Die Medienbranche in Deutschland steht vor schwierigen Zeiten. Bei der Süddeutschen wird Redakteuren empfohlen, über einen "freiwilligen Abschied" nachzudenken, die Frankfurter Allgemeine verhängte einen Einstellungsstopp, die Stern-Redaktion protestiert gegen überzogene Renditevorgaben bei Gruner + Jahr.
Einen Rotstift-Strich weiter ist man bereits bei der WAZ-Gruppe, die bei ihren vier Zeitungstiteln in Nordrhein-Westfalen 30 Millionen Euro einsparen will - was dem Abbau von etwa 300 Stellen entspricht, etwa ein Drittel der Mitarbeiter. Genaue Pläne sollen Ende des Monats vorliegen. Die Angelegenheit sorgt schon jetzt für Schlagzeilen. Sogar Franz Müntefering schaltete sich ein: In einem Brief an die Belegschaft der WAZ-Gruppe versicherte der SPD-Chef seine Solidarität und ließ wissen, er habe an die Geschäftsleitung appelliert, auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten.
Was hat Müntefering angetrieben? War der Brief, wie es in Medien hieß, vom Betriebsrat der Westfälischen Rundschau "bestellt", der Belegschaftsvertretung einer Zeitung, bei der die Sozialdemokraten über ihre Medienholding ddvg eine Minderheit hält? Wollte sich der Vorsitzende an der Seite von Beschäftigten zeigen, die als Multiplikatoren in den kommenden Wahlkämpfen nicht ganz unwichtig sind, immerhin haben die vier WAZ-Titel im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen eine Auflage von rund einer Million Exemplaren?
Nach dem Schriftwechsel befragt, gibt sich die SPD-Zentrale zugeknöpft. Von einem "internen Vorgang" ist die Rede - und das kann man womöglich wörtlich nehmen. Der Brief erreichte mit WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach jedenfalls einen Mann, der wie Müntefering in Nordrhein-Westfalens SPD aufstieg. Vielleicht liegt hierin das wahre Motiv für die "Schreibwut" Münteferings. Hombach stammt aus Mühlheim, ging in die Lehre, studierte später und erklomm über die sozialdemokratische Karriereleiter: Geschäftsführer der NRW-SPD, Landtagsmitglied, Minister. Müntefering, zwölf Jahre älter, stammt aus dem Hochsauerlandkreis, machte ebenfalls eine Lehre und dann genauso Karriere in der SPD: Er leitete den Bezirk Westliches Westfalen, war NRW-Landeschef und auch Minister.
Von Düsseldorf verschlug es Hombach und Müntefering Ende der neunziger Jahre nach Berlin. Beide verband, hieß es damals immer wieder, nicht mehr als der Landesverband, aus dem sie stammen. Als die rot-grüne Bundesregierung antrat, wäre Müntefering anfangs wohl gern selbst Kanzleramtsminister geworden - Schröder holte schließlich jedoch Hombach. Als Müntefering 1999 dann Generalsekretär der SPD wurde, stand in den Zeitungen, Müntefering wolle nun "sogar" Hombach einbinden, nur müsse dieser aufhören, Programmarbeit an der SPD-Zentrale vorbei zu machen. Höhepunkt dieser Aktivitäten war im Juni 1999 das so genannte Schröder-Blair-Papier, an dessen Zustandekommen Hombach maßgeblich beteiligt gewesen war
In welchem Temperaturbereich sich das Verhältnis der beiden befand, konnte man auch Ende 1999 erahnen, als Hombach gerade von einer Partei-Kommission vom Vorwurf der Vorteilsnahme entlastet wurde. Müntefering antwortete damals auf die Frage, ob der inzwischen zum EU-Sonderkoordinator aufgestiegene Hombach nun in seine Parteiämter zurückkehren könne: "Das muss er selbst entscheiden." Sehnsucht klingt anders.
Es wurde auch in der Folge nicht wärmer zwischen den beiden. 2001 gab Müntefering den Vorsitz der NRW-SPD ab, "kläglich gescheitert" und "in letzter Minute", wie viele damals meinten. Personalquerelen hatten den Landesverband durcheinandergebracht, die Partei war verschuldet. Selbst Schröder, so wurde kolportiert, sei misstrauisch gegenüber Müntefering geworden und habe bereits ausloten lassen, ob ein anderer als sein erster Parteimanager für eine Wahlkampf-Kampagne zur Verfügung stünde: Bodo Hombach. Für Müntefering muss die Offerte seinerzeit ein Affront gewesen sein, als Generalsekretär war er der gesetzte Oberwahlkämpfer. Und er blieb es: Hombach hatte damals gerade bei der WAZ als Manager unterschrieben.
Mit dem WAZ-Briefwechsel ist die Geschichte Hombach und Müntefering nun um ein Kapitel reicher. Am Verhältnis zwischen beiden hat sich wenig verändert. Gemeinsam mit Co-Geschäftsführer Christian Nienhaus bestätigte Hombach dem "sehr geehrten Herr Müntefering" den Eingang seines Schreibens. Die als notwendig erachteten Einsparungen bei der WAZ-Gruppe beruhten auf Daten, heißt es im folgenden schulmeisterisch, die das Beratungsunternehmen Schickler analysiert habe, also jene Firma, welche bereits "häufig für die SPD-Medienholding" tätig gewesen sei und die Genossen-Firma "zuletzt bei der Sanierung" der Frankfurter Rundschau" beraten hatte.
Im Frühjahr 2004 hatte die SPD über die ddvg 90 Prozent der Zeitung übernommen. Um das Blatt zu retten und wieder verkaufsfähig zu machen, fuhr die Holding mit Hilfe von Schickler einen drastischen Sparkurs. An Müntefering dürfte das kaum vorbeigegangen sein: 2004 und 2005 war der Sauerländer schon einmal SPD-Vorsitzender, damals wurde in kurzer Zeit ein Drittel der Stellen bei der Frankfurter Rundschau gestrichen - ebenso viel, wie nun auch bei der WAZ befürchtet.
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