einen auf bis zu 80km/h beschleunigten Ball so treffen, dass der in hohem Bogen über das Feld saust und möglichst erst wieder den Boden berührt, bis die Keulenschwingerin (Fachjargon: Batter) wie der Blitz um drei Markierungen herum bis zum Ausgangspunkt geflitzt ist und so einen Homerun erzielt.
Dieses Vorhaben erschwert der/die(?) Pitcher (amerikanische Sportarten kennen offenbar keine Feminisierungen): Windmühlenflügeln gleich rotiert der Wurfarm und schießt in Hüfthöhe den Ball parallel zum Erdboden auf die Frau mit der Keule, die nur Sekundenbruchteile Zeit für ihren Gegenschlag hat. Eingeweihte haben spätestens hier erkannt, dass es sich um Softball handeln muss. Baseballer haben nicht nur konische Keulen, sie dürfen auch von oben werfen. "Windmill-Pitching" ist dagegen den Softballerinnen vorbehalten. Wegen "Soft" (gleich "weich") könnte man vermuten, dass dieser Sport eine Art Baseball für Frauen ist. Weit gefehlt. Der Ball ist zwar größer, aber ebenso hart wie ein Baseball. Und weil der "Soft"ball besser zu fangen ist, entwickelt sich meist ein muntereres Spiel, als es der TV-Junkie von Baseballübertragungen aus den USA gewohnt ist. Deshalb haben auch Männer inzwischen Softball entdeckt. Etwa George, geboren in Chicago, aufgewachsen in Kentucky und Profi der All American Softball League. In den vergangenen Jahren hat er die Kangaroos am Eichkamp trainiert. Jetzt nicht mehr. Zu hart sei sein Training für die besseren Freizeitspielerinnen gewesen, vermutet er. Die Damen in blaugelb verlieren in einem Bundesliga-Spiel gerade haushoch gegen die blaugrauen Pandoras (ehemals Flamingos) aus Frohnau.
George, dunkelhäutig, mit Basecap, Headset und Pfeife ausgerüstet und daher wie ein Coach der Major League ausschauend, schüttelt verzweifelt den Kopf angesichts der Fehler seiner Ehemaligen. Fanghände greifen ins Leere. Bälle springen von der Keule ins Aus. Sechs Euro gehen dann im Gebüsch verloren, fällt Marvin in die Klage ein. Der gebürtige Nicaraguaner und Ex-Baseball-Profi sagt, Latinas seien besser. Sie fangen jung an, kennen das Spiel und die Tricks. Wenn er die Ehefrauen seiner Kumpel zum Spiel überreden könnte, würden die jedes deutsche Bundesligateam vom Platz fegen. Sagt er.
Den Männern gelingt das regelmäßig. Einmal im Jahr treffen sich die Bauarbeiter aus Kuba, Venezuela, Nicaragua oder der Dominikanischen Republik und nehmen die deutsche Nationalmannschaft auseinander. Die Deutschen reden zuviel über Regeln und Bestimmungen; das Spiel komme dabei zu kurz. Südamerikaner brauchen nicht erst einen sauber abgesteckten Platz und teure Ausrüstung. Marvin bedauert, dass der Deutsche Base- und Softball Verband die Hürden so hoch hält: jeder Platz müsse einen Zaun haben und überdachte Mannschaftsboxen. Straßensport kann Softball so nicht werden.
Es ist, als hätten die Pandoras die bitteren Thesen gehört. Unvermittelt brechen sie in Kampfgesänge aus und zeigen, dass auch deutscher Softball voller Leidenschaft sein kann: "Haun, haun, haun, Bälle wolln wir haun, ruck zuck übern Zaun. Eine jede aber kann das nicht, denn sie muss ne Pandora sein." Anna, die blonde Pitcherin, hat aus den USA sogar Gospeltradition mitgebracht. In Anlehnung an alte Baumwollpflückergesänge gibt sie vor: "My name is Anna, do you know what I got?", worauf das gesamte neunköpfige Team antwortet: "What do you got?". Anna, in der Rolle der Vorsängerin: "I got a team, that is hotter than hot." Ewig kann es so weitergehen. Softball präsentiert sich hier als Erlebnissportart, in denen die Spielerinnen ihre eigenen Cheerleader sind.

Nächste Termine siehe www.frohnau-flamingos.de


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