Kurt Beck ist sehr bemüht, den Begriff Linkspartei nur mit dem Zusatz "so genannte" über seine Lippen kommen zu lassen. Oskar Lafontaine nennt die SPD so oft es geht "nicht koalitionsfähig". Abgrenzung ist erste Sozialdemokraten-Pflicht. Und die Schmuddelkinder zahlen es mit gleicher Münze heim.
Abseits der medialen Schlachtordnung wird freilich über gemeinsame Machtperspektiven nachgedacht. "Es ist nicht unsere Aufgabe, die Großen nachzuspielen", sagt die Juso-Chefin Franziska Drohsel. "Jegliche Abschottungspolitik gegenüber der Linkspartei bringt nichts." Ähnliches hört man von linken SPD-Abgeordneten im Bundestag, deren "Denkfabrik" gerade erst ein Strategiepapier vorgelegt hat, dass sich gegen eine Tabuisierung der Linken wendet. Man müsse "die Frage beantworten, in welcher politischen Konstellation unsere Projekte realisierbar sind" und verhindern, dass Gespräche darüber "zum ersten Mal im Rahmen von Koalitionsverhandlungen geführt werden".
Neu erfunden werden müsste das Rad dazu nicht. Kontakte und Debatten zwischen SPD, Linkspartei und Grünen gibt es längst. Die aktuellen Bemühungen aber bleiben meist auf die Forderung beschränkt, doch bitte endlich in den Streit um Inhalte zu treten. Mehr geht derzeit womöglich nicht.
Man war aber schon einmal weiter. Mitte der neunziger Jahre führten linke Sozialdemokraten, aufgeschlossene Grüne und Leute aus der PDS die so genannte Crossover-Debatte. Ende 1997 befasste sich zum Beispiel eine Konferenz in Bochum mit Grundzügen möglicher Reformprojekte, seinerzeit zusammengeführt in einem ökologisch-solidarischen New Deal. Wer wollte, konnte anhand ausführlicher Papiere über arbeitszeitorientierte Steuerpolitik streiten. Oder, um ein anderen Beispiel zu nennen, über die Idee eines von Gewerkschaften kontrollierten Investitionsfonds, der Mitbestimmung über das Produktivkapital ermöglichen sollte. Was damals nur "Zwischenstand der Diskussion" sein sollte, wurde für lange Zeit ihr Ende. Mit dem Amtsantritt von Rot-Grün hatten sich die Bedingungen für die parteiübergreifende Suche nach einem gemeinsamen Projekt erst einmal erledigt.
Seither hat es Revitalisierungsversuche gegeben, doch die Debatte scheint festgefahren. Bei der Linken sorgt das ungelöste Problem der Regierungsbeteiligung für blockierende Phantomschmerzen. Bei der SPD kommt man über eine formale Ebene nicht hinaus: Man müsse mit der Linken doch wenigstens reden dürfen. Anderes als weit gefasste Grenzziehungen findet man daher selten. Stefan Liebich vom Forum Demokratischer Sozialismus in der Linkspartei nennt "Solidarität und Gerechtigkeit, Schutz und Ausbau von Bürger- und Freiheitsrechten, die Verbindung der ökologischen und der sozialen Frage und eine friedliche Außenpolitik, die sich am Völkerrecht orientiert" als "Schnittmengen, die es auszuloten gilt". Bei der SPD-Linken liest sich das ganz ähnlich. Doch der Rahmen, der hier gezogen wird, bleibt leer. Das fehlende Bild darin müsste am Ende mehr umfassen als eine Art Koalitionsvertrag, also eine Zusammenfassung des realpolitisch Machbaren.
Auffällig ist zudem, dass die Debatte inzwischen fast ausschließlich zwischen Linkspartei-Reformern und SPD-Linken geführt wird, Grüne sind daran kaum beteiligt. Im vergangenen Herbst wies Robert Zion daraufhin, dass manche in seiner Partei sich zwar an das "ursprüngliche Projekt der Grünen, die postfordistischen Arbeits- und Produktionsweisen in emanzipatorischer Absicht wirtschaftspolitisch zu gestalten und sozial abzusichern" wieder erinnerten. "Was dies für einen Crossover-Prozess bedeutet", schrieb er damals im Freitag, "ist jedoch noch völlig unklar." Zion wirbt inzwischen für "ein neues Angebot", Überschrift: "Links-libertär". Zwar taucht auch hier die strukturelle Mehrheit wieder auf, die nicht nur in Umfragen existieren dürfe, sondern die es politisch "zu realisieren" gelte. Ist die Idee des "solidarischen Individualismus" aber wirklich kompatibel mit den eher machtstrategisch ausgerichteten Überlegungen der SPD-Linken und Linkspartei-Reformer? Für ein Grundeinkommen und andere Wünsche aus der Kulturlinken braucht man wohl doch "neue Bündnisse".
Vielleicht existieren diese sogar schon: Den Aufruf von Zion haben inzwischen auch Mitglieder der Linkspartei unterschrieben, vornehmlich Grundeinkommens-Anhänger und Vertreter der kleinen Strömung Emanzipatorische Linke. Aus der SPD findet sich hingegen keine Unterschrift. Eine Neuauflage der alten Crossover-Debatte ist derzeit wohl weniger zu erwarten, getrennte Diskussionen in ihrem Sinne schon.
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