Best-of-Leitwölfe

Sportplatz Berlin ist nicht Hollywood. Oder hat schon einmal jemand Film- und Fernsehstars en masse in der Max-Schmeling-Halle aufkreuzen sehen? Nicht einmal ...

Berlin ist nicht Hollywood. Oder hat schon einmal jemand Film- und Fernsehstars en masse in der Max-Schmeling-Halle aufkreuzen sehen? Nicht einmal Berlins Halbprominenz wie der sonst allgegenwärtige Ben Becker, der überall herumgereichte Dominique Horwitz sind gesichtet worden. Ganz anders dagegen die Situation in den USA. Im Madison Square Garden, wo die New York Knicks spielen, gehört das rote Handtuch von Spike Lee schon zum Inventar. Nicht weit von seinem Regisseur entfernt pflegt Denzel Washington Platz zu nehmen. In der Halle der Los Angeles Lakers ist ein Sitz in der ersten Reihe für Jack Nicholson reserviert. Zum Halbfinale gegen Vorjahresmeister San Antonio sind u.a. Dustin Hoffman, Pamela Anderson und Brad Pitt aufgekreuzt. Welche Schlüsse lässt das zu? Nun, Basketball ist in Übersee offenbar weitaus populärer als in Deutschland. Und Berlin ist vom Weltstadtsein noch soweit entfernt wie, sagen wir, Eberhard Diepgen von der neuen New Yorker Senatorin Hillary Clinton. Wirklich vergleichen sollte man Albatrosse und L.A. Lakers auch nicht. Jedenfalls nicht, wenn es um Namen und Positionen geht. Wer sollte Berlins Shaquille O´Neal sein, wer Kobe Bryant? Trainer Mutapcic mit Phil Jackson in einem Atemzug zu nennen, wäre Gotteslästerung. Von der Dominanz in ihren Ligen ähneln sich beide Clubs jedoch. Nur ein Spiel in der Vorrunde haben die Albatrosse verloren, ein weiteres in den Playoffs. im ersten Finalspiel wurden die Telekom Baskets aus Bonn so auseinander genommen, wie es im Vorjahr Lance Armstrong mit dem magentafarbenen Radler Jan Ullrich demonstrierte. Alles andere als die erneute Meisterschaft für Alba wäre eine dicke Überraschung. Schier unglaublich scheint auch, dass die Lakers ihr Finale vergeigen. Zwar absolvierten sie ihre regulären Spiele nur mit Ach und Krach, aber die Playoffs gestalteten sie zu 100 Prozent siegreich. 19 Spiele in Folge haben sie nicht mehr verloren, elf davon in den Ausscheidungsbegegnungen. Die Portland Trailblazers wurden abgefertigt, die hoch gehandelten Sacramento Kings vom Platz gefegt und selbst die Übermannschaft der letzten Saison, die San Antonio Spurs mit ihren überragenden "Twin Towers" Tim Duncan und David Robinson hatte nie wirklich eine Chance. "Sweep" nennen die Amerikaner das, wenn im Best-of-five- oder Best-of-seven-Modus nur eine Mannschaft gewinnt. Jetzt trauen viele den Lakers etwas zu, was noch keiner Mannschaft, nicht einmal den legendären Chicago Bulls in der Jackson-Johnson-Jordan-Ära, glückte - den absoluten Sweep, also bis ins Finale kein Match abzugeben. Die Chancen stehen gut, weil die beiden herausragenden Akteure der Lakers sich jetzt richtig lieb haben sollen. Monatelang rangen der bullige Center Shaquille O´Neal und der elegante Spielmacher Kobe Bryant um die Leitwolfrolle. Kobe wollte zeigen, dass die Lakers mit genialen Spielzügen erfolgreich sein können und nicht auf den Dicken unter dem Korb angewiesen sind. Der Dicke hingegen stopfte stoisch Ball um Ball durch den Ring, vergaß dabei aber, dass er im letzten Jahr auch Basketball spielen und vor allem Freiwürfe treffen gelernt hatte. Auch durchschnittliche NBA-Teams konnten so gegen die Lakers gewinnen. Rechtzeitig rauften die beiden sich aber zusammen. Sie spielen miteinander, beschenken sich mit Pässen und Lobeshymnen. Shaq nannte Kobe gar "mein Idol" und den besten Spieler der Liga". Shaq selbst darf sich als der effektivste fühlen. Da auch die Nebenrollen ordentlich besetzt sind, bleibt für den Finalgegner Philadelphia nicht einmal eine Außenseiterchance. In Allen Iverson haben die 76ers zwar den MVP (wertvollster Spieler) der Vorrunde in ihren Reihen; tatsächlich ist die Fangemeinde gespalten, ob nun der kleine, wieselflinke und sprunggewaltige Iverson ein kompletterer Spieler ist als Mr. "Elegant" Bryant, aber ein Iverson allein genügt nicht gegen die neue Männerfreundschaft. Zudem dürfte sich für Philadelphia negativ bemerkbar machen, dass sie sowohl gegen Toronto als auch gegen Milwaukee über die volle Distanz von jeweils sieben Spielen gehen mussten. Andererseits haben sie gezeigt, dass sie kein Spiel verloren geben. Im sechsten Spiel gegen Milwaukee lagen sie zur Halbzeit 29 Punkte zurück. Trotz Verletzungen brachten sie ihren Gegner aber noch in Bedrängnis. So bleibt als letztes Spannungsmoment doch noch übrig abzuwarten, ob dieser - des historischen Davids würdige - Kampfgeist die Goliaths vom "La-La-Land" zu bezwingen in der Lage sein wird und die mühsam errichtete Männerfreundschaft starken Belastungen gewachsen ist. Es sind ja doch immer nur dieselben archaischen Konflikte im Sport, selbst wenn Millionen im Spiel sind.

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