Der gemeine Bewohner des Großraums Peking - ca. 15 Millionen gibt es von seiner Art - ist gewöhnlich sehr sportlich. Das muss er einfach sein. Betrachtet man die Unmengen an Fleisch, Reis, Nudeln und Gemüse, die die Menschen tagtäglich in sich hineinschaufeln und vergleicht das mit den außerordentlich geringen Körperumfängen dieser guten Esser, dann kann des Rätsels Lösung nur sportive Betätigung sein. Allerdings sieht man kaum stirnbandbekränzte, joggingbehoste und hechelnde Läufer den Tiananmenplatz rauf und runter hetzen. Auch Fitnessstudios sind noch wenig verbreitet. Jüngst war die Einweihung einer - zugestandenermaßen recht großen - Badmintonhalle der Hauptnachrichtensendung des chinesischen Fernsehens einen l
n längeren Bericht wert. Zwar weiß man von den Erfolgen chinesischer Kaderathleten, die - mal mehr, mal weniger biochemisch in Form gebracht - Weltrekorde und Medaillen vor allem in Einzeldisziplinen nur so horten. Von einer Breitensportkultur wie wir sie kennen, ist jedoch auf den ersten Blick wenig zu sehen.Die sportliche Herausforderung scheint vordergründig Element des Alltags zu sein. Der gemeine Pekinger ist auf Überleben trainiert. In die stets hoffnungslos überfüllten Busse passen einfach keine fetten Chinesen hinein. Schafft es ein Besitzer eines Wohlstandsbäuchleins doch einmal, sich in die heiße Blechbüchse zu quetschen, so schwitzt er wegen der Hitze und dünnen Atemluft schnell das eine oder andere Pfund herunter. Da man aufgrund des Dauerstaus auf Pekings Straßen meist ohnehin eine Stunde unterwegs ist, ist der Flüssigkeitsverlust nachhaltig. Unterzieht man sich täglich dieser Prozedur des Aktivschwitzens, dann haben überflüssige Pfunde gar keine Chance.Wer nicht den Bus benutzt - der fährt natürlich Fahrrad. Das immer wieder strapazierte Klischee stimmt tatsächlich. Myriaden von Fahrradfahrern bewegen sich auf eigens für sie freigehaltenen Spuren vorwärts. Selbst gemessenen Tempos überholen sie oft die sich im Stau nur mühsam voranquälenden Fahrzeuge. Viele Radler bewegen zudem nicht nur ihr eigenes Körpergewicht. Oft sind die Räder Antriebsaggregate für wahre Schwerlasttransporter. Baustoffe, Möbel, der Tagesabsatz eines Gemüsestandes werden auf die Karren gepackt. Ein Radler zieht Lasten von dannen, für die unsereiner gewöhnlich auf Robben Wientjes zurückgreifen würde. Frauen und Männer sind da im Einsatz, gleich welchen Alters. Andere Muskelgruppen werden bei den Proben für Feste und Paraden trainiert. Bis in die Nacht hinein hauen vorwiegend bunt kostümierte Frauen auf Pauken und Riesengongs ein und bewegen sich außerdem noch in komplexen Choreografien.Nach einigen Tagen Aufenthalt fällt einem aber doch eine nicht dem schnöden Nutzen unterworfene Betätigung auf. Zuweilen sieht man Männer und Frauen auf rotlackierten Metallgestellen sitzen. Die Szenerie erinnert an Erwachsene, die Karussells und Klettergerüste ihrer Kinder besetzt halten. Doch sie sitzen nicht nur auf den Gestellen, sie bewegen sich dabei rhythmisch: Mal die Beine nach oben, dann das Becken herausgestreckt. Fast obszön für chinesische Verhältnisse. Dann stellt sich heraus, dass die Geräte Fitnessmaschinen für jedermann sind. Keine Jahresgebühr ist zu zahlen, statt schweißdurchtränkter muffiger sind nur lachende Gesichter beim nachbarschaftlichen Outdoor-Fitnessprogramm zu sehen. Und weil da, wo keine kollektiven Hometrainer stehen, Tischtennisplatten aufgebaut sind, die auch eifrig bespielt werden, ist endlich klar, warum Pekinger wesentlich fitter als Berliner wirken.Da passt es denn ganz gut ins Bild, dass Peking sich für die Olympischen Spiele 2008 bewirbt. An jeder dritten Hauswand klebt entweder ein Plakat mit den kalligrafisch sehr schön verfremdeten fünf olympischen Ringen, oder es werden auf englisch und chinesisch die großartigste aller Spiele versprochen. Dem gemeinen Pekinger geht es dabei wie vor wenigen Jahren noch dem gemeinen Berliner. Er kann gut auf ein Event verzichten, das allenfalls den Eliten gut dotierte Jobs und Renommee verschafft. Vermutlich kommt er ganz ohne ausdrücklichen Protest um diese Veranstaltung herum. Denn trotz der vor einer Dekade durch die Asienspiele neu geschaffenen Sportinfrastruktur spricht doch zu viel gegen Peking 2008. Weitere neue Wettkampf- und Trainingsstätten müssten gebaut werden. Verkehrstechnisch ist die Stadt eine Katastrophe, und die Luftverschmutzung so hoch, dass Teenager, die heute im Berufsverkehr die Leipziger Straße in Berlin entlang joggen, eine reelle Chance gegen Kenias Hochlandläufer hätten. Da ist es denn schon wieder fast schade, dass Peking bei der IOC-Tagung im Juli 2001 wohl leer ausgehen wird.